David Rudisha: Ein Moment für die Sportgeschichte
Was David Rudisha am 9. August 2012 in London auf die Bahn des Olympiastadions zauberte, wird als eine der größten Leistungen der Sportgeschichte in Erinnerung bleiben. Der fast 24-jährige kenianische Athlet verbesserte im olympischen 800-Meter-Finale den Weltrekord und erzielte mit 1:40,91 Minuten die erste Zeit unter 1:41 über diese Distanz. „Für mich war dies die wahrscheinlich beste Laufleistung, die ich je gesehen habe“, erklärte der Londoner Organisationschef Sebastian Coe später.
Weltrekorde über die Mittel- und Langstrecken sind ohne Tempomacher schwer erreichbar geworden. Zu schnell sind diese Zeiten, als dass sie im Alleingang erlaufen werden könnten. Doch David setzte sich in London darüber hinweg. „Ich war gut in Form und wollte bei den Olympischen Spielen gern etwas Herausragendes leisten“, sagte David nach dem Lauf. „Ohne Tempomacher war es sehr schwierig – 1:41 hatte ich mir erhofft, aber eine 1:40 und einen Weltrekord zu laufen, das war wirklich etwas ganz Besonderes.“ Vor 36 Jahren hatte es zuletzt einen 800-m-Weltrekord in einem olympischen Finale gegeben: Damals gewann der Kubaner Alberto Juantorena in Montreal mit 1:43,50 Minuten die Goldmedaille.
„Eines Tages wird mein Moment kommen, ich bin noch jung.” Das waren die Worte von David, nachdem er sich vor vier Jahren verletzungsbedingt nicht für die Olympischen Spiele hatte qualifizieren können. In London kam sein großer Moment. Der internationale Leichtathletik-Verband IAAF ehrte seinen Weltrekordlauf später als „Leistung des Jahres“.
David stammt aus Kilgoris, das rund 200 Kilometer westlich von Nairobi im Trans Mara-Gebiet liegt. Ursprünglich zum Sport motiviert wurde er von seinem Vater. Daniel Rudisha war ein 400-m-Läufer mit einer Bestzeit von 45,5 Sekunden, die er 1967 erreichte. Ein Jahr später gewann er als Schlussläufer mit Kenias 4 x 400-m-Staffel eine olympische Silbermedaille. Eines Tages zeigte er seinem Sohn die Medaille, um ihn zu inspirieren. Das hätte kaum besser funktionieren können. „Nachdem ich wusste, dass mein Vater früher gelaufen war, habe ich mir gedacht, vielleicht kann ich das auch machen“, erzählte David. „Mein Vater hat mich inspiriert. Ich habe immer davon geträumt, wie er eine Silber- oder vielleicht sogar eine Goldmedaille gewinnen zu können. Er hat mir einmal ein Magazin aus den 60er Jahren gezeigt, in dem ein Interview mit ihm abgedruckt worden war. Er sagte damals, er wolle den 400-Meter-Weltrekord brechen. Das hat er nicht geschafft, aber dafür bin ich dann den 800-Meter-Weltrekord gelaufen.“
Zunächst wollte David wie sein Vater ein 200- und 400-m-Läufer werden. Nach der Grundschule wechselte er auf die St. Patrick’s School in Iten, die dafür bekannt ist, eine Reihe von Weltklasseläufern hervorgebracht zu haben. Hinter diesen Erfolgen steht der Ire Colm O’Connell. „Er hat mich bei regionalen Schulmeisterschaften im Rahmen eines Zehnkampfes über 400 Meter laufen sehen und mich dann eingeladen, bei ihm zu trainieren. Er ist die wichtigste Person meiner Karriere“, erzählte David. Colm O’Connell riet ihm, die 800 m auszuprobieren. „Er sah mich im Training bei längeren Läufen auf der Straße und sagte: Du kannst über 800 Meter sehr erfolgreich werden.“ Sein erstes Rennen über diese Distanz gewann David dann auch prompt in beeindruckenden 1:49 – noch dazu auf einer Aschenbahn. 2005 übernahm Colm O’Connell sein Coaching. Ein Jahr später wurde David als 17-Jähriger in Peking Junioren-Weltmeister über 800 m. 2007 gewann er den afrikanischen Junioren-Titel.
„Es war eine Enttäuschung für mich, als ich dann vor vier Jahren die Spiele in Peking verpasste“, erklärte David, der damals verletzungsbedingt nicht bei den kenianischen Ausscheidungen startete. Ein Jahr später blieb er dann bei den Weltmeisterschaften 2009 in Berlin im Halbfinale hängen. Bei großen Regenfällen und kühlem Wetter bekam er muskuläre Probleme und machte zudem taktische Fehler. Doch nach dieser Enttäuschung meldete sich David stark zurück. Kurz nach den Weltmeisterschaften verbesserte er in Rieti (Italien) den 25 Jahre alten Afrikarekord mit einer Zeit von 1:42,01 Minuten. „Das war für mich ein großer Schritt nach vorne“, sagte David, der daraufhin 2010 zweimal Weltrekord lief (1:41,09 in Berlin und 1:41,01 in Rieti). 2011 gewann er souverän den Weltmeistertitel in Daegu (Südkorea). Und in diesem Jahr wurde der Ausnahmeathlet nun mit Weltrekordzeit Olympiasieger.
