Wilson Kipsang träumt voller Hoffnung von den Olympischen Spielen
Als der kenianische Läufer Wilson Kipsang beim BMW Frankfurt-Marathon im vergangenen Oktober ins Ziel stürmte, lief er bis auf vier Sekunden an den Weltrekord heran. 2:03:42 Stunden zeigten die Uhren in der Frankfurter Festhalle, 2:03:38 war sein Landsmann Patrick Makau einen Monat vorher in Berlin gelaufen. Wäre Wilson pro Kilometer nur eine Zehntelsekunde (also pro 100-Meter-Abschnitt nur eine Hundertstelsekunde) schneller gewesen, dann wäre er der neue Weltrekordler. Aber es war dennoch nicht der knappste Weltrekordversuch in der Marathon-Geschichte: 1985 kam der Brite Steve Jones in Chicago an die ein halbes Jahr zuvor in Rotterdam von Carlos Lopes (Portugal/2:07:12) aufgestellte Bestmarke bis auf eine Sekunde heran.
Unmittelbar nach dem Zieleinlauf konnte man Wilson die Enttäuschung ansehen, doch kurz darauf überwog die Freude über eine außerordentliche Leistung. „Ich freue mich über meine Zeit und werde es beim nächsten Mal erneut versuchen, den Weltrekord zu brechen. Dieses Resultat ist eine große Motivation für mich hinsichtlich meiner nächsten Rennen“, erklärte der 29-Jährige und fügte hinzu: „Es ist immer gut, gegen starke Konkurrenz zu laufen. Wenn man dann ein so hochklassig besetztes Rennen gewinnt, gibt das viel Selbstvertrauen.“
„Mein nächstes großes Ziel sind die Olympischen Spiele in London im Sommer.“ Trotz der famosen Zeit von Frankfurt hat der kenianische Verband Wilson noch nicht aufgestellt. Er gehört aber zu einem halben Dutzend vornominierter Athleten. So stark ist die kenianische Konkurrenz, dass der Verband sich erst nach dem Marathon-Frühjahr festlegen möchte. Daher wird Wilson am 22. April in London starten. Dort trifft er unter anderen auf den Weltrekordler Patrick Makau.
Bereits 2010 hatte Wilson Kipsang in Frankfurt für Furore gesorgt: Damals war es das Ziel des kenianischen Athleten, den Streckenrekord von 2:06:14 Stunden zu unterbieten. Das schaffte er auf eindrucksvolle Art und Weise – mit einer Steigerung auf 2:04:57. „Ich war zuversichtlich, denn ich hatte sehr hart trainiert. Ich wusste, dass ich alles getan hatte, um hier zum Erfolg zu kommen“, erklärte Wilson damals und erläuterte weiter: „Das ist wie bei einer Schulprüfung – wenn Du erst in der Nacht davor anfängst zu üben, ist es zu spät. Du musst Dich gut vorbereiten, dann kannst Du auch zuversichtlich sein.“
Ein wöchentliches Laufpensum von 140 bis 200 Kilometern bildet die Grundlage für den Erfolg von Wilson, der in Iten lebt und dort in einer Gruppe mit anderen Topläufern trainiert. Darunter sind Wilson Chebet (er gewann 2011 den ABN AMRO Rotterdam-Marathon in 2:05:27 und startet ebenfalls am 22. April in London) und gelegentlich auch Patrick Makau. Einen festen Coach hat Wilson nicht. „Wir stellen uns unser Trainingskonzept selber zusammen. Entscheidend ist dann, dass wir das Programm auch stringent befolgen. Wenn wir das tun, brauchen wir nicht unbedingt einen Trainer“, erklärt der Ausnahmeathlet, der im Vorfeld seiner Steigerung auf 2:03:42 Stunden das Laufprogramm etwas verändert hatte: „Ich habe vor dem Frankfurt-Marathon 2011 mehr Qualität trainiert als noch im Jahr zuvor.“ Das heißt, er ist vor allem verstärkt schnellere Einheiten gelaufen.
Wilson ist als Kind einer Farmerfamilie rund 50 km von Iten, einem auf etwa 2.330 Meter Höhe liegenden Zentrum für kenianische Weltklasseläufer, aufgewachsen. In seiner Kindheit lebte er jedoch im Tal und profitierte in dieser Zeit nicht von der im Allgemeinen leistungsfördernden Höhenluft. Auch ist er als Kind nicht weit gelaufen. „Ich habe erst in der Oberschule bei Wettkämpfen gemerkt, dass ich Talent habe“, erzählt er.
