Yoga in jedem Alter: Ein Interview mit Jim Thorne
Wir alle werden nicht jünger und Yoga ist eine der besten Formen der präventiven Medizin, in die es sich zu investieren lohnt. B.K.S. Iyengar, einer der weltweit herausragendsten Yogalehrer und selbst mittlerweile 90 Jahre alt, meint: „Es ist niemals zu spät im Leben, Yoga auszuüben. Wenn Sie ein Messer besitzen, das Sie nicht benutzen, was passiert damit? Es wird rostig, nicht wahr? Schärfen Sie es jedoch regelmäßig, wird es immer scharf bleiben. Wenn wir regelmäßig Asanas üben, ermöglichen wir es dem Blut, unsere Arme und Beine und die Tiefen des Körpers zu versorgen, so dass die Zellen gesund bleiben. Wenn Sie kein Yoga ausüben, wird der Körper nicht „bewässert“. Warum sollten Sie Ihren Körper einer Dürre aussetzen, wenn es doch ein reiches Bewässerungsangebot gibt? Yoga hilft, die Abwehrkraft des Körpers auf einem optimalen Niveau zu halten, und das ist es, was wir als Gesundheit bezeichnen.“
Yogis messen das Alter eines Menschen anhand der Beweglichkeit seiner Wirbelsäule. Wenn wir älter werden, verringert sich die venöse Versorgung der Bandscheiben. Durch Yogaübungen, die die Wirbelsäule dehnen und strecken, werden die Hauptdrüsen, Nerven und Organe durch frisches Blut wieder belebt. Im Gegensatz zu anderen Formen der sportlichen Aktivität, bei denen der Körper stark beansprucht wird, steigert Yoga Kraft und Ausdauer bei gleichzeitiger Verringerung der Belastungshormone, die uns altern lassen.
Jim Thorne ist einer meiner inspiriertesten und fleißigsten Yogaschüler, dessen Einstellung zum Yoga einer langjährigen hingebungsvollen Liebesbeziehung gleicht. Er besitzt eine unstillbare Neugier und Motivation, mit seinen Yogaübungen zu experimentieren und diese zu vertiefen. Er beeindruckt mit seinen wunderschönen Posen und seinen Kopfständen, die jegliche Schwerkraft außer Kraft setzen. Mit 68 Jahren ist er das beste Beispiel für die vielseitigen Vorzüge des Yogas. Als wir uns zum Interview trafen, hatte er gerade einen 10-km-Lauf, den Bolder Boulder in Colorado, gemeinsam mit seiner Tochter und Enkeltochter sowie weiteren 50.000 Teilnehmern absolviert.
Hat Ihnen Yoga bei dem Rennen, das Sie gerade gelaufen sind, geholfen?
Jim Thorne: Zweifellos. Ich habe mich dabei ertappt, dass ich die anderen Läufer beobachtete – ihre Körperspannung und ihre Haltung, wie sie die Füße aufsetzten. Das hat mich selbst daran erinnert, locker zu bleiben, meine Brust weit zu machen, meine Wirbelsäule gestreckt zu halten und ganz bewusst zu atmen.
Wann haben Sie mit Yoga begonnen?
Ich war Anfang 40, habe mit meiner Familie in Boulder, Colorado gelebt und dort auch gearbeitet. Im Freizeitzentrum der University of Colorado wurde damals ein Yogakurs angeboten.
Das ist jetzt über 25 Jahre her. Yoga war zu der Zeit für viele noch relativ unbekannt. Was hat Sie inspiriert, einen Yogakurs zu belegen?
Ich fand, dass es mysteriös klang. Ich dachte, ich würde vielleicht in spannende Geheimnisse eingeweiht werden. Nach einigen Kursen interessierte mich die esoterische Seite des Yogas immer mehr. Schließlich wurde ich zunehmend neugieriger, wie sich Yoga auf meinen Körper und Geist auswirkte und was ich dabei fühlte.
War es am Anfang schwer?
Einiges war wirklich qualvoll, weil ich meinen Körper so noch nie bewegt hatte! Außerdem war ich es einfach nicht gewohnt, Geduld haben zu müssen – all dieses „ We rde ruhig, höre auf deinen Körper und atme“-Zeug kannte ich einfach nicht. Ich war es gewöhnt, immer hart mit mir zu sein, wenn ich trainiert habe. In der Tat waren meine Trainingseinheiten grausam – ich bin wirklich froh, dass ich mit Yoga begonnen habe, da ich mir sonst wahrscheinlich meine Gelenke ruiniert hätte.
