Geoffrey Mutai: Der schnellste Marathonläufer der Welt

Von Jörg Wenig
Mit der Weltbestzeit von 2:03:02 Stunden überquerte Geoffrey Mutai im April die Ziellinie vor der Bostoner Bibliothek. © www.photorun.net
Mit der Weltbestzeit von 2:03:02 Stunden überquerte Geoffrey Mutai im April die Ziellinie vor der Bostoner Bibliothek. © www.photorun.net

Als 21-Jähriger hatte er den Laufsport schon aufgegeben, doch acht Jahre später ist Geoffrey Mutai der schnellste Marathonläufer aller Zeiten. In 2:03:02 Stunden gewann Geoffrey den Boston-Marathon im April. Damit war er 36 Sekunden schneller als Patrick Makau (Kenia) bei seinem Weltrekord in Berlin im September. Dass Geoffreys großartige Leistung nicht als Rekord anerkannt werden kann und Patricks Zeit der offizielle Weltrekord ist, hängt u.a. mit der Streckenführung* in Boston zusammen.

Geoffrey stammt aus dem Koibatek-Gebiet, das zwischen Eldoret und Nairobi in der Provinz Great Rift Valley liegt. Er ist das älteste Kind der Familie und hat acht Geschwister, von denen bisher aber kein anderer läuferisch erfolgreich ist. „Laufen ist in meinem Blut“, hat Geoffrey einmal gesagt. Als Zehnjähriger, so erzählte er der kenianischen Zeitung „The Nation“, bezahlte er fünf kenianische Schillinge, um mit Freunden zusammen in der nahen Ortschaft die Olympischen Spiele 1992 in einem Schwarz-Weiß-Fernseher verfolgen zu können.

Mit dem Laufen begann Geoffrey in der Grundschule, für die er als 12-Jähriger bei Wettkämpfen startete. „Ich habe damals schon täglich trainiert. Ohne das Laufen habe ich mich nicht wohl gefühlt“, erzählt Geoffrey, der es sich später nicht mehr leisten konnte, auf die Oberschule zu gehen. „Nach meiner Grundschulzeit verlor mein Vater seine Arbeit in einer Textilfabrik in Eldoret.“ Das Schulgeld für Geoffrey fehlte. So konzentrierte er sich frühzeitig auf das Laufen und sah darin eine Chance.

Als 18-Jähriger wechselte er auf die 3.000-Meter-Hindernisstrecke. Nachdem er sich bereits für die Junioren-Weltmeisterschaften 2002 qualifiziert hatte, zog Kenias Leichtathletik-Verband seine Nominierung wieder zurück, weil er keine Geburtsurkunde besaß. Einige Monate später zog Geoffrey sich eine Achillessehnenverletzung zu. „Danach entschloss ich mich, das Laufen aufzugeben und mir eine Arbeit zu suchen“, erzählt der talentierte Läufer, der dann für die Elektrizitätswerke Bäume fällte, die als Strommasten gebraucht wurden.

„Doch nach einer Weile merkte ich, dass mir das Laufen fehlte. Also rannte ich jeden Morgen vor der Arbeit.“ Als er mit 23 Jahren seine Arbeit verlor, begann Geoffrey wieder mit richtigem Training. Er brauchte mehrere Anläufe und etwas Glück, um schließlich eine echte Chance zu bekommen. Nachdem er sich einem Leichtathletik-Verein in Eldoret angeschlossen hatte, wo er heute noch Mitglied ist, startete er 2006 beim Kilimandscharo-Halbmarathon in Tansania. Dort belegte er Platz sechs. Entscheidend war damals, dass beim Eldoret-Marathon 2007 Gerard van de Veen auf ihn aufmerksam wurde. Nachdem Geoffrey Zweiter geworden war, bot ihm der holländische Manager an, ein Rennen in Europa zu vermitteln.

Der kenianische Athlet nutzte die Chance seines Lebens: Er gewann im März 2008 den Monte Carlo-Marathon in 2:12:40 Stunden. Noch im gleichen Jahr steigerte Geoffrey sich um fast fünf Minuten: Im Oktober siegte er beim Eindhoven-Marathon in der Streckenrekordzeit von 2:07:50. Ein Jahr später kehrte er nach Eindhoven zurück, gewann erneut und steigerte seine Bestzeit auf 2:07:01.

Patrick Makau und Geoffrey Mutai lieferten sich 2010 beim Berlin-Marathon ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei Dauerregen und kühlen Temperaturen. © www.photorun.net
Patrick Makau und Geoffrey Mutai lieferten sich 2010 beim Berlin-Marathon ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei Dauerregen und kühlen Temperaturen. © www.photorun.net

In der Marathon-Weltspitze etablierte sich Geoffrey im Frühjahr 2010 in Rotterdam. Nachdem er im Februar bereits mit einem Sieg beim stark besetzen Halbmarathon von Ras Al Khaimah in den Vereinigten Arabischen Emiraten (59:43) auf sich aufmerksam gemacht hatte, überraschte er in Holland mit einer Zeit von 2:04:55. Nur sieben Sekunden hinter seinem Landsmann Patrick Makau wurde er Zweiter. Bei der Neuauflage dieses Duells in Berlin im gleichen Jahr wurde es im strömenden Regen noch knapper, doch wieder war Patrick Makau in 2:05:08 etwas schneller. Mit nur zwei Sekunden Rückstand wurde Geoffrey Zweiter. Die beiden waren die dominierenden Marathonläufer des Jahres 2010. In der Jahresweltbestenliste belegten sie nach den Rennen in Rotterdam und Berlin die Ränge eins und vier (Patrick Makau) beziehungsweise zwei und fünf (Geoffrey Mutai).

