Interviews
Im Vorfeld des Berlin-Marathons erinnert Uta daran, wie sehr dieser Lauf einst die Geschichte veränderte – und auch ihr Leben
Uta Pippig begeisterte in den 90er Jahren mit einer Reihe von großen Marathonsiegen. Die sympathische und beliebte Läuferin war 1994 und ’95 die Nummer eins in der Welt über die klassische Distanz. Im Ostteil Deutschlands aufgewachsen, war sie unmittelbar nach dem Fall der Berliner Mauer zunächst in die Nähe von Stuttgart gezogen, kam dann jedoch im Sommer 1990 in ihre Heimatstadt Berlin zurück. In jenem Jahr gewann Uta Pippig den Berlin-Marathon, der erstmals ein Stück durch Ost-Berlin führte und dadurch weltweit für Aufmerksamkeit sorgte. Den Berlin-Marathon gewann sie im Trikot des Veranstalters SC Charlottenburg auch in den Jahren 1992 und ’95. Keine Frau hat bis heute mehr Siege beim bedeutendsten deutschen Marathon erreicht – gemeinsam mit der Polin Renata Kokowska ist Uta Pippig die Rekordsiegerin des Rennens.
Als nach wie vor einzige Deutsche gelang ihr 1993 ein Sieg beim legendären New York City-Marathon. Im Frühjahr 1994 sorgte Uta Pippig beim Boston-Marathon für eine Sensation. Sie gewann das Rennen mit einem Streckenrekord von 2:21:45 und der bis dato drittschnellsten je gelaufenen Zeit einer Frau. Mit Siegen in Boston 1995 und ’96 schaffte sie als erste Frau einen Hattrick beim ältesten City-Marathon der Welt. 1996 gewann sie dabei in einem dramatischen Rennen die 100. Auflage des Boston-Marathons.
Zweimal wurde Uta nach ihren Boston-Triumphen von Bill Clinton ins Weiße Haus eingeladen, um mit dem damaligen US-Präsidenten durch die angrenzenden Parkanlagen zu joggen. Heute lebt Uta Pippig in Boulder (USA) und leitet ,Take The Magic Step’, die von ihr gegründete Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen auch mit Hilfe des Laufsports zu einem gesünderen Lebensstil und zu einem größeren Wohlbefinden zu führen. ,Take The Magic Step’ engagiert sich zudem stark im karitativen Bereich über die gleichnamige Stiftung, vor allem bei der Unterstützung von unterprivilegierten Kindern und Frauen.
Als Ehrengast kehrt Uta Pippig am kommenden Wochenende zum 40. BMW Berlin-Marathon zurück. Im Vorfeld des Rennens gab die 48-Jährige das folgende Interview:
Vor 23 Jahren haben Sie den geschichtsträchtigen Berlin-Marathon gewonnen, der wenige Tage vor der Wiedervereinigung erstmals durch beide Teile der Stadt führte – welche Erinnerungen haben Sie an dieses Rennen?
Uta: Dieser Lauf war für so viele Menschen ein außergewöhnliches Erlebnis. Ich kann mich ganz besonders an die grenzenlose Freude der Menschen, aber auch an die Erleichterung und Freudentränen vieler erinnern, nun ohne die mitten durch die Stadt führende Mauer leben zu können. Wir konnten einfach hindurch laufen. Es war ein Marathon, bei dem ich eine Gänsehaut hatte, als ich drei Tage vor der Wiedervereinigung gemeinsam mit meinen Freunden und allen anderen Läufern durch das Brandenburger Tor rannte in eine gute und atemberaubende Zukunft. Für so viele Menschen war es eine bewegende Zeit, die uns geprägt und vereint hat.
Anfang der 90er Jahre folgte Ihr Aufstieg in die Marathon-Weltspitze mit Siegen in New York und Boston – welches war Ihr größtes Rennen und welches Ihr schönstes?
