Lelisa Desisa und Caroline Rotich gewinnen windigen Boston-Marathon

Von Jörg Wenig
Lelisa Desisa siegt zum zweiten Mal beim Boston-Marathon. © www.PhotoRun.net
Lelisa Desisa siegt zum zweiten Mal beim Boston-Marathon. © www.PhotoRun.net

Bei der 119. Auflage des ältesten jährlich stattfindenden Marathons triumphierte zum zweiten Mal nach 2013 Lelisa Desisa. Der 25-jährige Äthiopier war bei kühlen, teilweise windigen Wetterbedingungen und Regen nach 2:09:17 Stunden im Ziel. Zweiter wurde sein Landsmann Yemane Tsegay mit 2:09:48, Rang drei belegte Kenias Wilson Chebet in 2:10:22. Titelverteidiger Meb Keflezighi erreichte Platz acht mit 2:12:42, sein Landsmann Dathan Ritzenhein war mit 2:11:20 auf Rang sieben der beste US-Amerikaner.

Bei den Frauen gewann überraschend Kenias Caroline Rotich. Die 30-Jährige siegte nach einem spannenden Finish in 2:24:55 Stunden vor den äthiopischen Läuferinnen Mare Dibaba (2:24:59) und Bezunesh Deba (2:25:09). Sehr gut hielt sich die US-Amerikanerin Desiree Linden, die in 2:25:39 als Vierte ins Ziel lief. Rund 30.000 Anmeldungen hatten die Veranstalter dieses World Marathon Majors-Rennen angenommen.

Dem Boston-Marathon liegt es auch am Herzen, etwas an die Gemeinschaft zurückzugeben, und so sammelten im vergangenen Jahr Charity-Läufer fantastische 38,4 Millionen US-Dollar für wohltätige Organisationen. In diesem Jahr ist darunter auch Jessica Brovold, deren sechs-jährige Tochter an Krebs erkrankte. Jessica lief in diesem Jahr im Namen der Home Away-Stiftung und widmete dabei jede ihrer Meilen einem Krebspatienten. „Ich dachte mir, das ist das Mindeste was ich, nach allem was für uns möglich gemacht wurde, tun konnte“, erzählte sie der Tageszeitung Argus Leader. „Es ist mehr als eine einmalige Gelegenheit, und ich fühle mich wirklich geehrt, dass ich dies tun darf.“

Auf der im ersten Teil leicht abfallenden Punkt-zu-Punkt-Strecke von Hopkinton nach Boston passierte die 14-köpfige Spitzengruppe die 5-Kilometer-Marke in 14:42 Minuten und den 10-km-Punkt nach 29:43 Minuten – ein Tempo, das für eine 2:05-Stunden-Zielzeit gut ist. In der Folge wurde das Rennen etwas langsamer. Der spätere Sieger Lelisa Desisa startete dann bereits nach rund 15 km einen ersten Vorstoß und lief einen Vorsprung von bis zu fünf Sekunden heraus. Doch das Feld kam wieder heran. „Ich versuchte, frühzeitig wegzulaufen, doch es ging nicht. Danach wartete ich ab“, sagte der Sieger von 2013.

Dathan Ritzenhein zeigte eine hervorragende Leistung auf der anspruchsvollen Strecke. © www.PhotoRun.net
Dathan Ritzenhein zeigte eine hervorragende Leistung auf der anspruchsvollen Strecke. © www.PhotoRun.net
Der nächste Vorstoß folgte kurz nach der Halbmarathonmarke, die nach 64:01 Minuten erreicht wurde. Überraschend war es Dathan Ritzenhein, der sich an die Spitze des Feldes setzte. Der US-Amerikaner hatte nach 10 km den Anschluss an die Gruppe zunächst verloren und lag bei 15 km bereits 23 Sekunden zurück. Doch er kam zurück, ging ganz nach vorne, konnte sich aber letztendlich nicht entscheidend lösen.

Noch an der 30-km-Marke – im schweren, hügeligen Streckenabschnitt – führte Dathan, dessen Bestzeit bei 2:07:47 Stunden steht, das nunmehr zehnköpfige Spitzenfeld an. Doch hinter dem Heartbreak Hill bei Kilometer 32 verloren zunächst drei Läufer den Kontakt: neben Dathan auch der Südafrikaner Lusapho April und Kenias Bernard Kipyego. Während an der Spitze nun wieder Lelisa Desisa die Initiative ergriff, konnten auch Titelverteidiger Meb Keflezighi, Tadese Tola (Äthiopien) und Frankline Chepkwony (Kenia) nicht mehr folgen. Meb musste kurzzeitig aufgrund eines Muskelproblems sogar stehen bleiben.

