Great CityGames: Eine inspirierende Idee aus Manchester

Von Jörg Wenig
Die freudestrahlende britische Siebenkampf-Weltmeisterin von 2009, Jessica Ennis, lief über 150 Meter auf den zweiten Rang. © Great CityGames/Pete Langdown
Die freudestrahlende britische Siebenkampf-Weltmeisterin von 2009, Jessica Ennis, lief über 150 Meter auf den zweiten Rang. © Great CityGames/Pete Langdown

„Road Closed“. Dieses Schild steht in Manchester (Großbritannien) fünf Tage lang in der traditionellen Einkaufsstraße Deansgate, weil dort mitten in der Stadt eine Sprintbahn aufgebaut ist. Stadion-Leichtathletik auf der Straße statt Autoverkehr – die Engländer machen es möglich. Die „Great CityGames“ sind Teil des „Great Day of Sport“ (Anm. d. Red.: der große Tag des Sports) in Manchester. Das wohl einmalige Konzept begeistert sowohl Athleten als auch Zuschauer und ist zugleich Inspiration, mit dem Sport zu beginnen.

Die Veranstaltung beginnt morgens um 10 Uhr mit dem Bupa Great Manchester Run, einem 10-Kilometer-Straßenlauf. In diesem Jahr hatten rund 38.000 Teilnehmer für das Rennen gemeldet und machen es so zu einem der größten 10-km-Wettbewerbe der Welt. Die Läufermassen werden über einen Zeitraum von rund zweieinhalb Stunden in Wellen auf die Strecke geschickt. Wenn die letzten starten, stehen viele Läufer der ersten Wellen schon wieder an der Straße, um die anderen anzufeuern. Die Publikumsresonanz im Zentrum von Manchester ist trotz kühler Temperaturen, Regen und Wind enorm – insgesamt über 200.000 Sportfans schauen bei den verschiedenen Events zu. Jeder bekommt hier Applaus, vom Freizeitathleten über den britischen Topläufer bis hin zum Marathonweltrekordler Haile Gebrselassie, der in diesem Jahr im Anschluss an seinen souveränen Sieg (28:10 Minuten) beim Great Manchester Run als begeisterter Zuschauer der Great CityGames dabei war. Teilnehmer der Bupa Great-Run-Serie sammeln zudem jedes Jahr über 28 Millionen britische Pfund für eine Vielzahl von Wohltätigkeitsorganisationen. In Manchester allein waren es in diesem Jahr über drei Millionen Pfund an Spendengeldern für einen guten Zweck.

Auch Haile Gebrselassie, hier zu sehen beim Vienna-Halbmarathon 2011, ließ sich das einmalige Bahnrennen nicht entgehen. © www.photorun.net
Auch Haile Gebrselassie, hier zu sehen beim Vienna-Halbmarathon 2011, ließ sich das einmalige Bahnrennen nicht entgehen. © www.photorun.net

Haile Gebrselassie startete bereits viermal beim Great Manchester Run, den er jeweils auch gewann. „Diese Veranstaltung hat eine wunderbare Atmosphäre, und sie ist einzigartig. Morgens gibt es den Straßenlauf und nachmittags das Bahn-Meeting“, sagt der äthiopische Läufer, der sich am Nachmittag trotz des Regens auch die Rennen auf der Bahn anschaut. Dazwischen aber bieten die Veranstalter noch ein weiteres interessantes Sport-Event: Der British Gas Great Salford Schwimm-Wettkampf über eine Meile im offenen Gewässer. Rund 2.000 Schwimmer, darunter etliche Weltklasseathleten, starten in Wellen und schwimmen durch Kanal- und Hafenanlagen.

Der gesamte „Great Day of Sport“ wird vom britischen Fernsehsender BBC live im nationalen TV-Programm übertragen. Die Sendung läuft von 10 bis 17 Uhr (!), wobei es zwischendurch auch noch rund zwei Stunden anderen Sport gibt. Doch etwa fünf Stunden des Programms kommen aus Manchester. In der Regel verfolgen über zwei Millionen TV-Zuschauer das Ereignis.

„Immer wenn ich hierher komme, passiert irgendetwas ganz besonderes“, sagt Haile Gebrselassie. Als die Powerade Ion4 Great CityGames vor zwei Jahren ihre Premiere hatten, nahm Usain Bolt daran teil. Der jamaikanische Sprint-Superstar stellte mit 14,35 Sekunden einen 150-Meter-Weltrekord (gerade Strecke ohne Kurve) auf. Ein Jahr später verbesserte Tyson Gay (USA) die entsprechende 200-m-Bestzeit mit 19,41 Sekunden. Auch in diesem Jahr ist Tyson in Manchester wieder der überlegene Sprinter. „Ich laufe gerne in Manchester bei den CityGames, denn die Atmosphäre ist entspannt und ich verspüre keinerlei Druck“, erklärt er und fügt hinzu: „Für mich ist das hier ein idealer Testwettkampf vor Saisonbeginn. Und hinzu kommt, dass ich ein solches Rennen über 150 Meter in den USA nirgendwo laufen kann.“