Uta: Der bewegende Berlin-Marathon 1990 gemeinsam mit den vielen Lauffreunden aus Ost und West und die 100. Auflage des Boston-Marathons 1996, das waren jeweils unglaublich schöne Rennen. Als ehemalige ostdeutsche Athletin 1990 durch das Brandenburger Tor laufen zu können und dann das Rennen auch noch zu gewinnen, war ein sehr emotionales und bewegendes Erlebnis. Davon hätte ich zwölf Monate vorher nicht einmal zu träumen gewagt. Aus leistungssportlicher Sicht ist es der Erfolg beim Boston-Marathon 1996. Damals, 1996, war ich so gut vorbereitet wie nie zuvor auf einen Marathon. Doch schon nach einigen Kilometern bekam ich Magenprobleme und etwas später Durchfall. Ich hatte bereits einen großen Rückstand auf die Kenianerin Tegla Loroupe, aber nach einer langen Aufholjagd konnte ich doch noch gewinnen – ich habe so viele Erinnerungen an diesen Lauf.
In Berlin gewannen Sie noch zweimal – 1992 und 1995 – was war das Besondere für Sie am Berlin-Marathon – gibt es spezielle Erinnerungen an diese Läufe?
Uta: Ja, vor allem an die tolle Atmosphäre. Die Berliner Zuschauer sind einfach klasse. Ich schätze die Liebe der Menschen zu ihrem Marathon so sehr. Das weltweite Interesse an dem Rennen ist riesig und die Organisation einmalig. Damals führte die Strecke ja noch von der Straße des 17. Juni in Richtung Brandenburger Tor, dann ging es in einer Schleife durch den östlichen Teil der Stadt, später ganz in der Nähe meiner Wohnung in Steglitz vorbei, über den Wilden Eber mit seiner ausgelassenen Stimmung und schließlich ins Ziel auf dem Kurfürstendamm. Der Berlin-Marathon hatte damals wie heute eine wirklich geschichtsträchtige Strecke durch unsere wunderschöne Stadt.
Sehr gut in Erinnerung habe ich auch die vielen frohen Gesichter und die motivierenden Anfeuerungsrufe, die einen einfach ins Ziel getragen haben. Und an eine Sache kann ich mich ganz besonders gut erinnern: Wir sind das Rennen immer etwas zu schnell angegangen, denn es ging schon nach gut drei Kilometern durch das Brandenburger Tor. Jeder wollte dort als einer der ersten hindurchlaufen. Das war renntaktisch schwierig und es wäre wohl für mich einfacher gewesen, auf der heutigen Strecke zu laufen: Ein Schlussspurt durch das Brandenburger Tor – besser und schneller geht es doch gar nicht!
Sie leben seit vielen Jahren in den USA – was machen Sie zurzeit?
Uta: Der Schwerpunkt meiner Tätigkeiten ist die Arbeit für meine Take The Magic Step-Stiftung. Hier geht es darum, verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen zu unterstützen, ganz besonders liegen uns dabei unterprivilegierte Kinder und Frauen am Herzen. Im Rahmen dieses karitativen Engagements betreue ich auch die Läufer der ,Hoyt Foundation’ die hinter dem legendären Vater Dick Hoyt und seinem im Rollstuhl sitzenden Sohn Rick Hoyt stehen, wenn sie sich auf den Boston-Marathon vorbereiten. Auch einige Teilnehmer des BMW Berlin-Marathon erhalten von mir Ratschläge für ihr Training in Vorbereitung auf ihr Rennen.
Sehr am Herzen liegt mir außerdem meine Vortragsserie: „Running To Freedom™ – Laufend in die Freiheit“, die sich mit dem Wert von Freiheit und Wohlbefinden beschäftigt sowie mit den Hoffnungen und ganz persönlichen Zielen der Teilnehmer, ihr Leben zu verbessern.
Parallel zur Stiftung und „Running To Freedom“ arbeite ich am Take The Magic Step-Programm. Take The Magic Step steht für den Schritt aus der Tür, den ersten Schritt auf einem neuen Weg. Unser Konzept ist es, Menschen zu helfen, zu einem größeren Wohlbefinden zu gelangen – durch Inspiration, fundiertes Wissen und Veränderungen ihrer Lebensgewohnheiten wollen wir sie für die Idee von geistiger und körperlicher Fitness begeistern. Behutsam und bewusst, Schritt für Schritt. Natürlich spielt der Laufsport dabei eine besondere Rolle. Und die entsprechenden Inhalte publizieren wir auf meiner Website www.TakeTheMagicStep.com.
Spielt bei „Running To Freedom™“ Ihre eigene Geschichte eine Rolle?
