Wilson Kipsang: Inspiriert von Paul Tergat

Von Jörg Wenig

Wilson Kipsang 2011 in Kenia. © www.PhotoRun.net
Wilson Kipsang 2011 in Kenia. © www.PhotoRun.net
Wilson Kipsang schaffte in diesem Jahr ein Novum: Er ist der einzige Leichtathlet, der 2013 einen Weltrekord im Freien aufstellte. Der 31-jährige Kenianer lief beim Berlin-Marathon Ende September 2:03:23 Stunden und unterbot damit die alte Marke seines Landsmannes Patrick Makau um 15 Sekunden. Der Weltrekord des Wilson Kipsang kam nicht unerwartet. Wilson hatte zuvor sein enormes Potenzial immer wieder unter Beweis gestellt.

Er lief vor seinem Berliner Rekordrennen zu zwei starken Siegen in Frankfurt, triumphierte beim London-Marathon und holte die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 2012. Im November wurde der Ausnahmeathlet dann bei einer Gala im Rahmen des Athen-Marathons zum Marathonläufer des Jahres gekürt. Erstmals hatte die Association of International Marathons and Distance Races (AIMS), der weltweit über 350 Laufveranstalter angehören, die Wahl zum „AIMS Best Marathon Runner of the Year“ organisiert.

Wilson feiert seinen großen Triumph in Berlin. © www.PhotoRun.net
Wilson feiert seinen großen Triumph in Berlin. © www.PhotoRun.net
„Vor zehn Jahren“, erzählt Wilson, „habe ich in Kenia im Fernsehen zugeschaut, als Paul Tergat in Berlin den Marathon-Weltrekord brach.“ Sein kenianischer Landsmann unterschritt damals eine Zeitbarriere und erreichte das erste Ergebnis unter 2:05 Stunden (2:04:55) über die klassischen 42,195 Kilometer. „Das hat mich sehr inspiriert, und ich habe daraufhin mit ernsthaftem Training begonnen. Jetzt habe ich mir mit dem Weltrekord meinen Traum erfüllt.“

Vor dem BMW Berlin-Marathon war Wilson bekannt als der Läufer, der beim BMW Frankfurt-Marathon vor zwei Jahren den Weltrekord um gerade mal vier Sekunden verpasst hatte. Nach 2:03:42 war er 2011 dort ins Ziel gestürmt. Ein halbes Jahr später gewann er den London-Marathon 2012 und galt daraufhin als einer der großen Favoriten bei den Olympischen Spielen an gleicher Stelle. Im olympischen Marathon lag Wilson lange Zeit in Führung, doch am Ende reichte die Kraft nicht ganz. Er konnte aber noch die Bronzemedaille gewinnen.

Schon vor dem Berlin-Marathon war Wilson bemerkenswert zuversichtlich. „Ja, der Weltrekord ist mein Ziel. Ich weiß, dass es möglich ist für mich, ihn zu brechen, wenn wir alle gut zusammenarbeiten im Rennen“, hatte der 31-Jährige bei der Pressekonferenz zwei Tage vor dem Start gesagt. Selten hatte ein Athlet in der Vergangenheit sich so klar bezüglich eines Weltrekordversuchs geäußert. „Ich bin vor einem großen Rennen immer sehr entspannt. Wenn du gut trainiert und keine körperlichen Probleme hast, dann brauchst du nicht nervös zu sein“, erklärte Wilson seine Zuversicht später.

Wilson auf dem Weg zum Weltrekord in der deutschen Hauptstadt. © www.PhotoRun.net
Wilson auf dem Weg zum Weltrekord in der deutschen Hauptstadt. © www.PhotoRun.net
Seine Berliner Weltrekordzeit betrachtet Wilson aber noch nicht als das Ende seines Leistungsvermögens. „Ich möchte meine Bestzeit weiter verbessern, denn ich denke, dass ich noch schneller laufen kann“, erklärte der kenianische Athlet. Wie weit er sich noch steigern kann, weiß Wilson allerdings nicht. „Ich kann kein Limit angeben, denn das ist ein Entwicklungsprozess, der mit dem Training zusammenhängt. Es wird schwierig, unter 2:03 Stunden zu laufen, doch es ist nicht unmöglich“, sagte Wilson und fügte hinzu: „Aber eigentlich würde mir zunächst einmal alles reichen, was schneller als 2:03:23 Stunden ist.“

Gut möglich ist, dass er für eine weitere Weltrekordjagd nach Berlin zurückkommen wird. Aber auch in Frankfurt möchte er gerne noch einmal laufen. 2014 wird Wilson zunächst bei einem der großen Frühjahrs-Marathonläufe an den Start gehen. Voraussichtlich dürfte dies das Rennen in London sein. Da im Sommer keine großen interkontinentalen Meisterschaften auf dem Programm stehen, könnte ein erneuter Start bei einem schnellen Herbstmarathon durchaus ein Thema sein.