Anfangs war es für mich wie Aerobic, weil ich mich echt durch die Posen durchkämpfen musste. Ich konnte meine Beine nicht strecken, wie es viele der anderen in meinem Kurs konnten. Im Laufe der Zeit lernte ich jedoch, dass ich nicht so hart arbeiten musste und dass ich die Übungen nicht genauso wie die anderen Yoga-Schüler ausführen musste. Ich lernte, in mich zu gehen und ruhig zu werden. Ich begann, meinen Atem einzusetzen, um meinen Körper weit zu machen, ihn anzuheben und zu dehnen. Das war eine grandiose Entdeckung! Der Atem hilft der Pose, ihre Zweckmäßigkeit zu erfüllen – sie fühlt sich so lebendiger an, weil ich nicht in meinem Verstand feststecke, sondern im restlichen Teil meines Körpers. Macht das Sinn?
Absolut. Was hat Sie motiviert, beim Yoga zu bleiben?
Ich habe eine überraschende Hartnäckigkeit gespürt, daran festzuhalten, als ich die Übungen ziemlich schwierig und anstrengend fand. Wenn es vorbei war, fühlte ich mich jedoch großartig. Ich mochte die Herausforderung und spürte tief in meinem Inneren, dass es gut für mich sein würde. Am Anfang fielen mir einige Posen sehr schwer, und sie fühlten sich nicht angenehm an. Wegen meiner verspannten Schultern zum Beispiel war die Hundestellung mit dem Gesicht nach unten in den ersten fünf Jahren echt schwer für mich. Ich beobachtete aber, wie die Lehrer und andere Schüler sich völlig mühelos in die Posen begaben, und das wollte ich dann auch erreichen. Natürlich gibt es immer wieder Posen, die mir zunächst außerhalb meiner Möglichkeiten erscheinen. Das Gefühl, es dann doch zu schaffen und etwas Neues zu meistern, ist immer wieder toll.
Haben Sie einen Ratschlag für Anfänger?
Suchen Sie sich einen Lehrer, mit dem Sie auf einer Wellenlänge liegen. Halten Sie an Ihrer Übung fest – es wird leichter und geht immer tiefer, je weiter Sie fortschreiten und je mehr Sie entdecken. Es wird sich alles fügen. Die wirkliche Arbeit beginnt, wenn Sie anfangen zu lernen, die Form einer Pose aufrecht zu erhalten. Das erfordert Regelmäßigkeit und Konsequenz, denn sonst geht Ihnen die Form einer Pose womöglich verloren. Meine verspannten Schultern mögen in der „Hundestellung mit dem Gesicht nach unten“ geschmerzt haben. Aber wenn ich die Verspannungen nicht durch Yoga gelöst hätte, würden Sie mir noch jetzt Probleme bereiten. Lassen Sie sich nicht entmutigen: Die Vorzüge des Yoga sind enorm!
Wie oft sollte man Yoga pro Woche mindestens ausüben, um Fortschritte zu erzielen? Ich erkläre meinen Schülern oft, dass mindestens drei Yogaeinheiten pro Woche nötig sind, um ihre neu entwickelte Beweglichkeit zu erhalten.
Das ist ein guter Plan. Wenn Sie Ihre Yoga-Fertigkeiten noch schneller vorantreiben möchten, empfehle ich vier Kurse pro Woche zu belegen und dann noch zweimal allein zu Hause zu üben. Richten Sie sich einen kleinen Platz zu Hause ein und reflektieren Sie, was Sie im Kurs gelernt haben. Manchmal mache ich nur entspannende Posen, Atemübungen oder Posen, die mein Körper wirklich braucht.
Wie kann ich feststellen, ob ich in meiner Yoga-Übung Fortschritte mache? Es ist doch leichter, weiter zu üben, wenn man positives Feedback bekommt und Erfolge erzielt.
Sie werden die Fortschritte auf vielen Ebenen spüren: ein tieferer, kontrollierterer Atem, gesteigerte Kraft und Beweglichkeit , eine bessere Haltung und Ausrichtung des Körpers, eine Streckung der Wirbelsäule. Im Grunde macht Yoga immer mehr Spaß, je vertrauter es einem ist, da Ihr Körper dann weiß, wo’s langgeht. Im Laufe der Zeit werden Sie in jeder Pose Leichtigkeit und Freude empfinden.
Welche anderen Sportarten betreiben Sie derzeit noch?
Ich paddle zwei bis drei Flüsse pro Jahr entlang. Und mit meiner Frau gehe ich jeden Sommer wandern. Außerdem belege ich jede Woche Spinningkurse, betreibe Training mit Gewichten und schwimme in einer Gruppe mit Menschen jeden Alters im Freizeitzentrum der University of Colorado. Dabei bewege ich mich leicht und unverkrampft wie die Kinder, was ich dem Yoga zuschreibe.
Das klingt, als würde Yoga bei diesen Aktivitäten helfen?
Ich könnte ohne meine Yogaübungen nicht leben. Yoga ermöglicht unseren Gelenken ohne Schmerzen die volle Bewegungsspannbreite. Es fördert meine Beweglichkeit; ich bin kräftiger, und ich atme besser. Yoga hat mir zudem zu einer gesunden Körperhaltung verholfen und meine Tiefenmuskulatur gestärkt, so dass ich mich bei anderen Aktivitäten gar nicht oder weniger leicht verletze. Yoga hat mein Bewusstsein für meinen Stütz- und Bewegungsapparat, und wie dieser mit meinen Muskeln zusammenspielt, erweitert.
