Fußball – die große Spielwiese der Kindheit

Von Piet Könnicke
© Betty Shepherd
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Es gibt nur wenige Sportarten, die sich auf der ganzen Welt großer Beliebtheit erfreuen und überall ausgeübt werden. Fußball gehört definitiv dazu. Denn egal, in welchem Land der Erde ein Kind zu Hause ist – schießt man ihm einen Ball zu, versteht es die Botschaft sofort: Komm, lass uns Fußball spielen! Pelé, Maradonna, Beckenbauer, Zidane und Ronaldo sind durch ihre magischen Fußballkünste zu internationalen Superstars aufgestiegen. Überall auf der Welt tragen Kinder die Trikots mit dem Namen oder der Nummer ihrer Helden und üben unermüdlich die Tricks ihrer Lieblingsfußballer. Laut FIFA (Fédération Internationale de Football Association) spielen weltweit 265 Millionen Menschen Fußball, was ihn unbestritten zum beliebtesten Sport aller Zeiten macht – und zum Lieblingssport von Kindern.

Die vielfältigen Lektionen des Fußballs

Während sich ihre motorischen Fertigkeiten entwickeln, fühlen sich Kinder beinahe automatisch herausgefordert, mit einem Ball zu spielen – und ihn unter Kontrolle zu halten. Fußball bietet dabei nicht nur diese Herausforderungen, sondern fördert darüber hinaus die Entwicklung der Ausdauer, Kraft, der koordinativen und kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie der sozialen Kompetenz der Kinder. Um gut Fußball spielen zu können, braucht ein Kind zudem Teamgeist und taktisches Verständnis für die Gestaltung  eines Spieles.

  • Was Kinder auf dem Fußballplatz lernen, hilft ihnen auch in anderen sozialen Bereichen.
  • Kinder lernen, sich an die Spielregeln zu halten. Diese Fähigkeit überträgt sich nicht nur auf andere Spiele, sondern auch auf andere Lebenssituationen.
  • Fußballspielen stellt viele körperlichen Anforderungen und schult dadurch die Koordination, so lernen Kinder, sich ihrer sportlichen Fähigkeiten bewusst zu werden, sie einzuschätzen und einzusetzen.
  • Kinder trennen sich in einer Mannschaftssportart vom egozentrierten Handeln und lernen soziale Abhängigkeiten kennen.
  • Aufgrund seiner weltweiten Popularität ermöglicht Fußball – mehr als andere Sportarten – Kindern den Bezug zu Kindern anderer Kulturen, was ein wichtiger Beitrag zu einer toleranteren Weltanschauung im Erwachsenenalter sein kann.

Fußball fördert eine Reihe physiologischer Aspekte. Er verbessert das Ausdauervermögen der Kinder und sie können den ständigen Wechsel zwischen intensiver und ausdauernder Belastung während eines Fußballspiels gut tolerieren. Und dass Kraft, d.h. die Fähigkeit, den Ball hart und schnell zu schießen, im Fußball von großer Bedeutung ist, lernen Kinder schnell. So haben sie bald auch die alte Fußball-Weisheit verinnerlicht, dass man mit Kraft und Ausdauer allein zwar keine Spiele gewinnt, aber Niederlagen verhindern kann.

© Betty Shepherd
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Neben der Grundlagenausdauer und der Kraft schult das Fußballspielen auch Schnelligkeit und Schnellkraft. Kurze Sprints mit und ohne Ball sowie der Sprung zum Kopfball werden zum einen speziell trainiert, zum anderen entwickeln sich diese Komponenten zwangsläufig in den verschiedenen Situationen eines Spiels. Darüber hinaus wird im Training und durch das Fußballspiel selbst ein Kraftpotenzial entwickelt, das die Kinder brauchen, um Zweikämpfe führen zu können und zu gewinnen.

Ein außerordentlicher Vorteil des Fußballs ist, dass es einem Kind ermöglicht, sich über zwei Dinge hinwegzusetzen, die außerhalb seiner Kontrolle erscheinen: die sensomotorische Frühentwicklung sowie die Evolution! Jedes Kind liebt Fußballtricks – vom außergewöhnlichen Dribbling bis hin zum Jonglieren des Balles. Kinder verbringen Stunden damit, diese Tricks zu üben und ihren Idolen nachzueifern, obwohl sie dabei zunächst mit großer Wahrscheinlichkeit an ihre Grenze gelangen. Gelingt es einem Kind aber, diese Tricks auszuführen, setzen sie sich dabei über natürlich vorhandene körperliche Beschränkungen hinweg, denn sowohl Kinder als auch Erwachsene sind mit den Händen viel geschickter als mit den Füßen. Das liegt einerseits an der sensomotorischen Frühentwicklung, in der Säuglinge über das Greifen und Tasten ihre Welt erfahren. Den Füßen wird hingegen nur wenig Beachtung geschenkt, entsprechend schwach ist die Entwicklung ihrer Koordinationsfähigkeit. Dass die Füße in ihrer Entwicklung hinter den Händen zurückliegen, ist auch auf den Evolutionsverlauf zurückzuführen, in dem die unteren Gliedmaßen mehr und mehr der Fortbewegung dienten, während die Arme und vor allem Hände für feinere koordinative Handlungen genutzt wurden. Somit liegen mehr nervale Endungen in unseren Händen als in unseren Füßen, wodurch erstere mehr „natürliche“ Fähigkeiten besitzen. Fußball aber wirkt einer gewissen Grobmotorik der Füße entgegen. Durch die verschiedenen Arten, den Ball mit dem Fuß zu stoppen und zu schießen, durch Dribbeln und vor allem durch Jonglieren des Balles – der typischsten Koordinationsübung –, wird ein zusätzliches Bewegungspotenzial gefördert, das sich andernfalls so nicht entwickeln würde.