Drei Läufer rannten nun neben Lelisa an der Spitze: Yemane Tsegay, Wilson Chebet und Wesley Korir (Kenia). Doch die immer wieder folgenden Tempospritzen von Lelisa Desisa machten sie mürbe. Drei Kilometer vor dem Ziel war zunächst für Wesley Korir und dann Wilson Chebet der Sieg außer Reichweite. Yemane Tsegay gelang es kurz nach der 40-km-Marke noch einmal aufzuschließen, doch auf der letzten Meile zog Lelisa Desisa wiederum davon. „Als ich bei 35 Kilometern antrat, war ich mir schon sicher, dass ich gewinnen würde“, sagte Lelisa, der vor zwei Jahren seine Boston-Siegermedaille an den Bürgermeister der Stadt weitergab und damit sein Mitgefühl für die Opfer des damaligen Attentats ausdrückte. Dieses Mal wird er die Medaille behalten. „Ich denke noch oft an die Geschehnisse von 2013“, sagte Desisa, der innerhalb des letzten halben Jahres nun schon drei hochkarätige Marathonergebnisse erreichte. Im November war er Zweiter in New York, im Januar Zweiter in Dubai, und jetzt folgte der Triumph in Boston. Seine Marathon-Bestzeit von 2:04:45 war er bei seinem Debüt gelaufen, als er 2013 in Dubai gewann.

Caroline Rotich feiert ihren Triumph. © www.PhotoRun.net
Caroline Rotich feiert ihren Triumph. © www.PhotoRun.net
Verhaltener und gleichmäßiger begann das Rennen der Frauen. Den 10-km-Punkt passierte eine zwölfköpfige Spitzengruppe in 34:23 Minuten – ein Tempo, das schon da auf etwa 2:25:00 Stunden hinauslief. Bei konstantem Tempo blieb das Läuferinnen-Dutzend lange zusammen. Die Halbmarathonmarke wurde nach 1:12:44 Stunden passiert, 25 km in 1:26:08. Erst im folgenden, sehr hügeligen Streckenabschnitt kam Bewegung in das Feld. Dabei war es zunächst Shalane Flanagan (USA), die den Anschluss verlor. Am Ende wurde Shalane Neunte mit 2:27:47.

An der Spitze lag währenddessen überraschend immer noch eine US-Amerikanerin: die 31-jährige Desiree Linden, die 2011 schon einmal Zweite in Boston war und dabei ihre Bestzeit von 2:22:38 Stunden erzielt hatte. Doch unmittelbar hinter ihr liefen vier kenianische und vier äthiopische Weltklasseläuferinnen über den Heartbreak Hill bei 32 km: Caroline Rotich, Sharon Cherop, Caroline Kilel und Joyce Chepkirui (alle Kenia) sowie Mare Dibaba, Buzunesh Deba, Aberu Kebede und Shure Demise (alle Äthiopien).

Als Mare Dibaba dann kurz nach der 35-km-Marke antrat, riss die Gruppe auseinander. Mare und Caroline Rotich konnten Schritt halten, Desiree Linden hielt sich tapfer und hätte fast noch einmal den Anschluss geschafft. Doch Mare, die im Januar den Xiamen-Marathon mit der nach wie vor aktuellen Jahresweltbestzeit von 2:19:52 Stunden gewonnen hatte, machte weiter Druck, so dass Desiree am Ende nicht mehr dran bleiben konnte.

Auf dem letzten Kilometer war es dann Caroline Rotich, die erstmals die Führung übernahm. Nur Mare Dibaba gelang es, sich an die Fersen der späteren Siegerin zu heften und überholte diese sogar. „Nach der letzten Kurve sah ich das Zielband und dachte mir: Das ist es, das darfst du jetzt nicht mehr aus der Hand geben“, erzählte Caroline. Zunächst sah es auf der langen Zielgerade aber so aus, als würde Mare gewinnen. Angesprochen auf diese Situation sagte Caroline später: „Ich sagte mir in diesem Moment: nein, nicht heute. Ich wollte diesen Triumph auf keinen Fall verpassen.“

100 Meter vor dem Ziel trat sie schließlich an und konnte Mare hinter sich lassen. In 2:24:55 Stunden war sie am Ende vier Sekunden vor ihrer äthiopischen Konkurrentin im Ziel. Es ein großer Erfolg in der Karriere von Caroline Rotich, die 2013 den Prag-Marathon gewonnen hatte und ihre Bestzeit von 2:23:44 als Vierte in Chicago 2012 gelaufen war.

