Charity, Mut und Hilfsbereitschaft – bewegende Momente beim Boston-Marathon
Von David Wright
Vor Beginn eines Marathonlaufes lässt sich nicht vorhersagen, welche Hilfe ein Läufer brauchen könnte, um ins Ziel zu kommen. Und manchmal erhält man Hilfe ausgerechnet dort, wo man sie am wenigsten vermutet. Diese Erfahrung machten Dick und Rick Hoyt beim diesjährigen Boston-Marathon: Das legendäre Vater-Sohn-Gespann benötigte auf den 42,195 Kilometern von Hopkinton nach Boston die Hilfe – und bekamen sie auch – von einem wahren Retter in der Not.
Wegen einer schmerzhaften Zerrung des hinteren Oberschenkelmuskels begann der mittlerweile 70-jährige Dick Hoyt nach 24 Kilometern zu humpeln. Für ihn und seinen Sohn Rick sollte dieser Marathon das wohl schwierigste Rennen werden, das sie während der 34 Jahre als Team bestreiten sollten. Dann holten sie Dale Radford ein, einen Läufer aus St. Louis, der ebenfalls einen schwierigen Tag hatte und nur walken konnte. Der Zufall wollte es, dass Dale sowohl Trainer als auch Masseur ist, und mit älteren Athleten arbeitet – nur zu gern bot er Dick und Rick seine Hilfe an. Vor den Augen der mitfühlenden Zuschauer und mit deren Unterstützung war dieser ‚Samariter’ auf den nächsten gut 17 Kilometern der Retter in der Not für Dick, dessen hinterer Oberschenkelmuskel sich immer wieder verspannte. Dank Dales magischer Hände schafften es am Schluss alle drei zusammen über die Ziellinie.
Auf dem größten Teil dieser schwierigen Strecke wurden Dick und Rick von zwei der 22 Läufer der Hoyt Foundation begleitet und unterstützt. Die Athleten kamen aus allen Teilen Amerikas nach Boston gereist und brachten dabei die Rekordsumme von 125.000 US-Dollar an Spendengeldern mit, die nun sozialen Einrichtungen wie dem Boston’s Children’s Hospital, Easter Seals of Massachusetts und anderen lokalen Diensten für Menschen mit Behinderung zugute kommen. Diese außergewöhnlichen Frauen und Männer kamen zusammen, weil der beispiellose Einsatz von Dick und Rick sie so sehr inspiriert hatte.
Viele Läufer der Hoyt Foundation bestritten in Boston ihren ersten Marathon, und die meisten von ihnen begegneten sich hier zum ersten Mal. Während der vielen Monate intensiven Trainings, in denen Uta ihnen als Coach via Email und Telefon mit Rat und Tat zur Seite stand, waren sie nur über das Internet mit einander in Kontakt.
Team-Chef Doug Gilliland, ein 48-jähriger Rechtsanwalt aus San Diego, erzählte Take The Magic Step® wie er mithilfe eines Schreibwettbewerbs die 22 Frauen und Männer auswählte, die mit dem Team Hoyt-Trikot und den begehrten Nummern, welche nur in geringer Anzahl von der Boston Athletic Association an Charity-Läufer ausgegeben werden, an den Start gingen.
„Wir erhielten unglaublich viele Bewerbungen. Alle Bewerber mussten einen Aufsatz schreiben und dabei auf einer Seite erklären, warum sie in diesem Team laufen wollen“, sagte er und fügte hinzu: „Die Entscheidung fiel nicht schwer, denn die Antworten der Gewinner waren sehr inspirierend.“
Jeder Läufer der Hoyt Foundation verpflichtet sich, mindestens 4.500 US-Dollar an Spenden zu sammeln. Doch in diesem Jahr haben sich die meisten viel höhere Ziele gesetzt. So hat beispielsweise ein Läufer aus New York eine Disco-Nacht organisiert, die 4.000 Dollar einbrachte und ein Läufer aus Massachusetts veranstaltete in einem Club eine Musiknacht. Ideen gab es viele: Weinproben, Garagenflohmärkte und Poker-Spiele. Brian Dillon, ein 36-jähriger Portfolio-Manager aus Washington State, brachte es auf unglaubliche 13.259 Dollar: Er widmete seinen ersten Boston-Marathon seiner Tochter Abigail Joy, die 2005 nur sechs Tage nach ihrer Geburt starb. „Die Menschen kannten meine Geschichte, und so musste ich nicht lange fragen”, erzählte er.
Laura Monroe, die 28-jährige Besitzerin eines Fitness-Studios aus Binghamton, New York, brachte es auf 11.391 US-Dollar. Davon stammten 6.000 Dollar aus einer von ihr organisierten Kasino-Nacht und weitere 1.300 aus einem Gewichthebe-Wettbewerb. Dabei stemmte sie insgesamt 552 Pfund – für jedes Pfund kam ein Dollar in den Spendentopf. Als sich schließlich alle am Vorabend des Boston-Marathons zum Pasta-Dinner trafen – und noch ein paar inspirierende Tipps von Uta mit auf den Weg bekamen – stellten sie fest, dass sie zusammen 125.000 Dollar eingenommen hatten … und damit den Spendenrekord der Hoyt Foundation um überwältigende 65.000 Dollar übertroffen hatten. Und dazu kam das umfangreiche Training für den Boston-Marathon, welches oft unter schwierigen winterlichen Wetterbedingungen stattgefunden hatte.
