Boston-Marathon 1995: Uta schließt zu Rosa Mota auf

Von Jörg Wenig
Boston Marathon 1995 @ www.PhotoRun.net
Boston Marathon 1995 @ www.PhotoRun.net

Uta steht in Boston nunmehr in einer Reihe mit Rosa Mota und Olga Markowa. Denn nur der Berlinerin, der Portugiesin (1987 und ‘88) sowie der Russin (1992 und ‘93) gelangen bei dem traditionsreichen Klassiker zwei Siege in Folge. Uta gewann nach dem Vorjahr nunmehr auch die 99. Auflage des Rennens. Nachdem sie 1994 den Streckenrekord von 2:21:45 Stunden aufgestellt hatte, siegte sie nun mit der Weltjahresbestzeit von 2:25:11 Stunden. Während dieses Jahr aufgrund der strengen und anspruchsvollen Qualifikationszeiten 9416 Läufer starteten, werden 1996 25.000 Starter zugelassen.

„Ich bin sehr glücklich, dass ich hier das zweite Mal gewonnen habe. Ich glaube, das ist ein toller Erfolg, denn Boston ist unter allen Marathonläufen der Elitelauf schlechthin – zumindest gilt das für die Frauen. Der Sieg stand für mich mehr im Vordergrund als die Zeit, mit der ich nicht ganz zufrieden bin”, erklärte Uta.

Unmittelbar nach dem Start im Bostoner Vorort Hopkinton ging Uta in Führung. Inmitten einer Männergruppe laufend, schaute sie sich schon in dieser Phase des Rennens um, um zu sehen, wo ihre Konkurrentinnen blieben. Doch diese hielten sich auf dem Punkt-zu-Punkt-Kurs, der ein Gefälle von 139 m aufweist, aufgrund der sehr hügeligen Strecke aber trotzdem nicht leicht zu laufen ist, lange Zeit zurück. „Ich bin froh, dass ich wieder in einem Rennen laufe, in dem ein Weltrekord möglich erscheint”, hatte Elana Meyer (Südafrika), die vermeintlich stärkste Konkurrentin von Uta, noch zwei Tage vor dem Lauf gesagt. Doch besonders die olympische 10.000-m-Silbermedaillengewinnerin bemühte sich zu keiner Zeit um ein flotteres Tempo. Sie lief phasenweise 40 m hinter Uta und schloss erst nach 15 km (50:30 Minuten) zu der Führenden auf.

Schon einige Kilometer eher hatte sich die Marathon-Olympiasiegerin Walentina Jegorowa an die Fersen von Uta geheftet. Diese Dreiergruppe blieb dann über die nächsten 10 km zusammen, wobei Uta so gut wie durchgehend führte und Zwischenzeiten von 1:07:39 (20 km), 1:11:23 (Halbmarathon) sowie 1:24:48 (25 km) erreichte. Zu dieser Zeit waren ihr Streckenrekord und besonders natürlich der insgeheim erhoffte Weltrekord schon außer Reichweite. Die taktischen Zwänge ließen sie vorsichtiger agieren, so dass sie nach 25 km gegenüber ihrer Vorjahreszeit einen Rückstand von 38 Sekunden hatte.

Erst zu diesem Zeitpunkt tauchte Tegla Loroupe (Kenia), die im vergangenen November als erste Afrikanerin den New-York-Marathon gewonnen hatte, an der Spitze auf. Sie war, ähnlich wie in New York, von hinten kommend nach vorne gelaufen. So waren erst zu diesem Zeitpunkt die vier großen Favoritinnen beisammen. Für eine schnelle Zeit war es zu spät, doch für eine spannende Konstellation war gesorgt. Einsetzende Probleme am linken Fuß ließen Uta vorsichtig agieren. „Nach der Hälfte der Distanz bekam ich diese Probleme am linken Fuß. Ein Knochen tat weh und es bildeten sich mehrere Blasen. Das ist nichts Schlimmes, war aber schmerzhaft, so dass die Zeit fortan für mich unwichtig war. Ich lief nur noch ein taktisches Rennen, denn besonders beim Laufen von Gefällstrecken – eigentlich meine Spezialität, da ich ja in den Bergen von Boulder trainiere – tat der Fuß bei jedem Schritt sehr weh.”

