Paula Radcliffes grandioses Comeback in New York
Knapp zehn Monate vor dem olympischen Marathon in Peking ist Paula Radcliffe wieder da: Mit einem ebenso kämpferischen wie hochklassigen Comeback hat sich die 33-jährige Engländerin beim ING New York City-Marathon zurückgemeldet. In einem mitreißenden Zweikampf rang sie dabei die Äthiopierin Gete Wami förmlich nieder. Am Ende siegte Paula Radcliffe in 2:23:09 Stunden bei dem Rennen mit über 38.000 Teilnehmern aus aller Welt.
Im Duell gegen Gete Wami, die den Berlin-Marathon fünf Wochen zuvor in den Beinen hatte und nach ihrem Sieg in der deutschen Hauptstadt eine außerordentliche Leistung vollbrachte, wirkte Paula Radcliffe noch nicht ganz so stark wie zu ihren besten Zeiten, als sie in London zum Beispiel den Weltrekord auf 2:15:25 Stunden schraubte. Doch knapp elf Monate nach der Geburt ihres ersten Kindes und folgenden Verletzungsproblemen ist das auch nicht zu erwarten.
Gut 26 Monate nach ihrem WM-Triumph in Helsinki erzielte Paula Radcliffe auf Anhieb die drittschnellste Zeit des Jahres und hatte schließlich 23 Sekunden Vorsprung vor der Äthiopierin. Der Abstand täuscht, denn Gete Wami gab sich erst auf den letzten paar hundert Metern geschlagen. Doch die 32-jährige Äthiopierin, die Radcliffe auf der Bahn im Spurt unter anderem bei der WM 1999 im Kampf um das 10.000-m-Gold bezwungen hatte, kann sich trösten, denn sie wurde in New York zur Jackpot-Siegerin der ersten World Marathon Majors (WMM)-Serie und kassierte alleine dadurch 500.000 Dollar.
Nicht ganz so spektakulär aber trotzdem sehr spannend war das Rennen der Männer in New York. Hier setzte sich der Kenianer Martin Lel durch, der nach seinem Sieg in London im April nun auch im Central Park gewann. Nach 2:09:04 Stunden erreichte der 29-Jährige vor Abderrahim Goumri (Marokko/2:09:16) und Hendrick Ramaala (Südafrika/2:11:25) das Ziel. Wie in London hatte sich Lel dabei im Zweikampf gegen Goumri auf seinen starken Schlussspurt verlassen können. Als er gut 500 Meter vor dem Ziel antrat, war der Marokkaner wie schon bei seinem Debüt im April geschlagen. Wie Radcliffe erhielt auch Lel eine Siegprämie von 130.000 Dollar. Lange Zeit hatten es die Männer eher gemächlich angehen lassen. In einem Rennen ohne Tempomacher setzten sich dann nach etwa 35 km Lel, Goumri und Ramaala ab. Der Südafrikaner hatte immer wieder versucht das Tempo zu forcieren, was sicherlich Kraft gekostet hat. Er fiel bald zurück während sich vorne der Zweikampf zwischen Lel und Goumri entwickelte. Einen guten siebenten Platz belegte am Ende KIMbias Stephen Kiogora in 2:13:41 Stunden.
Das Rennen der Frauen hatte aufgrund der Besetzung im Vorfeld für weit mehr Aufmerksamkeit gesorgt als jenes der Männer. Während es zwischen der Titelverteidigerin Jelena Prokopcuka und Gete Wami um den Jackpot der WMM ging, waren zusätzlich die Weltmeisterin Catherine Ndereba (Kenia), die Boston-Gewinnerin Lidiya Grigoryeva (Russland) und vor allen die Weltrekordlerin Paula Radcliffe (2:15:25) im Rennen. Ein stärkeres Frauenfeld gab es in diesem nicht, auch nicht bei der WM in Osaka. Radcliffe hat sich also einer echten Herausforderung bei ihrem Marathon-Comeback erfolgreich gestellt.
„Als Paula Radcliffe bekannt gab, dass sie in New York rennen würde, hat das mit Sicherheit die Taktik aller Läuferinnen verändert“, hatte Jelena Prokopcuka vor dem Rennen gesagt. Damit hatte die Lettin, die als erste Läuferin nach Grete Waitz (Norwegen) einen Hattrick in New York schaffen wollte, Recht – und vor allen war sie selbst die Leidtragende. „Wenn Paula in New York die erste Hälfte in unter 70 Minuten laufen wird, dann werde ich dieses Tempo nicht mitgehen. Denn 2:20 kann ich auf diesem Kurs nicht laufen“, hatte Prokopcuka auch noch gesagt. Ganz so schnell startete Radcliffe zwar nicht, aber auch nicht viel langsamer.