Trotz seiner großen internationalen Erfolge läuft Geoffrey immer wieder auch bei Wettkämpfen in seiner Heimat. „Bei den lokalen Rennen konnte ich mich früher entwickeln, sie haben mir eine gute Grundlage für meine internationalen Starts gegeben“, erklärte er, nachdem er vor rund einem Jahr einen Halbmarathon in Kenia gewonnen hatte. „Ich bin nicht in das Rennen gegangen, um zu siegen. Es ging mir darum, die jungen regionalen Athleten zu inspirieren. Es ist motivierend für sie, wenn sie neben Topläufern an den Start gehen können. Ich versuche, auch andere erfolgreiche Läufer zu überzeugen, bei diesen Rennen teilzunehmen“, erzählte Geoffrey, der sich selbst trainiert. „Ich habe mein eigenes Programm, das ich für unterschiedliche Distanzen anpassen kann. Ich mache mein Training lieber ohne Coach, dann kann ich es besser auf mein nächstes Rennen abstimmen.“

Dennoch läuft er nicht alleine, sondern immer wieder mit anderen Weltklasseathleten. Dazu zählen William Kipsang, der ABN AMRO Rotterdam-Marathon-Sieger von 2008, oder auch Robert Kiprono Cheruiyot (Sieger Frankfurt 2008 und Boston 2010) und David Barmasai (Sieger Dubai 2011). Geoffreys Trainingslager in Kapngetuny (rund 50 Kilometer von Eldoret entfernt) liegt in der Nähe der Camps von Robert Kiprono Cheruiyot und David Barmasai. „Für den Boston-Marathon hat Geoffrey bis zu 240 Kilometer pro Woche trainiert“, erzählt sein holländischer Manager Gerard van de Veen.

Bemerkenswert ist auch, dass Geoffrey als Marathonläufer parallel im Crosslauf und über 10.000 Meter erstklassige Leistungen erreicht. Im vergangenen Jahr wurde er bei den kenianischen Meisterschaften Zweiter über 10.000 m. Dabei lief er in der Höhenluft von Nairobi (auf etwa 1.700 Meter), die in der Regel die Leistung beeinträchtigt, beachtliche 27:27,59 Minuten. Bei den Afrikameisterschaften wurde er wenige Wochen später Dritter.

Nachdem er sich im November 2010 bei seinem Halbmarathonsieg in Neu Delhi auf 59:38 Minuten gesteigert hatte, lief er im vergangenen Winter eine ausgezeichnete Cross-Saison: Geoffrey gewann die nationalen Meisterschaften und belegte dann bei den Cross-Weltmeisterschaften in Punta Umbria (Spanien) Platz fünf. Das Crosslauf-Training hat ihm offenbar auch bei der Vorbereitung auf den Boston-Marathon geholfen.

Nach seinem großartigen Erfolg beim Boston-Marathon 2011 strahlte Geoffrey vor Freude. © www.photorun.net
Nach seinem großartigen Erfolg beim Boston-Marathon 2011 strahlte Geoffrey vor Freude. © www.photorun.net

Geoffreys beeindruckende Leistung in Boston wird aus verschiedenen Gründen* nicht als Weltrekord anerkannt. Es handelt sich beispielsweise um eine Punkt-zu-Punkt-Strecke. (Start und Ziel dürfen max. 50 % der Gesamtlaufstrecke voneinander entfernt liegen.) In der Tat wehte in Boston an jenem 18. April ein eher seltener Rückenwind, der die Läufer begünstigte. Darüber hinaus liegt das Ziel 139 Meter niedriger als der Startpunkt (erlaubt ist maximal ein Gefälle von 42 Metern).

Doch unabhängig davon ist es bekannt, dass der Boston-Marathon aufgrund einer Reihe von Hügeln alles andere als eine einfache Strecke ist. Wenn Geoffrey dort 2:03:02 laufen kann, müsste er in der Lage sein, auf einem schnellen Rundkurs, wie beispielsweise beim BMW Berlin-Marathon, diese Zeit auch ohne Rückenwind zu erreichen. Es könnte also vielleicht nur noch eine Frage der Zeit sein, bis der 30-Jährige auch der offizielle Weltrekordler im Marathon wird. Allerdings ist er nicht der einzige Läufer, der das Vermögen hat, die Zeit von Patrick Makau zu unterbieten. Es gibt eine Reihe sehr starker Athleten, die durchaus das Potential haben, ihm zuvor zu kommen.

Mit den insbesondere für kenianische Verhältnisse enormen Preisgeldern, die Geoffrey inzwischen verdient hat – alleine in Boston erhielt er Sieg- und Zeitprämien von insgesamt 225.000 US-Dollar (etwa 163.000 Euro) –, hilft er auch seinen Eltern und seinen Geschwistern. „Ich bezahle meinen Geschwistern das Schulgeld, denn ich weiß, wie wichtig die Schulausbildung für sie ist. Außerdem habe ich meinen Eltern ein Haus gebaut und Land gekauft“, erzählt der 30-Jährige, der mit seiner Frau zwei kleine Töchter hat.

Geoffrey Mutais Entwicklung im Marathon

 Zeit (Stunden)   Platz   Austragungsort Jahr  
 nicht bekannt 2. Eldoret (KEN) 2007
 2:12:40 1. Monte Carlo (MON) 2008
 2:07:50 1. Eindhoven (NED) 2008
 ausgestiegen  Seoul (Dong-A/KOR)  2009
 2:10:45 8. Daegu (KOR) 2009
 2:07:01 1. Eindhoven (NED 2009
 2:04:55 2. Rotterdam (NED) 2010
 2:05:10 2. Berlin (GER) 2010
 2:03:02 1. Boston (USA) 2011