London-Champion Mary Keitany: Ihre Schwester motivierte sie zum Laufen

Von Jörg Wenig
Mary Keitany triumphiert im Frühjahr 2011 beim Marathon durch die britische Hauptstadt. © www.photorun.net
Mary Keitany triumphiert im Frühjahr 2011 beim Marathon durch die britische Hauptstadt. © www.photorun.net

Mit schnellen 2:19:19 Stunden gewann die kenianische Läuferin Mary Keitany im April den London-Marathon. Es war erst ihr zweites Rennen über die klassischen 42,195 km! Sie steigerte sich dabei nach ihrem sicherlich nicht zufriedenstellend verlaufenen Debüt in New York um fast zehn Minuten – im November 2010 war sie als Dritte nach 2:29:01 Stunden im Ziel gewesen. Keine Läuferin lief einen schnelleren Marathon seit September 2008, als Irina Mikitenko mit ebenfalls 2:19:19 Stunden den real,- Berlin-Marathon gewann. Mary Keitany und Irina Mikitenko sind zurzeit die viertbesten Läuferinnen aller Zeiten. Vieles spricht dafür, dass die 29-jährige Mary die nächste große Marathonläuferin sein könnte.

Ihr enormes Potenzial hatte Mary vor dem Virgin London-Marathon bereits mehrfach über kürzere Strecken bewiesen. Im Februar 2011 gewann sie den Halbmarathon in Ras Al Khaimah (Vereinigte Arabische Emirate) in der Weltrekordzeit von 65:50 Minuten. Auf dem Weg stellte sie dabei zwei Weltbestzeiten (8 Kilometer in 24:30 und 10 Meilen in 50:05) sowie einen Weltrekord (20 km in 62:36) auf. Eine weitere Bestmarke hatte sie eigentlich auch geknackt, jedoch verhinderte ein Streckenmessfehler bei 12 km – die Distanz war vier Meter zu kurz – die Anerkennung dieser Zeit. Hier wurde Mary in 37:04 gestoppt. Im vergangenen Jahr stellte sie beim bis dahin längsten Wettkampf ihrer Karriere auf Anhieb einen 25-km-Weltrekord auf. Bei den Big 25 Berlin verbesserte sie die Marke gleich um 2:20 Minuten und blieb mit 1:19:53 als erste Frau unter 1:20 Stunden.

Bei den Big 25 Berlin unterbietet Mary als erste Frau die 1:20-Stunden-Marke über 25 km. © www.photorun.net
Bei den Big 25 Berlin unterbietet Mary als erste Frau die 1:20-Stunden-Marke über 25 km. © www.photorun.net

Mary, die im Baringo-District geboren wurde und dann in Koibatek (beides gehört zur kenianischen Provinz Rift Valley) als Tochter einer Farmer-Familie aufwuchs, hat drei Schwestern und einen Bruder. Es war eine ihrer älteren Schwestern, die sie einst motivierte, mit dem Laufsport zu beginnen. „[Sie] rannte in der Schule. Ich sah, dass sie Talent hatte und dachte mir, vielleicht sollte ich es auch versuchen“, erzählt die
29-Jährige. Während ihr Vorbild den Sport später aufgab, obwohl sie in der Schule bereits bei nationalen Meisterschaften startete, lief Mary bis ganz nach vorne in die Weltspitze.

Mit dem Laufsport hatte die talentierte Athletin bereits in der Grundschule begonnen, ernsthaft jedoch betrieb sie ihn erst in der Oberschule im Alter von 18 Jahren. Im Jahr 2006 kam sie als 24-Jährige das erste Mal nach Europa. „Damals lief ich in Spanien einige Straßenrennen und einen Halbmarathon“, erzählt Mary, die zunächst von Philip Singoei betreut wurde. Der kenianische Läufer gewann 2007 den Eindhoven-Marathon in 2:07:57 Stunden.

Auf dem Weg zum Sieg beim Halbmarathon 2011 in Ras Al Khaimah. © www.photorun.net
Auf dem Weg zum Sieg beim Halbmarathon 2011 in Ras Al Khaimah. © www.photorun.net

„Als Gianni Demadonna im April 2007 in Iten ein Trainingslager eröffnete, schloss sich Mary der dortigen Gruppe an, denn sie wohnt in der Gegend“, erklärt ihr heutiger Coach Gabriele Nicola, der für das italienische Demadonna-Management eine Art ‚Technischer Direktor’ in Kenia ist und die Gruppen betreut. Schritt für Schritt übernahm Gabriele Nicola das Training von Mary. „Ich bin längere Zeit im Jahr in Iten, um die Wettkampfvorbereitung meiner Läufer zu leiten. Ansonsten stehen ein Trainerteam und Physiotherapeuten zur Verfügung, um die Läufer zu unterstützen“, sagt er.