David wusste, dass er vor den Spielen in London in sehr guter Form war: Zweimal war er in der Saison zuvor bereits Zeiten unter 1:42 Minuten gelaufen, doch noch stärker war seine Leistung bei den kenianischen Olympia-Ausscheidungen einzuschätzen: In der Höhenluft von Nairobi (auf etwa 1.700 Meter), die in der Regel die Leistung beeinträchtigt, rannte er 1:42,12 Minuten. Nie zuvor war ein 800-m-Läufer in der Höhe so schnell. Danach hatte er gesagt: „Das Rennen war schön und leicht“.
Im Londoner Olympiafinale stürmte David dann von Beginn an vorneweg. Er sah die Zwischenzeiten und wusste, dass er auf Kurs ist in Richtung Weltrekord. „Ich sah 61 Sekunden auf der Uhr nach 500 Metern und dann 1:14 Minuten bei 600. Auf der Zielgeraden wurden meine Beine etwas müde, aber die Zuschauerunterstützung war erstaunlich – das hat mir geholfen“, erklärte der kenianische Läufer. Befragt nach seinen Gedanken vor dem Event, sagte David: „Ich habe an meinen Vater gedacht und daran, dass er jetzt zu Hause vor dem Fernseher sitzen und sich mein Rennen anschauen würde. Er konnte nicht mitkommen nach London. Wäre mein Vater früher nicht selbst aktiv gewesen, wäre ich vielleicht kein Athlet geworden.“
David glaubt, dass er bei ähnlichen Bedingungen wie in London oder auch mithilfe von Tempomachern in der Zukunft noch schneller sein kann. Doch bezüglich der Zeitbarriere von 1:40 Minuten bleibt er zurückhaltend: „Es ist sehr schwer geworden, den Rekord über 800 Meter zu brechen. Wilson Kipketers Bestzeit stand bei 1:41,11 Minuten – ich bin jetzt dreimal Weltrekord gelaufen, habe aber die Marke dabei insgesamt nur um 0,2 Sekunden verbessert. Dieses Jahr hatte ich mir eine Zeit von 1:40,5 Minuten vorgenommen, und ich denke, dass ich ein solches Ergebnis erreichen kann. Ich weiß wie hart es ist, 1:40 zu laufen. Deswegen ist es noch nicht vorhersehbar, ob ich 1:39 Minuten laufen kann.“
Wenn Colm O’Connell David laufen sieht, fühlt er sich an Billy Konchellah erinnert, den zweifachen kenianischen 800-m-Weltmeister (1987 und 1991). Auch Billy Konchellah war vorher 400-m-Läufer und hatte einen markanten langen Schritt. „David ist immer lernwillig, er will sich verbessern und ist bereit, hart zu trainieren“, sagte Colm O’Connell über seinen 800-m-Star. In Iten profitiert David auch von einer starken Trainingsgruppe, zu der unter anderen seine Landsleute Augustine Choge und Isaac Songok gehören.
Befragt nach seinen Vorbildern nennt David drei Namen: Wilson Kipketer, Paul Ereng und Billy Konchellah. Als Billy seinen ersten WM-Titel gewann, war David noch nicht geboren. Aber das macht keinen Unterschied für den 23-Jährigen. „Billy Konchellah kommt auch vom Stamm der Massai, und er stammt aus der gleichen Gegend wie ich.“ David hat zudem Videos von Billys Läufen gesehen.
Wilson Kipketer und David haben vor allem eines gemeinsam: Colm O’Connell ist ihr Entdecker und Trainer. Wilson Kipketer ging in den 90er Jahren irgendwann jedoch seine eigenen Wege, siedelte nach Dänemark um und nahm die Staatsbürgerschaft des skandinavischen Landes an. David ist wesentlich stärker in seiner Heimat verwurzelt. Es ist sehr gut möglich, dass Colm O’Connell ihn zur 800-m-Traumzeit führen kann und David eines Tages die Barriere von 1:40 Minuten durchbricht.
David Rudishas Leistungsentwicklung über 800 Meter
2006 (17 Jahre) | 1:46,3 Minuten |
2007 (18) | 1:44,15 |
2008 (19) | 1:43,72 |
2009 (20) | 1:42,01 |
2010 (21) | 1:41,01 |
2011 (22) | 1:41,33 |
2012 (23) | 1:40,91 |
- Erschienen am 13. December 2012
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