Tyson Gay gewinnt über 150 m in Manchester. © Great CityGames/Pete Langdown
Tyson Gay gewinnt über 150 m in Manchester. © Great CityGames/Pete Langdown

Tyson Gay kommt in Deansgate nicht optimal aus dem Block, doch dann stürmt er eindrucksvoll vorbei an seinen drei Konkurrenten, an rund 3.000 begeisterten Zuschauern auf beiden Seiten der Bahn, an Pubs, Wettbüros, Cafés, Geschäften, einer Bank sowie Bürohäusern und durch den kühlen Regen. Die Zuschauer feuern ihn an, einige stellen sich auf Fensterbretter im Hochparterre, andere schauen von weiter oben aus den Fenstern zu. Im Pub ganz am Ende der Bahn, dort wo sich die Fotografen postiert haben, stehen zudem für Sportfans die Fußballspiele der Premier League-Spiele auf dem Fernsehprogramm. Tyson ist an diesem Tag nach 14,51 Sekunden im Ziel, das sich fast direkt vor einer im Jahr 1900 eröffneten Bibliothek befindet.

Es dauert, bis Tyson ins improvisierte Pressezentrum im Foyer eines Geschäftshauses vordringt. Er geht vorbei an den dicht stehenden Zuschauern, die bei freiem Eintritt die Straßenränder entlang der Bahn gefüllt haben. Ebenso wie Haile Gebrselassie und die anderen Laufstars gibt er Autogramme, nimmt sich Zeit für unzählige Fotos und schüttelt viele Hände. Den Zuschauern bieten die Great CityGames die Möglichkeit, so dicht an die Stars heranzukommen wie in keinem Stadion.

In Deansgate gewinnt die Leichtathletik zudem Zuschauer, die sie normalerweise nicht erreicht. Denn neben den Fans der Sportart stehen Menschen an der Bahn, die noch nie in einem Stadion waren. Sie für den Sport zu motivieren, ist ein Ziel der Veranstalter. „Wir rennen in Manchester teilweise in einer etwas erhöhten Position, also fast direkt an den Köpfen der Zuschauer vorbei. Im Stadion sind sie viel weiter weg, viel zu weit. Hier auf der Straße können sie durch die Nähe viel besser beurteilen, welche Leistungen wir produzieren“, sagt Großbritanniens 400-m-Olympiasiegerin Christine Ohuruogu. „Ich finde es eine tolle Idee, die Leichtathletik aus dem Stadion auf die Straße zu holen – Manchester ist einzigartig.“

Der Ursprung für die Veranstaltung in Deansgate liegt eigentlich in den Commonwealth Games, die 2002 in Manchester mit großem Erfolg stattfanden. Die Stadt wollte danach eine Art Vermächtnis für die Leichtathletik hinterlassen. So organisierte Nova International – als Veranstalter des inzwischen weltgrößten Halbmarathons in Newcastle bereits zuvor erfolgreich – fortan zunächst den Bupa Great Manchester Run. Es war dann Brendan Foster – der frühere Weltklasse-Langstreckenläufer, einer der Chefs von Nova International und Mit-Initiator der Bupa Great-Run-Serie –, der die Idee hatte, Sprints auf einer Laufbahn in einem Stadtzentrum zu veranstalten. Manchester bot sich als Ort dafür an, da die Stadtverwaltung seit den Commonwealth Games sehr offen gegenüber der Leichtathletik ist.

Das 150-m-Rennen der Frauen bei den „Great CityGames“. © Great CityGames/Pete Langdown
Das 150-m-Rennen der Frauen bei den „Great CityGames“. © Great CityGames/Pete Langdown
Ein rund 300 Meter langes Straßenstück in Deansgate wird von Donnerstag früh bis Montagmittag abgesperrt. Rund eineinhalb Tage dauert der komplizierte Aufbau der Bahn, bei dem zudem ein Höhenunterschied der Straße von knapp eineinhalb Metern überbrückt werden muss. Am Anfang der Bahn rennen die Athleten entsprechend fast wie auf einer Bühne. Am Ende sind sie auf dem normalen Niveau der Straße. Die Zuschauer sind dabei nur wenige Meter von den Athleten entfernt. Mittels Laser-Messungen wird sichergestellt, dass die vier Bahnen komplett eben verlaufen. Wie in einem Stadion wird zudem eine Kamera-Schiene eingebaut, so dass optimale TV-Bilder entstehen.

Das Konzept in Manchester funktioniert im dritten Jahr so gut, dass sich die Vertreter des US-Leichtathletik-Verbandes USATF die Veranstaltung bereits angeschaut haben. Doch Aufwand und Kosten sind enorm und der „Great Day of Sport” ist im Nordwesten Englands nur möglich, weil die Stadt, die Sponsoren, das Fernsehen und natürlich Veranstalter Nova International sich mit großem Einsatz gemeinsam dafür einsetzen.

Noch in der Nacht nach der Veranstaltung wird die Bahn abgebaut. Am Montagmittag fließt wieder der Verkehr durch Deansgate und alte wie auch neugewonnene Laufsportfans werden in Manchester auf den Zauber der Leichtathletik abermals bis zum kommenden Jahr gespannt warten.