„In Iten laufen wir auch mit Männern, die uns als Tempomacher helfen. Sie werden von meinem Manager dafür bezahlt“, erzählt Mary, zu deren weiblichen Trainingspartnern unter anderen Peninah Arusei und Helena Kirop gehören. Peninah Arusei hatte unter anderem 2008 und 2009 den Berliner 25-km-Lauf gewonnen, Helena Kirop siegte 2009 beim Volkswagen Prag-Marathon. Auch die aktuelle Prag-Siegerin Lydia Cheromei trainiert gemeinsam mit Mary.

Nachdem Mary 2007 bereits die Silbermedaille bei den Halbmarathon-Weltmeisterschaften (Udine/Italien) gewonnen hatte, unterbrach eine Schwangerschaft ihre Karriere. „Im Juni 2008 wurde mein Sohn Jared geboren“, erzählt die kenianische Läuferin, die jedoch nicht die gesamte Schwangerschaft hindurch weiter trainierte. Mary ist mit Charles Koech verheiratet, der selbst bei internationalen Straßenrennen startet und Bestzeiten von 27:56 Minuten (10 km) oder 61:27 (Halbmarathon) aufweist. „Manchmal laufen wir auch zusammen“, sagt Mary. Damit das umfangreiche Training für beide möglich ist, haben sie ein Kindermädchen engagiert, das auf Jared aufpasst.

Mary wurde 2010 von der ‚Association of International Marathons and Distance Races‘ (AIMS) mit der Auszeichnung zur Athletin des Jahres geehrt. © www.photorun.net
Mary wurde 2010 von der ‚Association of International Marathons and Distance Races‘ (AIMS) mit der Auszeichnung zur Athletin des Jahres geehrt. © www.photorun.net

„Als Mary nach der Geburt ihres Sohnes wieder mit dem Laufen begann, haben wir verschiedene Ziele gesetzt. Das erste war die Qualifikation für die Halbmarathon-Weltmeisterschaft 2009. Dort sollte sie möglichst gut laufen“, erzählt Gabriele Nicola, dessen Läuferin schon in jenem Jahr die weltbeste Straßenläuferin war und dafür in Berlin vom Weltverband für Marathon- und Straßenläufe, der ‚Association of International Marathons and Distance Races’ (AIMS), ausgezeichnet wurde. Bei den Halbmarathon-Weltmeisterschaften siegte sie in 66:36, außerdem war Mary 2009 auch die Nummer eins der Welt über 10 km (31:04 Minuten) und 20 km (62:59).

Der nächste Schritt war der Marathon. Hier hat Mary, die Catherine Ndereba (Kenias zweifache Marathon-Weltmeisterin und frühere Weltrekordlerin) sowie Großbritanniens Weltrekordlerin Paula Radcliffe (2:15:25) als Vorbilder nennt, Großes vor: „In London würde ich bei den Olympischen Spielen 2012 gerne die Goldmedaille im Marathon gewinnen. Aber ich muss natürlich erst einmal nominiert werden.“ Und dann gibt es noch ein Traumziel: „Vielleicht bin ich eines Tages in der Lage, den Marathon-Weltrekord anzugreifen.“ Die kenianische Läuferin weiß natürlich, dass jene Zeit, die Paula Radcliffe beim London-Marathon 2003 erreichte, eine absolute Ausnahmeleistung ist, die in den vergangenen Jahren für keine Läuferin erreichbar war.

„Zurzeit können wir nicht darüber reden, den Marathon-Weltrekord zu brechen. Aber Mary hat das Potenzial, diese Marke in der Zukunft angreifen zu können. Das heißt noch nicht, dass sie den Rekord auch brechen wird. Aber es gibt nicht viele Läuferinnen, die auch nur daran denken können, einen Weltrekordversuch zu unternehmen“, sagt Gabriele Nicola. „Mary hat großes Potenzial, und wir haben Glück, dass wir sie haben. Eine Mary Keitany gibt es nur alle 20 Jahre einmal.“