Tatyana McFadden gewann zum dritten Mal in Boston. © www.PhotoRun.net
Tatyana McFadden gewann zum dritten Mal in Boston. © www.PhotoRun.net
Das Männerrennen der Rollstuhlathleten gewann der Schweizer Marcel Hug mit einer Zeit von 1:29:53 vor Masazumi Soejima (1:36:27/Japan) und Ernst Van Dyk (1:36:27/Südafrika), während die US-Amerikanerin Tatyana McFadden sich bei den Frauen zum dritten Mal in Folge in 1:52:54 durchsetzen konnte. Platz zwei und drei gingen an Tsuchida Wakako (1:53:48/Japan) und Susannah Scaroni (1:57:21/USA).

Einen weiteren unvergesslichen Meilenstein erreichte in diesem Jahr Team Hoyt, das legendäre Vater-und-Sohn-Duo. Rick und Dick Hoyt haben unzählige Läufer entlang der Straßen von Boston und auf der ganzen Welt inspiriert. Dick, inzwischen 74, übergab in diesem Jahr das Ruder an Bryan Lyons, der seit 2009 Mitglied der Hoyt Foundation ist. Gegenüber Take The Magic Step sagte Bryan bewegt: „Ich werde Dick nicht ersetzen – keiner könnte das“, sagt „Ich bringe lediglich ein frischeres Paar Beine mit – aber mein Herz und meine Inspiration sitzt vor mir im Rollstuhl.“ (Lesen Sie mehr über Bryan hier.) Dick ist weiterhin beim Marathon involviert – bei dieser 119. Auflage war er der Botschafter.

Uta zusammen mit Dick und Rick Hoyt sowie Mitgliedern der Hoyt Foundation beim B.A.A. 5-km-Lauf am Samstag, dem 18. April. © www.PhotoRun.net
Uta zusammen mit Dick und Rick Hoyt sowie Mitgliedern der Hoyt Foundation beim B.A.A. 5-km-Lauf am Samstag, dem 18. April. © www.PhotoRun.net
Für Uta, die in Boston vor 20 Jahren das zweite Mal gewonnen hatte, ist dieser Marathon immer etwas ganz besonderes. So war sie auch heute vor Ort, um die Charity-Läufer der Hoyt Foundation, die sie für das Rennen trainiert hat, und der Dana-Farber Marathon Challenge zu unterstützen. Sie verbrachte mehrere Stunden an der Ziellinie und entlang der Strecke und feuerte die Teilnehmer an. „Das war heute eine Herausforderung für die Läufer“, sagte sie im Anschluss. „Es gab Gegenwind, und es regnete immer wieder. Zudem waren die Temperaturen nicht ideal.“ Und wieder war sie besonders beeindruckt von den Zuschauern, die sich vom Wetter nicht abhalten ließen und die Athleten bis ins Ziel unterstützten. „Die Atmosphäre war einfach gigantisch“, fügte Uta hinzu. „Und ich gratuliere Caroline Rotich ganz herzlich zu ihrem Sieg – es war ein unglaublich spannendes Duell mit Mare Dibaba bis hin zur Ziellinie. Auch Desiree lief ein so couragiertes Rennen, ebenso wie Lelisa Desisa beim Männerrennen. Einen großen Glückwunsch auch an Bryan Lyons und Rick Hoyt, die die Tradition von Team Hoyt in Boston weitergeführt haben. Was für ein mutiges Rennen! Und wie immer vielen Dank an die Stadt Boston und die Organisatoren des Marathons mit der B.A.A. und John Hancock, die diese tolle Veranstaltung möglich machen. Ihr wart einfach klasse!“

Die Ergebnisse des Boston-Marathons 2015

Männer:

 1.  Lelisa Desisa  ETH  2:09:17 Stunden 
 2.  Yemane Adhane Tsegay  ETH  2:09:48 
 3.  Wilson Chebet  KEN  2:10:22 
 4.  Bernard Kipyego  KEN  2:10:47 
 5.  Wesley Korir  KEN  2:10:49 
 6.  Frankline Chepkwony  KEN  2:10:52 
 7.  Dathan Ritzenhein  USA  2:11:20 
 8.  Meb Keflezighi  USA  2:12:42 
 9.  Tadese Tola  ETH  2:13:35 
 10.  Vitaly Shafar  UKR  2:13:52 

Frauen:

 1.  Caroline Rotich  KEN 2:24:55 Stunden 
 2.  Mare Dibaba  ETH  2:24:59 
 3.  Buzunesh Deba  ETH  2:25:09 
 4.  Desiree Linden  USA  2:25:39 
 5.  Sharon Cherop  KEN  2:26:05 
 6.  Caroline Kilel  KEN  2:26:40 
 7.  Aberu Kebede  ETH  2:26:52 
 8.  Shure Demise  ETH  2:27:14 
 9.  Shalane Flanagan              USA  2:27:47 
 10.  Joyce Chepkirui  KEN  2:29:07