The Fit Life: Mach’ Dich nützlich!
Einer meiner früheren Arbeitsplätze war extrem günstig für mich gelegen, nur wenige hundert Meter von dem Radweg entfernt, der den Rock Creek Park in Washington, D.C. durchquert. Mein damaliges Zuhause in Maryland und mein Büro trennte ein fantastischer Lauf über einen ungepflasterten Weg auf einer alten Eisenbahn-Trasse, über Reitwege und einen Radweg, der parallel zum plätschernden Rock Creek verlief. Diese Strecke ein- bis zweimal die Woche zu laufen, wurde schnell der beste Teil meiner Arbeit. (Der Fairness halber muss ich sagen, dass dies der Schönheit des Laufes nicht wirklich gerecht wird.) Ich liebte das Gefühl, um acht Uhr im Büro anzukommen und schon 20 Kilometer an Tagesarbeit geleistet zu haben, ohne dafür viel früher als gewöhnlich aufstehen zu müssen. Im Gegensatz zu den meisten meiner Kollegen kam ich gut gelaunt zur Arbeit, zur Tat bereit, ohne mich mit schlechtem Bürokaffee aufpuschen zu müssen. Außerdem konnte ich so sagenhafte 1,80 Dollar für die U-Bahnfahrkarte sparen.
Am wichtigsten jedoch war, dass ich endlich die anklagende Frage meines Bruders beantworten konnte, die er mir zwei Jahrzehnte zuvor gestellt hatte: Warum fängst du nicht etwas Sinnvolles mit deinem Laufen an? Damit meinte er nicht, was man heutzutage bei einer solchen Frage denken würde: Für welche Wohltätigkeitsorganisation sammelst du denn diesen Monat Spenden? Er meinte die Frage wirklich rein pragmatisch: Wenn du schon soviel Energie aufbringen willst, warum dann nicht, um etwas Sinnvolles damit zu erreichen?
Auch wenn ich seit jeher Laufen an sich als äußerst lohnenswert empfinde, hat mich die Frage meines Bruders nie in Ruhe gelassen. Als er mir die Frage stellte, hatte ich gerade gelesen, dass der große amerikanische Marathonläufer Bill Rodgers seine Laufgewohnheiten gern mit dem Argument rechtfertigte, locker zur nächsten Tankstelle laufen zu können, wenn sein Auto einmal den Geist aufgeben sollte. Als Jugendlicher hoffte ich daher ständig, dass unsere Familienkutsche zusammenbrechen möge und ich daraufhin mit meinen vor Mitochondrien strotzenden Beinen Hilfe holen könnte. Doch vergebens. Da aber die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, hatte ich stets ein Paar Turnschuhe im Kofferraum meines ersten eigenen Autos. Fast 15 Jahre lang eine alte Klapperkiste zu fahren, musste irgendwann zwangsläufig – davon war ich überzeugt – zur erhofften Krisensituation führen, nach der ich meinen Bruder dann trotzig davon in Kenntnis setzen würde, wie hilfreich doch all diese Jahre des Laufens gewesen waren. Doch wieder vergeblich. Und heutzutage, wo wirklich jeder ein Handy besitzt, ist diese Möglichkeit wohl für immer dahin.
Aber laufen zur Arbeit? Es gibt in der Tat viele Menschen, die laufen, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Denken Sie nur an das gesparte Geld, die vermiedenen Menschenmengen, die eingesparten fossilen Brennstoffe. Noch besser war, wie ich schnell feststellte, von der Arbeit nach Hause zu laufen. Heim zu kommen und zu wissen, dass mein berufliches und sportliches Tagwerk getan ist und ich mich einfach hinlegen und entspannen kann … – ,normalen’ Leuten muss es wohl immer so ergehen, auch ohne das Laufen, vermute ich.
Nicht mehr zur und von der Arbeit zurück laufen zu können, war das Schlimmste als ich diesen Job aufgab. Mein neues Büro war dann 60 Kilometer von meinem Zuhause entfernt, hauptsächlich musste ich über den Autobahnring von Washington fahren. Ich liebe zwar das Laufen, aber das wäre ja nun doch ein wenig übertrieben gewesen.
Die wenigen anderen Argumente, die ich auf die Frage meines Bruders in den letzten drei Jahrzehnten vorbrachte, waren mehr Erfindung als Notwendigkeit. So stürzte ich als Kind zum Supermarkt los, wenn meine Mutter feststellte, dass ihr ein paar Dinge fehlten, oder rannte vom Heimwerker-Laden nach Hause. Im Sinne meines Bruders war mein Laufen eigentlich nur nützlich, um fit für andere Dinge zu sein – wie beispielsweise, ähm, meinem Bruder beim Umzug zu helfen. Hier wäre ein Radfahrer jedoch genauso hilfreich gewesen.
Eine nur in meinen gewagtesten Träumen existierende Antwort erhalte ich mir jedoch. Eine Antwort, die mein Bruder als Anwalt für kriminelle Delikte mit Sicherheit gutheißen würde. Ich stelle mir vor, wie ich und nur ich allein inmitten einer Menschenmenge einen Handtaschendieb erwische. Während die anderen hilflos herumstehen, jage ich eifrig unseren jungen Taugenichts (der, damit sich die ganze Geschichte noch besser verkaufen lässt, natürlich gute 15 Jahre jünger ist als ich!). Statt ihn einfach nur so schnell wie möglich einzuholen, bleibe ich etwa fünf Meter hinter ihm – nah genug, um ihn wissen zu lassen, dass ich da bin, und weit genug, um ihn glauben zu lassen, er könne mir entkommen. Nach ein paar Minuten schaut er sich um mit einer Mischung aus Angst und Verwirrung, doch ich bleibe auf Abstand. Einige Minuten später sieht er sich nochmals um, diesmal jedoch mit den unverkennbaren Anzeichen steigenden Sauerstoffmangels im Gesicht. Unsere Blicke treffen sich, ich lächle und winke. Kurz darauf – sensationell – gibt er schließlich auf und lässt die Handtasche fallen. Die Geschichte meiner Heldentat verbreitet sich schnell. Ein völlig neues Segment der Gesellschaft beginnt – durch mich inspiriert – diese, von allen Aktivitäten sinnvollste, auszuüben. Und bald darauf haben die USA die weltweit fittesten Taschendiebe.
Eine Version dieses Essays wird in Scotts bald erscheinendem Buch On Solid Ground: What It’s Like to be a Runner zu finden sein. Weitere Einblicke in das Buch werden wir Ihnen in den kommenden Monaten exklusiv auf dieser Internetseite geben. Weitere Fit Life-Essays finden Sie in unserer Rubrik Inspiration.
- Erschienen am 25. January 2007
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