Während Prokopcuka diese Herausforderung nicht annahm und stattdessen mit Ndereba und Grigoryeva eine Verfolgergruppe bildete, ging Wami das Risiko ein, hinter Radcliffe herzulaufen. So groß wurde der Vorsprung, dass die beiden bald außer Sichtweite waren. Nach 70:47 Minuten hatte das Duo die Halbmarathonmarke erreicht, nach 1:41:16 Stunden die 30 km. Der Vorsprung betrug nun schon rund dreieinhalb Minuten, also über einen Kilometer. Wami, die sich sehr langfristig auf ihren Doppelstart vorbereitet hatte und auch auf die WM-Qualifikation über 10.000 Meter verzichtet hatte, hatte den Jackpot schon so gut wie gewonnen, doch sie wollte mehr. Bis dahin hatte sie zu keiner Zeit Führungsarbeit geleistet, doch das sollte sich ändern. Zweimal schien sie bereits geschlagen, weil Radcliffe einige Meter Vorsprung herausgeholt hatte. Doch beide Male kam Wami zurück, um dann auf dem letzten Kilometer zu attackieren. Aber es war nicht wie bei den Bahnrennen früherer Jahre. Paula Radcliffe wurde nicht von der eigenen Vergangenheit eingeholt. Während die Engländerin einen entscheidenden Konter startete, blieb Wami wenige hundert Meter vor dem Ziel praktisch stecken.
Zum zweiten Mal nach 2004 gewann Paula Radcliffe damit den New York-Marathon. Damals hatte sie es ebenso spannend gemacht, als sie in 2:23:10 nur drei Sekunden Vorsprung hatte vor Susan Chepkemei (Kenia).
Paula Radcliffe: London 2012 ein Ziel
Am Ende des Zweikampfes in New York mit Gete Wami hatte sich Paula Radcliffe an die verlorenen 10.000-m-Duelle mit der Äthiopierin erinnert und sich gesagt: „Das darf mir nicht noch einmal passieren. Jahrelang hatte mich Gete auf der Bahn im Schlussspurt besiegt – im Marathon macht sie das nicht mit mir!“ Im Ziel habe sie sich gewundert, dass der Abstand plötzlich so groß war, „denn 400 Meter vorher war sie noch neben mir“. Ob sie verunsichert gewesen sei, weil Gete Wami so frisch aussah, wurde Paula Radcliffe gefragt. „Nein, ich laufe seit 1992 gegen sie und weiß, dass sie selbst dann noch ausgeruht aussehen kann, wenn du sie geschlagen hast. Ich dagegen sehe aus, als wenn ich mich schon in der ersten Meile umbringen würde. Aber es kommt eben darauf an, wie viel Kraft im Inneren da ist und darauf, wie stark der Siegeswille ist.“
„Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich zurückkommen würde nach meiner Schwangerschaft. Aber ich habe gedacht, dass ich es eher schaffen könnte.“ Mental sei es schwerer gewesen nach dem Olympia-Aus 2004 in New York an den Start zu gehen als jetzt nach der Babypause. Sie habe auch keine Probleme, das Training und ihre Mutterrolle miteinander zu verbinden.
Das nächste Ziel von Paula Radcliffe ist klar: Die Olympischen Spiele von Peking, für die sie jetzt qualifiziert ist. Nur eines ihrer acht Marathonrennen hat die 33-Jährige bisher nicht gewinnen können – das olympische Finale von Athen 2004. Umso wichtiger ist der zweite Versuch, ein olympisches Marathongold zu gewinnen. „Ich habe jetzt die Qualifikationszeit unterboten und kann mich den Vorbereitungen für Olympia widmen.“ Ob diese noch einen weiteren Marathon-Start im Frühjahr in London einschließen, hat Paula Radcliffe noch nicht entschieden. „Ich werde alles so planen, wie es am besten für die Olympiavorbereitungen ist.“ Denkbar ist dabei auch ein Start bei den Cross-Weltmeisterschaften Ende März in Edinburgh.
Ganz langfristig hofft Paula Radcliffe, dass Peking noch nicht ihre letzten Olympischen Spiele sein werden: „Wenn mein Körper mitmacht, wovon ich ausgehe, dann möchte ich unbedingt in London 2012 dabei sein.“
Ryan Hall gewinnt, Drama bei den US-Olympia-Trials
Einen Tag vor dem ING New York City-Marathon fanden auf einer Rundstrecke im Central Park die US-Olympiaausscheidungen der Männer statt. Der 25-jährige Kalifornier Ryan Hall dominierte das Geschehen und lief nach 2:09:02 Stunden ins Ziel. Die Zeit war ein US-Trials- und –Meisterschaftsrekord. Hall, der nach einer ersten Hälfte von 66:17 Minuten den zweiten Teil in 62:45 absolvierte, hatte in diesem Jahr bei seinem Debüt in London bereits für Aufsehen gesorgt. Damals lief er 2:08:24 und wurde Sechster.