Was mögen Sie an Yoga am liebsten?
Es ist schön …! Es ist eine präzise Übung für das Leben und bietet zugleich eine Auszeit von der Realität. Ich kann mich voll konzentrieren und kann in einer sicheren Umgebung alle Vorsicht ablegen. Auf der Matte gelingt es mir, meine Mitte zu finden und mich selbst ins Gleichgewicht zu bringen, vor allem durch die yogatypische Atmung.
Hat sich daran für Sie etwas über die Jahre verändert?
Ja, es vertieft sich zunehmend.
Falls Sie mit Yoga eine Weile ausgesetzt haben, welche Posen eignen sich, um wieder hinein zu kommen?
Die Hundestellung mit dem Gesicht nach unten ist eine der besten – diese dehnt den Oberschenkelbeuger, die Wirbelsäule sowie den Nacken und entspannt die Schultern sowie den Rücken. Die Katze oder Kuh sowie die Kriegerstellungen und Dreieckspose sind ebenfalls gut. Für Fortgeschrittene eignet sich Kopfstand oder der Schulterstand mit Hilfsmitteln – einer Stütze oder einer Wand zum Abstützen. Wenn Ihr Nacken beweglich genug ist, können Sie auch auf Hilfsmittel verzichten.
Wenn Sie eine 5- bis 15-minütige Mittagspause haben und den ganzen Vormittag auf Ihrem Stuhl sitzen mussten , welche Posen würden Sie empfehlen, um einen Ausgleich für das lange Sitzen zu erzielen und den Geist für den Nachmittag zu erfrischen?
Da eignen sich am besten Posen, die den Brustraum öffnen und die Wirbelsäule wölben. Passives Rückwärtsbeugen ist gut wie z.B. die Brückenpose mit einem Klotz als Hilfe oder auf einer Decke. Sie können sich aber auch auf dem Rücken liegend eine zusammengerollte Decke horizontal unter das Kreuzbein, den unteren oder mittleren Rücken legen. Achten Sie dabei jedoch darauf, dass Ihre Schultern auf dem Boden bleiben, damit sich der Brustraum maximal öffnen kann. Rollen Sie sich auf dem Boden hin und her und halten Sie dabei Ihre Knie fest. Drehungen beleben die Wirbelsäule, und ein guter Krieger II kann Ihnen das über den Vormittag verlorene Feuer wieder zurückgeben. Außerdem geht nichts über Umkehrstellungen, um den Kopf frei zu bekommen: Die Hundestellung mit dem Gesicht nach unten, die Pflugstellung und der Schulterstand sind gut, und wenn Sie schon fortgeschritten sind, können Sie auch Kopf- oder Handstände machen.
Welche Rolle spielt Yoga in Ihrer Zukunft?
Ich könnte ohne Yoga nicht leben. Das Üben von Yoga ist eine dauerhafte, nach innen gehende Reise, und ich stehe an der Oberfläche. Sogar nach 20 Jahren empfinde ich eine solche Euphorie, wenn ich diesen „Aha-Effekt“ erlebe und somit eine neue Ebene bei einer Pose erreicht habe. In Wirklichkeit ist alles Yoga – ob wir nun auf der Matte liegen und uns auf unseren Atem und unser Gleichgewicht konzentrieren oder ob wir auf der Straße sind . All das verlangt, uns bewusst zu machen, wie wir am Leben teilhaben.
Yoga in unsere alltägliche Routine zu integrieren, wird uns unzählbare Vorzüge bescheren, wie Jim bezeugen kann. Auch wenn wir nur wenige Minuten pro Tag üben, zeigt dies, dass unser Wille und unsere Bereitschaft dazu vorhanden sind. Dieser Wille und diese Bereitschaft werden sich wie ein Faden durch unser Leben spinnen, uns Kraft geben und schließlich auch den Menschen um uns herum zugute kommen.
Lassen Sie uns mit den Worten Iyengars schließen: „Sie alle können also Yoga ausüben. Die Königin von Belgien hat im Alter von 86 Jahren mit Kopfstand angefangen, und ihr ist nichts passiert. Ich hoffe, dass Sie mich nicht missverstehen. Sie können es schaffen, aber tun Sie es bedächtig und seien Sie sich Ihrer eigenen Kapazitäten bewusst.“
* Diese Pose ist eine fortgeschrittene Stellung, die umfangreiches Training und Erfahrung voraussetzt. Take The Magic Step™ empfiehlt, diese nur unter Anleitung eines qualifizierten Lehrers zu erlernen und zu üben. Sie wurde für diesen Beitrag ausgewählt, weil sie im direkten Zusammenhang mit dem Artikel steht.
- Erschienen am 19. July 2007
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