Unruhen in Kenia erfassen auch die Laufstars

Eine Gruppe von KIMbia-Athleten trainiert in der Nähe von Iten. Derartiges Training ist zurzeit in dieser Gegend nicht möglich. © www.PhotoRun.net
Eine Gruppe von KIMbia-Athleten trainiert in der Nähe von Iten. Derartiges Training ist zurzeit in dieser Gegend nicht möglich. © www.PhotoRun.net

Die Unruhen in Kenia in der Folge der umstrittenen Präsidentschaftswahl von Mwai Kibaki machen auch vor den Läufer-Stars des Landes nicht halt. Ein zu Tode geschlagener Olympia- teilnehmer, ein verletzter Weltmeister und eine Crosslauf-Junioren- Weltmeisterin, die keine Chance hat, zu ihrem geplanten Wettkampf nach Europa zu gelangen – das sind nur drei Beispiele für die Gewalt und das Chaos, das derzeit besonders im Westen des Landes herrscht und auch die Topläufer trifft. Genau in dieser Gegend – dem Great Rift Valley mit der Stadt Eldoret – ist das Gros der kenianischen Weltklasseläufer zu Hause.

Es war in Eldoret, wo mindestens 30 Menschen starben, als die Kirche, in der sie Zuflucht gesucht hatten, in Brand gesteckt wurde. Kurz zuvor war in der Nähe Lucas Sang erschlagen worden. 1988 gehörte er in Seoul zum kenianischen Olympiateam über 4×400 m. Die Kenianer wurden damals Achter im olympischen Finale – Sang lief als Zweiter und übergab den Stab dann an Paul Ereng, der zuvor das 800-m-Olympiagold gewonnen hatte. Mit 45,08 Sekunden war Sang damals die schnellste Zeit der vier Kenianer gelaufen. Später wechselte Lucas Sang auf die 800-m-Strecke. Doch angesichts der starken Konkurrenz wurde er schließlich zum Pacemaker. Nach dem Ende seiner aktiven Karriere arbeitete er als Farmer in Eldoret.

„Lucas war zu Fuß auf dem Weg zurück nach Hause in Kumumu, als er angegriffen wurde“, berichtete ein schockierter Moses Tanui – früherer 10.000-m-Weltmeister und Geschäftspartner von Sang – gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP.

„Ich habe Angst um meine Läufer“, sagt der deutsche Manager Volker Wagner, der eine Reihe von kenianischen Weltklasseathleten betreut. Regelmäßig sind Gruppen seiner Läufer in der Nähe von Detmold untergebracht, doch ausgerechnet jetzt sind alle in Kenia. Darunter ist auch die frühere Marathon-Weltrekordlerin Tegla Loroupe. In einem Telefonat hat die Läuferin ihrem Manager erklärt: „Das Training ist mir zu gefährlich. Es wird hier immer schlimmer.“ Tegla Loroupe lebt in Kapenguria, rund eineinhalb Stunden von Eldoret entfernt nahe der ugandischen Grenze. „In der Zwischenzeit“, erzählt Volker Wagner, „traut sie sich nicht einmal mehr in die Stadt. Jemand anders hat ihr eine Telefonkarte besorgt, damit der Kontakt zur Außenwelt nicht abbricht.“

In der Zwischenzeit haben sich bereits Mitarbeiter der UN bei Volker Wagner gemeldet, weil die Vereinten Nationen überlegen, bestimmte Personen aus Kenia auszufliegen, um sie in Sicherheit zu bringen. Tegla Loroupe ist UN-Botschafterin für Sport und sehr aktiv bei einer Reihe von Projekten.

Für viele Läufer ist ein Training offenbar nicht mehr möglich. Zu Volker Wagners Gruppe gehört auch Abel Kirui, der sich beim Berlin-Marathon als Zweiter auf 2:06:51 Stunden steigerte. „Abel trainiert zurzeit nur in den frühen Morgenstunden – danach ist es ihm zu gefährlich“, berichtet Volker Wagner.

