New-York-Marathon 1993: Utas Lauf durch die beliebte Marathonstadt
Utas Trainer Dieter Hogen rannte von der First zur Fifth Avenue, kämpfte sich durch ein dichtes Zuschauerspalier und schrie in dem Trubel seiner Freundin wie abgesprochen eine Information zu, auf die sie lange gewartet hatte. Über 35 Kilometer hatte Uta Pippig (SCC Berlin) als schnellste Frau das Feld des New-York-Marathons angeführt, ohne zu wissen, dass sie einem ganz souveränen Sieg entgegenlief.
Die letzte Konkurrentin, die nicht mehr Schritt halten konnte, war die Französin Nadia Prasad. Und die hatte sie über eine Stunde zuvor bei Kilometer 15 zuletzt gesehen. Von da an war Uta im Ungewissen über das, was sich hinter ihr tat. Dieter Hogen informierte sie dann über den von ihm an der First Avenue gestoppten, komfortablen Vorsprung von etwa 90 Sekunden.
“Doch dann wurde ich bei starkem Gegenwind und Temperaturen von über 20 Grad Celsius müde. Sicher auch, weil ich allein laufen musste”, erzählt Uta, die nicht wusste, dass sie zwischenzeitlich ihren Vorsprung sogar auf drei Minuten ausgebaut hatte. So schaute sie sich immer wieder um, in der Angst, vielleicht jemanden übersehen zu haben, der ihr ihren größten sportlichen Triumph noch wegschnappen könnte.
Doch selbst mit einem Fernglas hätte Uta die später zweitplatzierte Olga Appell (2:28:55 Stunden) nicht entdecken können, denn die Mexikanerin lag um Straßenecken zurück. Nur selten hat in den letzten Jahren eine Läuferin im Spektakel New-York-Marathon so dominiert wie jetzt die Berlinerin, die im Ziel mit 2:26:23 Stunden ihre Bestzeit um 29 Sekunden unterboten hatte und auf Olga Appell über zweieinhalb Minuten Vorsprung aufwies. “Ich konnte es gar nicht fassen, dass keine andere Läuferin mehr von hinten kam”, erzählt Uta, was ihr auf den letzten Kilometern vor dem Ziel im Central Park durch den Kopf ging. “Und dann habe ich realisiert, dass ich New York gewinne.”
Als erste Deutsche ist der 28-jährigen Läuferin gelungen, wovon jeder Weltklasse-Läufer träumt: Ein Sieg beim prestigeträchtigsten Straßenlauf. New York ist nicht irgendein Marathon, sondern der Marathon. Das zeigt auch wieder die Begeisterung der auf zwei Millionen geschätzten Zuschauer am Straßenrand.
“Marathonlauf hat in den USA einen sehr hohen Stellenwert. In New York gibt es eine perfekte Organisation, die ganze Stadt steht hinter dem Rennen – das merkt man auf der Strecke”, erzählt Uta. “Den Berlin-Marathon 1990 nach dem Fall der Mauer zu gewinnen, das war emotional noch toller. Aber jetzt fühle ich mich, als hätte ich bei Olympischen Spielen gewonnen.”
Falls es noch eines Beweises bedurft hätte, so wäre er jetzt erbracht: Uta zählt zu den weltbesten Straßenläuferinnen. Ihre Bilanz in den USA ist in diesem Jahr makellos: Sieben Rennen hat sie bestritten und alle gewonnen, darunter auch gegen die Vorjahressiegerin von New York, Lisa Ondieki (Australien). Dieses Rennen in New York City war für Uta auch eine Rehabilitierung nach der Enttäuschung bei der WM. Im Vorfeld zu viel trainiert, war sie im 10.000-m-Finale müde und lief nur auf Rang neun.
Dieser Sieg war ihr so sehr wichtig und sie hat schon ein neues Ziel für den nächsten Berlin-Marathon. “In Berlin ist die Strecke vielleicht zwei Minuten schneller – und ich möchte dort richtig schnell laufen”, kündigt Uta an.
- Erschienen am 20. May 2016
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