Uta: Ja, „Running To Freedom – Laufend in die Freiheit“ trifft auf verschiedene Hintergründe zu – auch auf meine Zeit in der früheren DDR und auf meinen Weg, der mich schließlich bis in die USA führte. Diese Zeit ist für mich mit wertvollen Erfahrungen und tiefen Emotionen verbunden, die mein Leben fortan prägten. Ich möchte diese Erfahrungen gerne weitergeben. Deswegen habe ich diese Inhalte als eine der Grundlagen in meine Vortragsserie „Running To Freedom“ integriert.
Es geht dabei um eine erweiterte Reflektion darüber, welchen Wert unsere Freiheit sowohl für die Gesellschaft wie auch ganz persönlich für den Einzelnen hat. Und im Weiteren geht es unter anderem um den Wunsch nach Veränderung, um das Streben nach Erfüllung und wie man die notwendige Inspiration finden kann, persönliche Ziele zu erreichen.
Ich hatte vor kurzem in Amerika die Gelegenheit, mit der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright, die aus der früheren Tschechoslowakei stammt, über das „Running To Freedom“-Programm zu sprechen. Ich konnte sie beim „Aspen Ideas Festival“ in Colorado treffen. Wir haben in diesem Zusammenhang auch über die tragischen Ereignisse beim diesjährigen Boston-Marathon geredet. Wir teilten die Sorge darüber, dass nicht alle in Frieden leben können, und ich habe ihr davon erzählt, wie sehr die Läufer aus aller Welt nach dem Boston-Marathon zusammengerückt sind. Ich bekam übrigens in Bezug auf „Running To Freedom“ großen Zuspruch aus Deutschland und das berührt mich wirklich sehr.
Welche weiteren Verbindungen nach Deutschland haben Sie?
Uta: Sehr liebevolle. Die Kinderhilfe in Petershagen-Eggersdorf, meinem Heimatort in der Nähe von Berlin, wo auch meine Eltern leben, liegt mir sehr am Herzen. Wir unterstützen diese Organisation, die bedürftigen Kindern und Jugendlichen aus der Region hilft und Sommerferienlager für Mädchen und Jungen aus dem Tschernobyl-Gebiet organisiert, über unsere Stiftung.
Und mit großem Dank und tiefer Wertschätzung arbeite ich schon seit vielen Jahren mit meinem talentierten und liebevollen Take The Magic Step-Team zusammen, dessen Mitglieder nicht nur aus den USA, sondern auch aus Berlin und der Pfalz kommen. Es sind Freunde, die mich bei meinen Ideen, Zielen und Projekten bezüglich der Stiftung sowie Take The Magic Step und damit auch „Running To Freedom“ unterstützen. Ich bekomme von ihnen auch emotional viel Feedback – das macht einfach Spaß.
Nach Hause habe ich zu meiner Familie und meinen Freunden immer eine ganz enge Verbindung. Ich bin gerne in Berlin und freue mich riesig, dass ich mit Euch allen zusammen den 40. BMW Berlin-Marathon feiern kann – vielen Dank!
Sie sind bei vielen großen US-Straßenläufen, zum Beispiel dem Boston-Marathon, vor Ort – wo sehen Sie Unterschiede zwischen den Rennen dort und denen in Deutschland?
Uta: Es ist nicht mehr so, wie es Anfang der 90er Jahre war, es haben grundlegende Veränderungen stattgefunden. Damals waren Straßenläufe in den USA schon etablierter, während sie sich in Deutschland nach der Wiedervereinigung noch für die neu gewonnene Freiheit öffnen mussten. Doch mittlerweile gibt es schon lange keinen Unterschied mehr, die Begeisterung ist identisch. Denn gerade nach dem tragischen Ereignis in Boston sind wir noch enger zusammengewachsen. Hier wie auch dort lieben die Läufer ihre Rennen, die Organisatoren sorgen für einen optimalen Ablauf und es gibt sehr viele schöne und interessante Veranstaltungen. Müsste ich Boston und Berlin miteinander vergleichen – nun, dann kann ich aus voller Überzeugung sagen, dass beide Marathon-Rennen zu meinen Lieblingsläufen gehören. Organisation, Zuschauerbegeisterung, Spitzen- und Breitensportler, die mit viel Liebe zum Laufen zusammenkommen, sowie die tolle Atmosphäre sind einfach mitreißend.
