Auf Schneller Socke zur Weltmeisterschaft 2009
Von Piet Könnicke
Am liebsten läuft Niklas „kurz und schnell“. Klar: In seiner Fußballmannschaft spielt der Zehnjährige im Sturm, da sind Antrittsqualitäten gefragt. Doch sein Sprintvermögen macht ihn auch zu einem der schnellsten Fünftklässler in seinem Berliner Stadtbezirk, so dass er sich für die Berliner Mini-Weltmeisterschaft (Mini-WM) qualifizierte, die in diesem Sommer – ein Jahr vor den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin – stattfand. Im Lichtkegel des Sport-Highlights 2009 will Berlin nicht nur über seine international bekannten Events wie den Berlin-Marathon und das Internationale Stadionfest (ISTAF) Achtungszeichen setzen. Auch der sportliche Nachwuchs und der Erlebniswert der Leichtathletik sollen in den Fokus rücken. Daher trafen sich Ende Juni unweit des Olympiastadions mehr als 1000 Fünft- und Sechstklässler aus allen zwölf Berliner Stadtbezirken zur Premiere dieses Nachwuchs-Sportfestes.
Neben den Wettkämpfen an diesem Tag hat die Mini-WM ein weiteres Ziel: Sie soll die Leichtathletik aus dem Nischen-Dasein an den Schulen führen. Denn vornehmlich Spiele nennen viele Schüler als Hauptaktivität, wenn man sie nach den Inhalten des Sportunterrichts fragt. Klassische Disziplinen wie Weit- und Hochsprung, Ballweitwurf oder 60-Meter-Sprints sind nur selten mehr als eine Pflichtübung innerhalb des regulären Sportunterrichts. Das räumt auch Sportlehrer Ludwig Forster ein. Doch bei der geringen Anzahl an Sportstunden sei es nicht möglich, sich konzentriert einer Sportart zu widmen. Auch das „vorrangige Ziel, eine möglichst große Vielfalt an Sportarten zu vermitteln, werde nur an wenigen Schulen erreicht“, sagt der erfahrene Pädagoge. Er weiß, dass allein durch den Schulsport aufgrund seiner fehlenden Profilierung spezifischer Sportarten keine Weltmeister gemacht werden. Bei einer derart geringen Prägung des Sportunterrichts „lassen sich Talente nur entwickeln und fördern, wenn Kontakte zu Sportvereinen da sind“, sagt Forster. Er weiß, wovon er spricht, immerhin hat es einer seiner ehemaligen Schüler bis in die Weltspitze der Turner geschafft.
Die bislang löcherigen Nahtstellen zwischen Vereinen und Schulen will der Berliner Senat durch die Mini-WM enger stricken. Als eine Art Vermittlungsbörse zwischen Schulen und Vereinen stellt sich Bernd Kunze, der für den zuständigen Berliner Bildungssenator die Mini-WM koordiniert, das Sportfest vor. Unterstützt wird die Idee, die in den nächsten Jahren ihre Fortsetzung finden soll, vom Berliner WM-Organising Committee 2009, dem Landessportbund Berlin und dem Berliner Leichtathletik-Verband.
In drei Disziplinen können die 10- bis 12-Jährigen bei der Mini-WM eine Ahnung bekommen, wie gut man später einmal sein muss, um Weltmeister zu werden: Neben Weit- und Hochsprung standen 800 Meter auf dem Wettkampfplan. Dazu kamen zwei Sprintstrecken über 50 und 75 Meter sowie zwei Ballwurfdisziplinen.
Die 10-jährige Philomena bestätigt die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen Schulen und Vereinen. An ihrer Schule ist sie die Schnellste über 50 Meter, was sie bis ins Finale der Mini-WM brachte, wo sie gegen die besten Sprinterinnen ihres Alters aus den anderen Berliner Stadtbezirken antrat. „Rennen macht Spaß“, sagt sie, kaum dass sie hinter der Ziellinie steht. Doch einen Sportverein besucht sie nicht bzw. nicht mehr: Das knappe Zeitbudget der Zehnjährigen habe ein zweimaliges Training pro Woche nicht mehr zugelassen. Auf der Bühne der Mini-WM sollen nun schlummernde Talente entdeckt, wieder aktiviert und motiviert werden. Die Kinder und auch ihre Eltern sollen durch das Erlebnis und den Erfolg nachhaltig Freude und Interesse am Sport entwickeln.
Die Mini-WM ist eine kreative und vor allem aktive Antwort auf das Ergebnis einer Studie, die bereits vor einigen Jahren mit Hilfe des Europäischen Leichtathletik-Verbandes (EAA) erarbeitet wurde. Darin wurde Kindern ein grundlegendes Interesse an den Kernsportarten der Leichtathletik wie Springen, Laufen und Werfen attestiert, doch auch ein mit zunehmendem Alter nachlassendes Interesse am Sport bedauert. Demnach bleiben nur ein Prozent junger Leichtathleten nach Ende ihrer Schulzeit ihrer Sportart treu. Daher ist zunächst ein hoher Erlebniswert bei Sportveranstaltungen mindestens genauso wichtig wie der sportliche Erfolg. Zudem sollen Kinder und Jugendliche die Leichtathletik erst einmal auf spielerische Weise kennenlernen und das mitunter starre Regelwerk dementsprechend in den Hintergrund rücken. So gab es – im Gegensatz zum normalen Wettkampfprogramm – bei der Mini-WM keine 4 x 100-Meter-Staffel, sondern eine 8 x 50-Meter-Staffel. Und im Sprintfinale ging es nicht um Glanz und Prestige, sondern um etwas ganz Essentielles – um den Titel „Schnelle Socke“. Doch ganz ohne Vorbild und den Blick zu den Weltmeistern der Zunft geht es nicht. Deshalb trugen alle Teilnehmer der Mini-WM eine Startnummer mit dem offiziellen Aufdruck der IAAF World Championships 2009.
- Erschienen am 5. September 2008