Einstein oder Fußball?

Fußball bietet Kindern eine überraschend große Vielfalt an Situationen und äußeren Bedingungen. Ebenso wie Einstein muss das „Fußballhirn“ eines Kindes lernen, Raum und Zeit zu interpretieren. Denn die Kinder müssen nicht nur in der Lage sein, den Ball mit ihren Füßen unter Kontrolle zu halten, sie müssen ebenfalls Aspekte von Raum und Zeit einkalkulieren können: die Geschwindigkeit des herannahenden Balles sowie den Zeitpunkt seines Eintreffens, die Distanz zum Gegenspieler und die nötige Kraft, um den Ball zum Mitspieler schießen zu können, bevor der Gegenspieler dazwischen gehen kann.

Spielen kleine Kinder Fußball auf einem abgesteckten Spielfeld, sind alle da, wo der Ball ist. Es gibt kaum ein Zusammenspiel, das komplette Ausmaß des Spielfeldes wird überhaupt nicht genutzt und Geschwindigkeiten von Pässen oder Schüssen werden völlig falsch eingeschätzt. Das ändert sich im Laufe des Trainings, wenn das kindliche Gehirn gelernt hat, Raum und Zeit abzuschätzen. Kinder lernen ihre Kraft richtig einzusetzen, um einen Pass zu geben; sie lernen, an sie gerichtete Pässe richtig einzuschätzen; sie nutzen das gesamte Spielfeld und sie erkennen, dass jeder einzelne Spieler einen bestimmten Spielraum nutzt und dort seine Position im Mannschaftsgefüge hat. So kann aus jedem aufstrebenden Fußballspieler ein kleiner Einstein werden.

Gut für die Persönlichkeit

Ein Fußballspiel gewinnt oder verliert man gemeinsam. Aus dieser Erfahrung und diesem Verständnis formen sich einzelne Persönlichkeitsstrukturen. Es findet eine Sozialisation durch den Sport und im Sport statt. In der Regel sind Kinder, die eine Mannschaftssportart betreiben, sozial gut integriert, haben Freunde, weniger Probleme mit den Eltern und bewältigen die typischen Krisen des Kinder- und Jugendalters meist leichter, weil ihnen durch den Sport ein gewisses Maß an Konfliktmanagement und ein Gefühl für gemeinschaftliches Handeln vermittelt wird. Hinzu kommt im Fußball, dass den Kindern aufgrund der Popularität dieser Sportart eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz, Anerkennung und Förderung zuteil wird.

Während die positive Beeinflussung der Persönlichkeitsentwicklung ein großer Vorzug des Fußballs ist, gibt es ein Element, das aufgrund der zunehmenden Kommerzialisierung des Sports verloren geht: das Verspielte. Da Kinder das Fußballspielen immer früher in Fußballvereinen lernen, geht ihnen ihr natürlicher kindlicher Spieltrieb verloren. Das Prellen, Fangen, Werfen, Stoppen, Passen oder Schießen im Garten oder auf der eigenen Wiese aber ist für eine allumfassende sportliche Entwicklung von Kindern wichtig („Es gibt keine unsportlichen Kinder“). Diese spontanen und erkundenden Bewegungen sollten nicht aus dem Alltag von Kindern verschwinden. Eltern können dafür sorgen, dass Kinder beides erfahren. Kinder unter neun bzw. elf Jahren sollten kein spezifisches, limitiertes Training absolvieren. Wollen Eltern ihre Kinder frühzeitig in einem Fußballverein anmelden, sollten sie Wert darauf legen, dass auf die vielfältigen Bewegungsbedürfnisse der Jungen und Mädchen Rücksicht genommen und dass genug „Spielzeit“ gewährleistet wird und dass das Training nicht zu streng oder einseitig ist.

Gelingt es, Kindern die natürlichen Bewegungsräume für das Ballspielen wieder nahe zu bringen, steht nachhaltigem Spaß und einer gesunden Entwicklung nichts im Wege. Dafür können Eltern selbst sorgen, denn Fußball spielen kann man fast überall – im Park, im Garten, auf dem Hof oder auf einer Wiese. Seien Sie selbst mal wieder Kind – schnappen Sie sich Ihren Schützling und kicken Sie los!