Wie oft und welche Strecken laufen Sie selbst noch?
Uta: Leider bin ich noch gehandicapt, weil ich mich im vergangenen Jahr einer Operation an der Oberschenkel-Muskulatur unterziehen musste. Zwei Jahre zuvor hatte ich einen schweren Radunfall, von dem ich mich bis jetzt noch nicht vollständig erholt habe. Diese beiden Ereignisse erforderten eine lange Therapiezeit, bis ich endlich die ersten Laufeinheiten ohne größere Probleme absolvieren konnte. Inzwischen habe ich wieder einen lockeren Laufrhythmus gefunden und bin sehr froh darüber. Mit weiteren Schritten der Heilung muss ich mich allerdings gedulden und brauche noch etwas Zeit, um die gesamte Muskulatur, auch die Sehnen und Bänder des Beines, sowie alle Strukturen des Rückens zu kräftigen. So kombiniere ich das lockere Laufen mit Schwimmen, Radfahren, Yoga und Stabilisationstraining. Mit viel Freude konnte ich nun schon einige lockere 10-km-Läufe absolvieren, jedoch ist alles noch sehr unbeständig. Zum Glück kann ich an meinen Lieblings-Charity-Events teilnehmen und habe viel Spaß gemeinsam mit meinen Lauf- und Radfreunden und natürlich mit den Kids.
Wie bewerten Sie die Entwicklung, die die Marathon-Weltspitze der Frauen in den vergangenen Jahren gemacht hat? Was erwarten Sie in den nächsten Jahren?
Uta: Mit Begeisterung verfolge ich die tolle Entwicklung, die die Frauen-Weltspitze in den vergangenen Jahren genommen hat. Wir sehen jetzt eine enorme Breite in der Spitze, die es so noch nicht gegeben hat. Mehrere Läuferinnen sind in der Lage, Zeiten von 2:22 Stunden und schneller zu laufen. Ich rechne damit, dass diese Breite in der Spitze noch stärker werden wird, wenn weitere hochklassige 5.000-m- und 10.000-m-Läuferinnen zum Marathon wechseln werden. Bei einer solchen Quantität folgt in der Regel auch eine Weiterentwicklung in der Qualität – sprich: Es wird noch schnellere Zeiten geben. Ich bin gespannt auf die nächsten Marathonrennen von Mary Keitany, Aberu Kebede, Priscah Jeptoo, Tsegaye Tirfi sowie der Olympiasiegerin Tiki Gelana und natürlich auf das Debüt der 10.000-m-Olympiasiegerin Tirunesh Dibaba. Vielleicht sehen wir bald vermehrt Zeiten im Bereich von 2:17 und 2:18 Stunden. Irgendwann wird dann auch der Weltrekord fallen. Aber ich glaube, das dauert noch eine Weile, denn die Leistung von Paula Radcliffe von 2:15:25 Stunden ist wirklich fantastisch.
Werden deutsche Läuferinnen in der Zukunft eine Chance haben, die Weltspitze zu erreichen?
Uta: Bestimmt, obwohl es ein herausfordernder Weg sein wird. Denn besonders die Läuferinnen aus Afrika und Asien werden immer wieder hervorragende Leistungen und schnelle Zeiten erreichen. Doch auch wir haben sehr talentierte und ambitionierte Läuferinnen mit Sabrina Mockenhaupt, Katharina Heinig, Anna Hahner und Lisa Hahner, die sich noch weiter etablieren können und ein großes Potenzial besitzen. Ich denke da beispielsweise an Irina Mikitenko, die gerade erfolgreich an den Masters-Events teilnimmt und bewiesen hat, dass eine Zeit unter 2:20 möglich ist. Ich hoffe, es gibt genügend Unterstützung für die jungen Talente durch hilfreiche und erfahrene Menschen in ihrem Umfeld, einen weitsichtigen Trainer und den nötigen Beistand der Eltern und Freunde, um sie auf ihrem Weg entsprechend zu fördern. Natürlich werde ich sie kräftig anfeuern und ihnen ganz fest die Daumen drücken! Und wer weiß, vielleicht habe ich Glück und werde den ein oder anderen beim Berlin-Marathon treffen.
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Das Interview führte Jörg Wenig im Vorfeld des Berlin-Marathons.
Erschienen am 20. September 2013
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- Erschienen am 20. September 2013
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