„Mein nächstes längerfristiges Ziel ist der Gewinn einer großen Goldmedaille – entweder bei Weltmeisterschaften oder bei Olympischen Spielen“, erklärte Wilson. Die nächste WM findet 2015 in Peking statt, die nächsten Olympischen Spiele folgen ein Jahr später in Rio de Janeiro.

Wilson mit seiner Trainingsgruppe 2011 in Kenia. © www.PhotoRun.net
Wilson mit seiner Trainingsgruppe 2011 in Kenia. © www.PhotoRun.net
Wilson ist in der Nähe von Iten aufgewachsen. Aus der Gegend stammen etliche kenianische Weltklasseläufer. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Athleten aus Afrika hatte er keinen weiten Schulweg, so dass das Laufen zur Schule für ihn keine Grundlage für seine leistungssportliche Karriere bilden konnte. In der Oberschule merkte Wilson bei Wettkämpfen, dass er Talent hatte. Doch es dauerte einige Jahre, bis er sich auf das Laufen konzentrierte. Zunächst arbeitete Wilson als Zwischenhändler für landwirtschaftliche Produkte. „Nach drei Jahren wollte ich das nicht mehr machen“, erzählte der neue Weltrekordler, der dann mit zielgerichtetem Lauftraining begann. Er war 21 Jahre alt, es war das Jahr 2003, und Paul Tergat lief in Berlin den Marathon-Weltrekord. Das war die entscheidende Inspiration, die Wilson benötigte.

„Paul ist fast ein Verwandter von mir. Er ist in der Nähe aufgewachsen, und ich habe auch mit ihm trainiert. Unsere Familien kennen sich“, erzählte Wilson, der wöchentliche Kilometerumfänge zwischen 140 und 200 in seinem Grundlagentraining für den Marathon absolviert. „Ich habe Paul früher befragt nach dem Training, der disziplinierten Lebensweise und nach den Wettkämpfen – er hat mir Ratschläge gegeben, an die ich mich gehalten habe.“

Wilson bei der Ehrung zum AIMS Best Marathon Runner of the Year in Athen. © ACM/Marathon Photo
Wilson bei der Ehrung zum AIMS Best Marathon Runner of the Year in Athen. © ACM/Marathon Photo
Nach seinen großen Erfolgen hofft Wilson, dass er mit diesen nun selbst Kinder und Jugendliche motivieren kann. „Es ist eine große Ehre für mich, dass ich zum Marathonläufer des Jahres gewählt wurde. Solche Auszeichnungen sind eine Motivation für alle jungen Läufer – nicht nur in Kenia, sondern überall auf der Welt. Sie wollen eines Tages auch ganz oben stehen“, sagte Wilson, dessen Frau Doreen, mit der er drei Kinder hat, ebenfalls läuft. Sie rennt allerdings nicht auf internationalem Niveau.

Mit dem vorherigen Marathon-Weltrekordler Patrick Makau hat Wilson Kipsang übrigens einiges gemeinsam: Beide liefen in Deutschland zu ihren ersten und größten Erfolgen, beide haben schon zusammen trainiert, beide haben keinen Trainer, und beide haben mit Paul Tergat dasselbe Idol. „Wir stellen uns unser Trainingsprogramm selber zusammen. Entscheidend ist dann, dass wir das Programm auch stringent befolgen. Wenn wir das tun, brauchen wir nicht unbedingt einen Trainer“, erklärte Wilson, der den Marathonlauf mit einer Schulprüfung vergleicht: „Wenn Du erst in der Nacht davor anfängst zu üben, ist es zu spät. Du musst Dich gut vorbereiten, dann kannst Du auch zuversichtlich sein.“

Wilson Kipsangs Marathonläufe:

 3. Paris 2010 2:07:13 Stunden
 1.
 Frankfurt 2010 2:04:57 (Streckenrekord)
 1.
 Lake Biwa (JPN) 2011 2:06:13 (Streckenrekord)
 1.
 Frankfurt 2011 2:03:42 (Streckenrekord)
 1.
 London 2012 2:04:44
 3.
 Olympische Spiele London 2012 2:09:37
 5.
 London 2013 2:07:47
 1.
 Berlin 2013 2:03:23 (Weltrekord)