Spiridon Louis: ,Großvater war eigensinnig’
Viele Geschichten ranken sich um den Marathonlauf des Spiridon Louis von 1896. Der Sieger der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit wurde damals in Athen zu einem griechischen Nationalhelden. Auf einer ähnlichen Streckenführung wie vor 108 Jahren wird nun am Sonntag bei den Olympischen Spielen der Marathon der Männer stattfinden. Gestartet wird, wie schon 1896, in Marathon, und auch das Ziel ist identisch: das klassische Panathinaikon-Stadion in Athen.
Im Vorfeld der letzten Leichtathletik-Entscheidung dieser Olympischen Spiele kamen nun noch einige Anekdoten hinzu. Denn Spiridon Louis wurde in den letzten Wochen zu einem beliebten Interviewpartner. Es handelt sich natürlich nicht um den Olympiasieger von 1896, der 1940 im Alter von 67 Jahren nach einem Herzinfarkt starb. Doch der gleichnamige Spiridon Louis ist einer von zwei Enkeln des Olympiasiegers. Nikolaus heißt der andere Enkel. Außerdem leben fünf Urenkel des Marathonläufers.
Spiridon Louis lebt heute noch in Maroussi, einem Athener Vorort, aus dem sein Großvater stammte. Dort erinnert ein Denkmal an den ersten und einzigen griechischen Marathon-Olympiasieger. Der Enkel Spiridon Louis hat seinen prominenten Opa nie kennen gelernt, denn er wurde 16 Tage nach dem Tod des Olympiasiegers geboren. Aber sein Vater hat ihm vieles über den Nationalhelden der Familie erzählt. „Ich weiß, dass er ein uneigennütziger Mann war mit einem sehr starken Charakter, er galt aber auch als eigensinnig. Vielleicht haben ihm diese Charakterzüge geholfen, den Marathonlauf zu gewinnen“, erzählte Spiridon Louis in einem Interview dem griechischen Korrespondenten der Deutschen Presse-Agentur, Takis Tsafos. Als Wasserträger absolvierte Spiridon Louis berufsbedingt ein tägliches Ausdauertraining. „Er war ein einfacher Mensch, von Sport wusste er gar nichts“, erzählt sein Enkel und nennt ein kurioses Beispiel: „Nach seinem Sieg sollten ihm seine Beine massiert werden. Doch als die Betreuer ihn anfassten, schrie er sie an: Was macht Ihr da? Das ist eine Schande. Lasst mich hier raus, ich will nach Maroussi, um mit meinen Freunden zu feiern.“
Eine andere Anekdote, der zu Folge Spiridon Louis auf dem Weg zu seinem Olympiasieg ein Glas Wein trank, stimme nicht, erklärte der Enkel, der bis zu seiner Rente als Ingenieur arbeitete. Richtig sei aber, dass ihm seine Freundin eine halbe Orange und sein zukünftiger Schwiegervater knapp 10 Kilometer vor dem Ziel ein Glas Cognac reichten.
Während es von ausländischen Medien großes Interesse an der Person von Spiridon Louis gibt, spielt die Familie in der griechischen Öffentlichkeit heute keine Rolle. Das Olympiastadion, das nur wenige Kilometer von Maroussi entfernt ist, trägt den Namen des Marathonläufers. Dort wird auch die Medaille, die Spiridon Louis 1896 gewann, aufbewahrt. Doch als einer seiner Urenkel zwei Tage vor der Eröffnung der Spiele als Fackelläufer das Olympische Feuer trug, war davon nichts im Fernsehen zu sehen. Und der Enkel Spiridon Louis erhielt nicht einmal eine Einladung vom Griechischen Olympischen Komitee für die Spiele.
Es gab auch keine materiellen Vorteile, von denen die Familie heute noch profitieren könnte. Der Marathonsieger hatte 1896 einen Wunsch frei beim König, doch er wählte weder ein Grundstück noch ein Haus, sondern ein Pferd und einen neuen Karren für seine Arbeit. „Wir haben nie finanziell von dieser Geschichte profitiert. Ich werde auch nie die Geschichte meines Großvaters dafür benutzen, um damit Geld zu verdienen“, erklärt Spiridon Louis.
Keiner aus der Familie ist nach dem Marathonsieg von 1896 je wieder einen Marathon gelaufen. „Aber die Leichtathletik fasziniert mich, besonders der Marathonlauf. Ich denke dann auch an die verschiedenen Bedingungen – die Widrigkeiten von damals und den Luxus von heute. Doch ich achte alle Teilnehmer des Marathonrennens. Wenn ich könnte, würde ich allen gratulieren. Wichtig ist, dabei zu sein. Das habe ich gelernt, und das ehre ich.“
Erschienen am 27. August 2004
- Erschienen am 27. August 2004
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