Der Mini-Marathon wächst

An der Wasserstelle: Trinken wie die Großen
An der Wasserstelle: Trinken wie die Großen
Auf der Zielgeraden © Victor Sailer
Auf der Zielgeraden © Victor Sailer
Im Ziel: stolze Mini- Marathoner
Im Ziel: stolze Mini- Marathoner

„Hey“, ruft Laura, „jetzt müssen wir uns aber mal beeilen, hinter uns ist fast keiner mehr.“ Ihre Freundinnen drehen sich um – tatsächlich: Viele kommen da nicht mehr. Fast 10.000 Kinder laufen vor Laura. Vor einem Kilometer sind sie gestartet, am Potsdamer Platz, dem glitzernden Herzen Berlins, wo sich etwas später der Pulsschlag erhöhen wird – hier, bei Kilometer 38 des Berlin-Marathons. Hier wird Haile Gebrselassie auf der Jagd nach der Weltbestzeit etwas an Tempo verlieren, hier werden sich tausende Läufer auch der Anstrengung eines Marathons bewusst werden und das Ziel herbeisehnen. Für die 9.437 Schüler ist hier der Start des Mini-Marathons. Die 4,2195 Kilometer, die sie laufen, sind die letzten Kilometer der Originalstrecke. Sie führt die Leipziger Straße hinunter, vorbei am Sitz des Bundesrats und weiter bis zum Schlossplatz, hinter dem sich der Berliner Dom aufbaut, dann geht es weiter Unter den Linden, an deren Ende das Brandenburger Tor als Eingang auf die Zielgerade einlädt.

Der Mini-Marathon gilt als der spektakulärste Schülerlauf Deutschlands. Allein fast 10.000 Kinder in Bewegung zu sehen, ist ein Spektakel. Wenn 20.000 Turnschuhe den Asphalt berühren, bahnt sich eine mächtige Klangwelle ihren Weg durch die Straßenschlucht von Berlin-Mitte. Ganz vorn hasten die besonders Eifrigen um die Wette, mit langen Schritten fliegen sie über das Pflaster. Dann kommen die Läufer, die mit ihrem Team möglichst weit vorn sein wollen: Zehn Läufer einer Schule bilden eine Mannschaft, so dass ihre Zeiten zu einer Gesamt-Marathonzeit addiert werden. Dann, etwa ab der Hälfte des Feldes wird es entspannter. Da wird gequatscht, geguckt und schon nach ein paar hundert Metern die erste Gehpause eingelegt. Auch Laura hat sich mit ihren Freundinnen nach einem kurzen Zwischenspurt wieder auf ein gemächliches Tempo eingestellt, bei dem es sich noch gut unterhalten lässt. Außerdem tut ihr das Knie weh, behauptet sie.

Das schnellste Team wird am Ende 2:29:49 Stunden laufen. Doch es geht nicht nur ums Gewinnen. Für die meisten ist – wie im Marathonfeld der Großen – das Dabeisein das Erlebnis. Die prächtigsten Straßen Berlins für sich zu haben, von Polizisten eskortiert und von fremden Menschen umjubelt zu werden, durch Duschen zu laufen, die Feuerwehrleute aufgebaut haben – das sind aufregende und erhebende Momente. Der Marathon birgt Faszinationen auf vielfältigste Weise. Für die einen ist es der geschichtliche Mythos, für andere das Massenerlebnis, manche sind erstaunt über die eigene Leidensfähigkeit. Für den neunjährigen Julian besteht der Reiz des Laufes darin, sich am Verpflegungspunkt ein Wasserbecher zu greifen und ihn nach ein paar Metern wieder wegzuwerfen. „Das hab ich im Fernsehen gesehen und will das jetzt auch mal machen“, sagt er. Dann packt er sich einen Schwamm, drückt ihn über dem Kopf aus und freut sich, wie das Wasser hinunterläuft. Moritz und Marek machen sich einen Spaß daraus, zwischen den Stühlen in dem Straßencafé zu laufen, in dem an diesem sonnigen Morgen die Gäste einen exklusiven Blick auf die Marathonläufer haben.

Seit vielen Jahren ist der Schülerlauf im Programm des Berlin-Marathons. Die Teilnehmerzahl ist stetig gestiegen, im nächsten Jahr werden erstmals 10.000 Schüler erwartet. Wenn nach den Sommerferien die Schule beginnt, ist die Vorbereitung auf den Mini-Marathon eines der wichtigsten Themen an den Schulen der Stadt und des Umlandes. Sportlehrer werden zu Teammanagern, Väter zu Lauftrainern, Mütter zu Edelfans. „Du schaffst das, ich bin stolz auf“, steht auf zahlreichen Plakaten, die am Streckenrand den Kindern entgegen gehalten werden. Mira weiß, dass sie es schafft: „Ich bin die ganze Strecke schon einmal gelaufen“, sagt die Sechsjährige. Und obwohl sie am Ende ziemlich erschöpft ist, spurtet sie wie viele andere durchs Ziel. Auch Laura ist angekommen. Die Knieschmerzen sind vorbei, was jetzt zählt, ist sich für einen der Fotografen von den Zeitungen in Pose zu rücken. Ob sie einmal einen richtigen Marathon laufen wird? „Ja“, meint sie, „irgendwann vielleicht.“