Zu den vielen bei den Unruhen Verletzten gehört auch einer der neuesten kenianischen Läuferstars: Luke Kibet. Der Marathon-Weltmeister von Osaka, der im vergangenen Jahr auch den Wien-Marathon gewonnen hatte, erlitt eine Kopfwunde, die im Krankenhaus versorgt werden musste. Es gibt unterschiedliche Angaben, wie es zu der Verletzung von Luke Kibet kam, der vom Holländer Frans Denissen und Volker Wagner gemeinsam betreut wird. Die Rede ist zum einen von einem Stein oder einer Eisenstange, die er an den Kopf bekam, zum anderen wird von einem Macheten-Angriff (Buschmesser) gesprochen. Auch ist nicht ganz klar, ob dies im Rahmen seines Dienstes passierte. Kibet ist Angestellter der Gefängnisanstalten. Viele kenianische Läufer sind vom Staat angestellt – im Gefängnis, im Militär oder bei der Post. So befinden sie sich derzeit in einer heiklen Lage.

Seinen geplanten Start beim Halbmarathon in Egmond (Niederlande) musste Luke Kibet aufgrund seiner Kopfverletzung absagen. Ob er überhaupt eine Chance gehabt hätte, nach Holland zu reisen, wäre ohnehin fraglich gewesen. Am 13. April soll der 24-Jährige beim London-Marathon an den Start gehen.

Vergeblich hatte Linet Masai, die Junioren-Crossweltmeisterin, in den vergangenen Tagen versucht, Kenia zu verlassen, um bei einem Rennen in Belfast an den Start zu gehen. Die 18-Jährige hatte keine Chance, von Eldoret nach Nairobi zu kommen. „Sie konnte keinen Platz in einem Flug bekommen. Menschen standen die ganze Nacht über an und Linet gelang es nicht einmal, überhaupt in das Flughafenterminal von Eldoret zu kommen“, berichtet ihr Londoner Manager Ricky Simms und fügt hinzu: „Auf dem Flughafen werden nur Maschinen mit 25 Plätzen eingesetzt – und gestern wollten 800 Menschen aus Eldoret wegfliegen. Angestellte der Regierung und des Militärs erhalten Priorität. Linet unternahm dann einen weiteren Versuch um drei Uhr morgens, hatte aber wiederum keine Chance.“

Sehr schwierig ist die Lage auch in Iten, einem beliebten Höhentrainingslager. Hier trainieren beispielsweise die kenianischen Läufer der KIMbia-Gruppe von Dieter Hogen und Tom Ratcliffe. „Ich habe mit den meisten unserer Athleten gesprochen – es geht ihnen gut und sie bleiben immer in der Nähe ihres Wohnortes.

Benjamin Maiyo war in der vergangenen Woche in Iten und hat erzählt, dass er früh morgens trainiert hat und dabei auf der Hauptstraße geblieben ist. Er wollte nicht durch abgelegene Farmen rennen“, erzählt Tom Ratcliffe.

In der Nähe von Iten unterhalten die Cross- und Halbmarathon-Weltmeisterin Lornah Kiplagat (Niederlande) und ihr Mann Pieter Langerhorst ein Trainingscamp. Auf der Internetseite des internationalen Sportjournalisten-Verbandes AIPS wird Langerhorst mit den Worten zitiert: „Die Situation ist absolut unglaublich.“ Er und Kiplagat, die sich eigentlich auf ihren Start beim Dubai-Marathon am 18. Januar vorbereiten muss, haben schlaflose Nächte hinter sich. Sie hatten in ihrem Trainingscamp auch eine Gruppe von europäischen Läufern, die in der Zwischenzeit jedoch erfolgreich ausgeflogen werden konnten. Langerhorst erzählt auch, dass sie am Neujahrstag keine andere Wahl hatten als einer Gruppe von Kämpfern Essen zu geben. „Sie hätten uns ansonsten überfallen, um an das Essen zu kommen.“ Wie Volker Wagner zudem berichtet, wurden in Iten mehrere Häuser in Brand gesteckt.

Verschiedene Crossrennen, unter anderem in Eldoret, wurden bereits abgesagt. Dass am Wochenende dennoch eine Reihe von Kenianern bei internationalen Rennen erfolgreich waren, liegt daran, dass diese Läufer von ihren Managern zurzeit außerhalb Kenias untergebracht sind. So gewann Edwin Cheruiyot Soi am Sonnabend den hochkarätigen Crosslauf in San Giorgio su Legnano in der Nähe von Mailand. Hier triumphierte bei den Frauen überraschend die Britin Kate Reed. „Dieser Sieg ist für Kenia“, sagte Edwin Cheruiyot Soi, dessen Familie sich in Kenia in Sicherheit befindet.