Boston-Marathon 1994: Der Durchbruch zu den schnellsten Zeiten

Von Jörg Wenig
Boston-Marathon 1994. © ALLSPORT
Boston Marathon @ ALLSPORT, April 18, 1994

Nach den Weltklasseergebnissen von Dionicio Ceron (2:08:51) sowie Vincent Rousseau (2:07:51) und Miyoko Asahina (2:25:52) in London und Rotterdam setzte einen Tag später das Rennen in Boston diesen Marathon-Höhepunkten noch die Krone auf. In Boston liefen die beiden Sieger Uta Pippig (SCC Berlin) und Cosmas N’deti (Kenia) bei idealem Wetter und teilweisem Rückenwind nicht nur Weltjahresbestzeiten und Streckenrekorde, sondern auch jeweils eines der besten Ergebnisse überhaupt.

Damals 28-jährig erreichte Uta nach einem famosen Lauf 2:21:45 Stunden und verfehlte den Weltrekord nur um 39 Sekunden. Mit ihrer Zeit, mit der sie den bisherigen deutschen Rekord von Katrin Dörre-Heinig (2:25:24 – gelaufen 1987) verbesserte, stand Uta in der ewigen Weltbestenliste hinter der Norwegerin Ingrid Kristiansen (2:21:06) und Joan Benoit (USA/2:21:21), die mit ihren Ergebnissen 1985 den London- und den Chicago-Marathon gewannen, an dritter Position.

Und das Ende der Fahnenstange sah die Berlinerin damit bestimmt noch nicht erreicht. Genauso wie auch beim 24-jährigen N’deti, der den bisherigen Streckenrekord von Robert de Castella (der Australier lief 1986 2:07:51) ebenfalls deutlich unterbot. Der Kenianer schob sich mit seiner Zeit an die fünfte Stelle der ewigen Weltbestenliste. Beiden Siegern wurde zwei Tage später die Ehre zuteil, Gast des US-Präsidenten Bill Clinton im Weißen Haus zu sein und mit ihm ein paar Kilometer zu joggen.

Das Ergebnis von Uta war umso erstaunlicher, weil ihr Start am seidenen Faden hing. Vom Höhentraining in ihrer zweiten Heimat Boulder nach Boston gereist, zog sie sich durch den Klimawechsel eine fiebrige Erkältung zu. Es sah schon so aus, als ob sie gar nicht laufen könnte, doch nachdem das Fieber gerade noch rechtzeitig abgeklungen war, gab ihr der Arzt einen Tag zuvor grünes Licht.

“Ohne diese Probleme im Vorfeld wäre ich sicherlich den ersten Abschnitt flotter angegangen”, sagte Uta, die sich somit anfangs zurückhielt, weil sie nicht genau wusste, wie es um ihre Verfassung bestellt war. Sechs Läuferinnen passierten die 10-km-Marke nach 33:29 Minuten: Neben der Berlinerin waren dies Olga Markowa, Walentina Jegorowa (beide Russland), Elana Meyer und Colleen de Reuck (beide Südafrika) sowie Albertina Dias (Portugal).

Als Erste fiel dann überraschend Markowa zurück, dann konnte Dias das Tempo nicht mehr halten. Nachdem Olympiasiegerin Jegorowa für kurze Zeit einen Vorsprung herausarbeiten konnte, konterte Uta Pippig bei Kilometer 25 (1:24:10). Nachdem dieser Tempoverschärfung die Russin und de Reuck zum Opfer gefallen waren, konnte nur noch die Debütantin Elana Meyer mithalten.

“Ich merkte, dass sie müde wurde”, erzählte Uta Pippig, die die Strecke bestens kennt und dann bezeichnenderweise am “Heartbreak Hill” angriff. “Das ist der letzte von drei Hügeln. Wenn man die Strecke nicht kennt, dann ist das dort schwierig”, sagte Uta, die die Südafrikanerin bereits am zweiten Hügel abhängte und dann einem sicheren Sieg entgegenlief. “Ich wusste am Ende, dass ich den Weltrekord an diesem Tag nicht mehr schaffen würde. Also genoss ich die letzten Meilen.”

Für Uta kam die enorme Steigerung nicht überraschend. Schon vor zwei Jahren sprach sie von Zeitbereichen, die bis dahin im Langstreckenlauf lediglich die Norwegerin Ingrid Kristiansen erreicht hatte. Dass die Berlinerin entgegen allen Unkenrufen tatsächlich in der Lage ist, die neun Jahre alte Marathon-Weltbestzeit von 2:21:06 Stunden zu unterbieten, hat sie nunmehr in Boston bewiesen. Bei ihrem famosen Lauf hätte sie nur eine Sekunde pro Kilometerabschnitt schneller sein müssen, dann wäre die Kristiansen-Zeit gefallen.

Mit 2:21:45 Stunden steht Uta an dritter Stelle der ewigen Weltbestenliste. Diese enorme Leistungssteigerung mag für viele überraschend kommen, nicht jedoch für sie selbst und ihren Trainer Dieter Hogen. Denn das Vermögen der 28-Jährigen hatte sich in den letzten Jahren im Training immer wieder angedeutet, doch konnte sie es bis dato im Wettkampf oft nicht wunschgemäß umsetzen.

© adidas
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Bei den Olympischen Spielen 1992 litt sie unter einer schweren Erkältung, beim Berlin-Marathon im gleichen Jahr verhinderte eine Fußverletzung den damals schon angepeilten deutschen Rekord, und vor der Weltmeisterschaft in Stuttgart hatte die ehrgeizige Läuferin übertrainiert.

Die Weltbestzeit ist nun eines ihrer mittelfristigen Ziele. “Wenn ich den Rekord angreife, dann würde ich das natürlich am liebsten in Berlin tun”, sagt Uta, die allerdings unmittelbar nach ihrem Erfolg in Boston eher dahin tendiert, in diesem Jahr keinen Marathon mehr zu laufen. Sollte sie doch noch einmal starten, dann wohl am ehesten als Titelverteidigerin in New York.

Schon lange vorher stand fest, dass sie die Bahnsaison und damit die EM in Helsinki auslassen wird. Denn die Medizinstudentin will im Sommer ihr Physikum schaffen, das sie vor einem Jahr krankheitsbedingt hatte abbrechen müssen. Die Pause kommt gelegen, denn Uta will sich von dem harten Training erholen, bevor sie die nächsten drei Jahre mit zwei Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen voll und ganz dem Laufen widmen will.