Immer wieder beobachtete Uta ihre Konkurrentinnen, um zu sehen, in welcher Verfassung sie sind. Zeitweilig ließ sich die Läuferin des SCC Berlin dabei zurückfallen, um dann – umgekehrt zum sonstigen Rennverlauf – unmittelbar hinter Elana Meyer zu laufen, was der Südafrikanerin überhaupt nicht behagte. Erstaunlich war dann, wie sicher Uta Konkurrentinnen dieser Klasse beherrschte.

Die immer wieder mit “Uta, Uta”-Rufen angefeuerte Berlinerin gewährte den anderen drei Läuferinnen bei ihrem “Heimspiel” nicht mehr als eine Gastrolle. Mit ihrer Taktik zermürbte sie ihre Gegnerinnen regelrecht. Immer dann, wenn es auf dem zweiten Teil der Strecke bergauf ging und einer der gefürchteten Hügel zu überlaufen war, drückte Uta besonders auf das Tempo. „Diese Hügel machen mir nichts aus, trainiere ich doch den Bergen in Colorado, in der Nähe von Boulder, in Höhen zwischen 2000 und 2700 Metern”, sagte sie später.

Kurz vor der 30-km-Marke (1:42:19) fiel Waltina Jegorowa zurück, gab wenig später entkräftet auf. Die Gewinnerin des New-York-Marathons wurde das nächste Opfer der Uta-Taktik. Als Tegla Loroupe die Spitze des Heartbreak Hill erreichte, war auch ihr Widerstand gebrochen. Die Muskulatur der Kenianerin war offensichtlich übersäuert und besonders litt sie an Magenproblemen, so dass sie die restlichen gut acht Kilometer nur noch im besseren Jogging-Tempo zurücklegen konnte. Kurz zuvor hatte es eine kuriose Situation gegeben, als Loroupe und Meyer am Erfrischungspunkt beide ihre Flasche verfehlten, kollidierten, stoppten, zurückliefen und dann mit der Flasche das Rennen fortsetzten.

„Ich habe die Situation gar nicht mitbekommen und mich gewundert, wo die beiden plötzlich waren. Ich versuchte als erste den Verpflegungsstand zu erreichen, um sicher zu gehen, dass so etwas nicht passiert”, sagte Uta, die sich nun nur noch mit Elana Meyer auseinander zu setzen hatte. Doch während Uta nach den Hügeln von Boston genauso gut aussah wie vorher, war Elana Meyer die Strapaze deutlich anzusehen. Ein Oberschenkelkrampf beendete dann ihre letzten Chancen. Während die Südafrikanerin auf der Strecke von Helfern gestützt wurde, rannte Uta davon und Handküsschen werfend ihrem Sieg entgegen. Trotzdem war Meyer mit ihrem zweiten Platz in 2:26:51 Stunden zufrieden: „Schließlich bin ich hinter der besten Marathonläuferin der Welt ins Ziel gekommen.”

Für Uta war es nunmehr bereits der vierte große Marathonsieg in Folge: 1992 gewann sie den Berlin-Marathon, ein Jahr später das Rennen in New York und vor zwölf Monaten jenes in Boston. Auf die Frage, was anders war verglichen zu vor einem Jahr, antwortete Uta: „Ich habe jetzt keine Belastungen mehr durch mein Medizinstudium, was ja vor einem Jahr noch der Fall war. Außerdem habe ich nach dem Studium entsprechender Fachliteratur meine Ernährung umgestellt.

In der Vorbereitung auf Boston war ich in diesem Jahr belastbarer als früher. Ich hatte viele Trainingswochen in Boulder, in denen ich zwischen 230 und 240 Kilometer gelaufen bin. Solche Leistungen sind nur möglich mit einem professionellen Umfeld, was zum Beispiel Training, Organisation, Physiotherapie oder auch Ernährung angeht. Langstreckenlauf im Weltklassebereich ist ein 24-Stunden-Job, der mir allerdings auch großen Spaß macht, denn mein Umfeld stimmt.”

Wie im Vorjahr trafen sich die Sieger von Boston zwei Tage später zum Jogging mit US-Präsident Bill Clinton in Washington. Für Clinton waren es bereits bekannte Gesichter. Und für Uta bedeutete dieses Treffen weitere Popularität. „Viele Interviewanfragen kann ich aus Zeitgründen nicht mehr wahrnehmen, obwohl mir Pressetermine sehr wichtig sind. Ich möchte gern helfen, das Laufen populärer zu machen – das ist ein großer Wunsch.”