Es dauerte dann noch einige Jahre, bevor der kenianische Läufer mit ernsthaftem Training begann. Nach der Schule arbeitete er zunächst als Zwischenhändler von Farm-Produkten. „Doch nach drei Jahren wollte ich das nicht mehr machen“, erinnert sich Wilson, der daraufhin in Iten mit dem Lauftraining begann. „Ich war damals 21 Jahre alt und wollte es mit dem Laufsport versuchen. Ich kannte andere Läufer, die in Iten trainierten.“ Es war das Jahr 2003, und Paul Tergat verbesserte in Berlin den Marathon-Weltrekord. „Das bedeutete eine große Motivation für mich und viele andere kenianische Läufer. Ich habe das Rennen damals im Fernsehen gesehen und sah, dass Laufen ein wirklich toller Sport ist und man davon auch leben kann. Zudem hat mich Paul Tergats Werdegang inspiriert. Ich wusste natürlich nicht, ob ich es schaffen würde. Ich habe aber gehofft, dass ich ein solches Niveau erreiche und habe hart dafür gearbeitet“, sagt Wilson, der allerdings das Glück hatte, vor einigen Jahren überhaupt erst die Möglichkeit zu bekommen, bei großen Straßenrennen außerhalb Kenias an den Start zu gehen.
Bei kenianischen Wettkämpfen war Wilson bald erfolgreich. Doch er hatte keinen Manager. Über Trainingspartner entstand dann der Kontakt zum Holländer Gerard van de Veen. Mit etwas Glück bekam er die Chance, sein Talent bei einem Rennen in Europa unter Beweis zu stellen. Ein für den Jever Fun-Lauf im norddeutschen Schortens verpflichteter kenianischer Athlet fiel 2007 verletzt aus und so schickte Gerard van de Veen kurzfristig Wilson in das 10-Meilen-Rennen. „Ich bekam zunächst eine E-Mail von einem meiner Läufer, der mir sagte, dass es da in der Trainingsgruppe einen starken neuen Athleten geben würde. Er fragte mich, ob ich ihn mit ins Team nehmen könnte, aber ich sagte nein, denn wir hatten keinen Platz mehr“, erinnert sich Gerard van de Veen. „Ich hatte für drei Teilnehmer einen Start beim Jever Fun-Lauf organisiert. Als sich dann in letzter Minute einer verletzte, sagte ich zu Wilson: ‚Das ist Deine Chance!‘“
„Ich hatte Glück und habe meine Chance genutzt“, erzählt Wilson, der das Rennen gewann, einen zehn Jahre alten Streckenrekord unterbot und noch eine Jahresweltbestzeit aufstellte – das war sein Durchbruch.
Einen Teil seiner erlaufenen Prämien und Startgelder investiert Wilson in Kenia in den Bau von Häusern. Nebenbei trainiert er in Kenia seine Frau Doreen, mit der er drei Kinder hat. „Sie macht gute Fortschritte“, erzählt der Frankfurt-Marathon-Sieger.
Einmal startete das Lauftalent bisher bei einer großen interkontinentalen Meisterschaft für Kenia. 2009 verpasste er bei den Halbmarathon-Weltmeisterschaften in Birmingham (Großbritannien) die Bronzemedaille nur um acht Sekunden. Er wurde Vierter in 60:08. Auch über die Halbmarathondistanz gehört er zu den schnellsten Läufern aller Zeiten: Mit seiner Bestzeit von 58:59 Minuten, die er 2009 als Zweiter des Rennens von Ras Al Khaimah (Vereinigte Arabische Emirate) aufstellte, ist er der siebtschnellste Läufer. Doch die Marathondistanz, über die er nach seinem Debüt in Paris alle folgenden drei Rennen jeweils mit Streckenrekorden gewann, ist die Zukunft für Wilson Kipsang.
Wilson Kipsangs Marathonläufe:
Zeit (Stunden) | Platz/Veranstaltung |
2:07:13 | 3. Paris 2010 |
2:04:57 | 1. Frankfurt 2010 (Kursrekord) |
2:06:13 | 1. Lake Biwa/JPN 2011 (Kursrekord) |
2:03:42 | 1. Frankfurt 2011 (Kursrekord) |
- Erschienen am 24. February 2012
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