Im Central Park sicherten sich außerdem Dathan Ritzenhein (2:11:07) und Brian Sell (2:11:40) die Tickets für Olympia in Peking 2008. Der frühere Weltrekordler Khalid Khannouchi (Ex-Marokkaner/2:05:38) lief als Vierter 2:12:34 und verpasste damit die Qualifikation ebenso wie der Silbermedaillengewinner von Athen 2004: Meb Keflezighi wurde Achter in 2:15:09. Das Olympia-Qualifikationsrennen der Frauen findet im kommenden April im Rahmen des Boston-Marathons statt. Auch hier gibt es dann einen Tag vorher ein separates Rennen.
Überschattet wurde das Rennen von einem tödlichen Zwischenfall. Kurz nach Kilometer acht brach der 28-jährige Ryan Shay zusammen. Trotz sofortiger medizinischer Hilfe und einem umgehenden Transport in ein nahe gelegenes Krankenhaus, konnte dort nur noch der Tod des Marathonläufers festgestellt werden. „Wir sind erschüttert und beten für seine Frau und seine Familie. Sein Tod ist ein großer Verlust für den Sport“, erklärte der Chef von USA Track and Field, Craig Masback. Ryan Shay hatte 2003 die US-Meisterschaften im Marathon gewonnen. Er war zudem mehrfacher US-Marathonmeister über Strecken zwischen 10.000 m und dem Halbmarathon. Die Todesursache ist noch nicht bekannt.
Athen-Marathon im Aufwind
Einen deutlichen Teilnehmerzuwachs von insgesamt über 50 Prozent verzeichnete der Athen-Marathon. Hatten sich im vergangenen Jahr, alle Wettbewerbe zusammengezählt, gut 5.000 Läufer für den Klassiker angemeldet, so wurden bei der 25. Auflage des ,Athens Classic Marathon’ nun 7.950 gezählt. Darunter waren 4.750 Marathonläufer, die die 42,195 km von Marathon ins Athener Panathinaikon-Stadion liefen.
Unter den 10-km-Läufern war der Spanier Abel Anton, der 1997 in Athen Marathon-Weltmeister geworden war und diesen Erfolg zwei Jahre später in Sevilla wiederholte. Er joggte locker mit, während es im Marathon auf der schweren Strecke zur Sache ging. Dabei sorgten milde Wetterbedingungen mit Temperaturen von bis zu rund 20 Grad und zeitweiligem Regen dafür, dass die Siegzeiten deutlich schneller waren als zuletzt. Den vierten kenianischen Erfolg in Serie erreichte Benjamin Korir Kiprotich, der in 2:14:40 Stunden gewann. Die Russin Svetlana Ponomarenko lief mit 2:33:19 die schnellste je bei dieser Veranstaltung erzielte Zeit. Der Streckenrekord steht allerdings bei 2:26:20. Diesen lief Mizuki Noguchi (Japan), als sie 2004 in Athen Olympiasiegerin wurde.
Die Kenianer bestimmten das Rennen von Beginn an. Acht Läufer dieses Landes formten eine Spitzengruppe, die die Halbmarathonmarke nach 68:07 Minuten erreichte. Nachdem Benjamin Korir Kiprotich etwa bei Kilometer 30 einen ersten Vorstoß gestartet hatte und zeitweilig alleine an der Spitze gelaufen war, löste er sich bei 35 km endgültig von seinen Verfolgern. „Ich hatte mich nach meinem ersten Vorstoß entschieden, zunächst doch noch etwas Kräfte schonender weiterzulaufen. Daher ließ ich die anderen wieder herankommen. Aber ich war mir sicher, dass ich gewinnen würde“, erklärte der 29-jährige Sieger, der in diesem Jahr als Dritter in Brescia (Italien) seine Bestzeit mit 2:10:43 Stunden aufgestellt hatte.
Wer in Athen auf der schweren Strecke unter 2:15 Stunden läuft, sollte in der Lage sein, auch unter 2:10 rennen zu können. Das glaubt auch Benjamin Korir Kiprotich: „Ich will mich jetzt auf einen großen Frühjahrsmarathon vorbereiten. Mein Ziel ist eine Zeit zwischen 2:07 und 2:08 Stunden.“ Die Plätze hinter ihm belegten in Athen Hosea Kiptanui Kimutai (2:15:03) und der Titelverteidiger Henry Tarus (2:15:57).
Bei den Frauen setzte sich die große Favoritin durch: Svetlana Ponomarenko passierte die Halbmarathonmarke nach 1:15:56 Stunden und war bald darauf alleine an der Spitze unterwegs. Die 37-jährige Russin, die im vergangenen Jahr den Frankfurt-Marathon gewonnen hatte und eine Bestzeit von 2:29:55 hat, lief trotz Steigungen und Gefälle ein sehr gleichmäßiges Tempo. „Das Wetter war prima für mich. Jetzt würde ich mich gerne für die Olympischen Spiele qualifizieren“, sagte Svetlana Ponomarenko, die deutlich vor Chihiro Tanaka (Japan/2:41:01) und der Griechin Magdalini Gazea (2:41:31) im Ziel war.
- Erschienen am 5. November 2007
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