An diesem Abend im Sheraton Hotel war es für viele von ihnen die erste Begegnung mit den Initiatoren dieser eindrucksvollen Spendenaktion: dem berühmten Team Hoyt. Rick kam mit einer Zerebralparese zur Welt und ist zeitlebens querschnittsgelähmt; Dick ist der engagierte Vater und Läufer. Seit 1977 sind die beiden ein Team, und Dick hat während dieser Zeit seinen im Rollstuhl sitzenden Sohn schon über unzählige Marathon-Ziellinien geschoben und zusammen mit ihm sogar an mehreren Ironman-Wettbewerben teilgenommen. Gemeinsam haben sie schon einige Millionen Dollar an Spendengeldern für wohltätige Zwecke gesammelt, und mit ihrem Motto „Yes You Can“ sowie ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit haben sie viele Tausend Menschen inspiriert. Die persönliche Marathon-Bestzeit der beiden liegt bei eindrucksvollen 2:40 Stunden – damals lagen sie knapp 30 Minuten hinter dem Weltrekordhalter und der musste nur sich selbst fortbewegen!
Doch Dick hat mittlerweile seinen 70. Geburtstag hinter sich gelassen und Rick sieht seinem 50. entgegen. So schüttelten nicht wenige Marathon-Teilnehmer nur ungläubig mit dem Kopf als Dick ihnen während des Pasta Dinners eröffnete, dass sein längster Trainingslauf vor dem Boston-Marathon knapp 5 Kilometer betrug! Am 27. Januar musste er sich wegen eines Risses am Meniskus operieren lassen. Vier Wochen später nahm er entgegen aller Warnungen der Ärzte an einem 5-Kilometer-Rennen teil und zog sich dabei eine Zerrung im hinteren Oberschenkel zu. Die weiteren Vorbereitungen auf den Boston-Marathon fanden dann im Swimmingpool in Form von Wasserlaufen statt.
Während des Marathons am 18. April machten sich die Schmerzen schon nach knapp fünf Kilometern bemerkbar. „Ich hatte einen Massagestab mit kleinen Rollen dabei und ging immer wieder an den Seitenrand, um dort meine Oberschenkelmuskeln zu dehnen“, erzählte Dick dem Take The Magic Step-Autor. Nach 24 Kilometern und immer stärker werdenden Schmerzen trafen die Hoyts schließlich auf ihren Retter in der Not. „Ein Läufer der offenbar aus dem Rennen gegangen war, weil er nicht mehr konnte, hatte wohl gesehen, wie sehr wir uns abmühten und sagte ‚Ich würde euch gerne helfen‘“, erzählte Dick. „Es stellte sich heraus, dass er Trainer und Masseur war. Also legte ich mich am Straßenrand auf den Boden und er platzierte seinen Ellenbogen so, dass er den Oberschenkelmuskel hervorragend dehnen konnte. Danach konnte ich sechseinhalb Kilometer rennen, bis die Schmerzen wieder anfingen.“ Dicks Mut wirkte ansteckend: Nachdem er wieder auf den Beinen war, hatte auch Dale wieder die Kraft weiter zu machen.
Weit hinter Dick, Rick und Dale lief Doug Gilliland, der seinen siebenten Boston-Marathon rannte. Die Charity-Läufer starten in Wellen am Ende des 28.000 Läufer starken Feldes. Doug verließ die Startlinie 78 Minuten nach ihnen. „Immer schon wollte ich einmal zusammen mit den Hoyts rennen, aber mir war es nie gelungen sie einzuholen“, gesteht er. „Als ich die Newton Hills erreichte, entdeckte einer der Zuschauer mein Team Hoyt-Trikot und rief ‚Dick und Rick laufen dicht vor dir.’ Ich nahm die Hügel in Angriff. Die lauten Anfeuerungsrufe für die beiden waren schon zu hören, bevor ich sie auf halber Höhe zum Heartbreak Hill einholte.“ Zu seiner Bestürzung stellte er fest, „dass Dick große Schmerzen hatte“.
Zu diesem Zeitpunkt wusste Doug noch nicht, dass er gleich Zeuge einer der mutigsten Leistungen von Team Hoyt und der tiefen Zuneigung des Publikums zu ihrem Lieblingsduo werden würde. „Die Menschen spürten, was die beiden durchmachten und die Lautstärke, mit der sie versuchten, Dick und Rick zum Durchhalten zu ermutigen, war unglaublich“, berichtet er. „Ein Läufer, der uns überholte, drehte sich mit Tränen in den Augen um und rief den beiden zu, ‚danke, ihr gebt mir die Kraft weiter zu laufen.’ Andere Läufer klopften Dick auf die Schulter und sprachen ihm Mut zu. Alle paar Kilometer, wenn die Schmerzen wieder zu stark wurden, legte Dick sich auf den Rücken und Dale dehnte seine Muskeln. Die Menschen unterstützten seine Bemühungen durch lautes Jubeln bis Dick wieder auf den Beinen war.“
Dann wurde es noch dramatischer. Gleich nach der 32-Kilometer-Marke seufzte Dick: „Ich glaube, ich muss wieder eine Pause machen.“ Dale riet ihm: „Warte, bis wir zu einem Grünstreifen kommen, dann kannst du dich hinlegen.“ Darauf meinte Doug: „Naja, der nächste grüne Fleck ist genau neben einem Friedhof.“ Dick musste lauthals lachen als er den Grünstreifen direkt neben dem Friedhof sah, doch die Zuschauer wurden plötzlich ganz still als Dick zu dieser Stelle humpelte, runter auf die Knie ging und mit dem Gesicht nach unten zur Seite kippte. Die Menschen mussten gedacht haben, er würde wohl nicht wieder aufstehen – und das ausgerechnet neben einem Friedhof! Doch nachdem Dale seine Behandlung beendet hatte, stand Dick auf, grinste, rannte weiter, löste dadurch wahre Lachsalven beim Publikum aus – und erntete ohrenbetäubende Anfeuerungsrufe.“
Auch Rick musste während der ganzen Zeit viel ertragen. „Das war die längste Zeit, die er jemals am Stück in seinem Rollstuhl gesessen hat“, erzählte Dick. „Er fing an im Stuhl zu rutschen und bekam Rückenprobleme. Deshalb musste ich einige Male stehen bleiben und ihn zurechtrücken.“ Ricks Langzeitpfleger und Freund, der 58-jährige Mike Adams, erzählte Take The Magic Step: „Ich traf ihn nach dem Rennen im Erholungszelt. Er war müde, dehydriert und seine Medikamente waren längst überfällig.“ Es war bereits zwölf lange Stunden her, seit Mike – der früher Atemtherapeut in einer Klinik war – Rick am Marathon-Morgen um 4:30 Uhr geweckt hatte.
Uta wartete im Ziel, um Dick und Rick zu begrüßen. Tief beeindruckt von ihrem unglaublichen Kraftakt nahm sie die beiden dort nach 7:03 Stunden in Empfang. Sie erreichten das Ziel zusammen mit Doug, und einem anderen Läufer der Hoyt-Foundation, Bryan Lyons, einem Zahnarzt aus Methuen (Massachusetts), sowie einem überglücklichen Dale Radford. Der Retter in der Not, der schon befürchtet hatte, es nicht bis ins Ziel zu schaffen, wurde von Team Hoyt förmlich mitgerissen. „Er lief zusammen mit uns ins Ziel, so haben wir uns letztendlich gegenseitig geholfen“, erzählte Dick und räumte ein, „es war unser bislang längster Marathon und er war unglaublich schmerzhaft. Doch die Menschenmenge an der Straße hat uns nach Hause getragen. Sie waren einfach phantastisch … und lauter als jemals zuvor.” Doug grinste und gab zu: „Es hat tatsächlich eine Weile gedauert, bis sich meine Ohren nach unserem Finish wieder erholt hatten.“
Vor einem Jahr erklärte Dick Hoyt, dass er und Rick 2012 möglicherweise zum letzten Mal beim Boston-Marathon teilnehmen werden. Doch eine Woche nach Boston 2011 sagte er gegenüber Take The Magic Step: „Ich kann nicht sagen, dass es im nächsten Jahr der letzte für uns sein wird. Wir hatten uns vorgenommen, es in diesem Jahr ins Ziel zu schaffen – und im nächsten Jahr ein richtig gutes Rennen zu laufen.“
„Für die Charity-Läufer der Hoyt Foundation bedeutet diese Erfahrung viel mehr, als das Abenteuer am Boston-Marathon teilzunehmen”, sagt Randy Rechs aus San Diego. Der Vater von drei Kindern, der seine Bestzeit um fast 24 Minuten verbesserte, war nach 3:48:54 Stunden im Ziel. „Ich laufe im zweiten Jahr für die Hoyt Foundation – und diese Erfahrung hat mein Leben verändert”, erzählte er gegenüber Take The Magic Step. „Dick und Rick und ihre unglaubliche Geschichte kennen zu lernen, das hat mich zu einem besseren Vater, besseren Ehemann und zu einem besseren Freund gemacht. Wenn du siehst, wie dieser Mann mit 70 Jahren seinen fast 50 Jahre alten Sohn über die Strecke schiebt, dann hast du das Gefühl, du könntest Berge versetzen. Es ist schwer zu erklären … es ist wie ein Wunder.”
Nachtrag: Wochen nach dem Marathon schreiben sich die Läufer des Marathon-Teams der Hoyt Foundation noch immer Emails wie gute alte Freunde, obwohl die meisten von ihnen sich vorher noch nie gesehen hatten. Auch das ist ein Beispiel dafür, auf welch vielfältige Weise die Hoyts so viele Menschen in ihren Bann ziehen.
Erschienen am 24. Mai 2011
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- Erschienen am 24. May 2011