Weltrekordlerin Meseret Defar: „In Äthiopien lernt man, sich zu überwinden“

Von Jörg Wenig mit Marisa Reich
Meseret Defar © www.photorun.net
Meseret Defar © www.photorun.net

Meseret Defar verbesserte beim Golden-League-Auftakt der Leichtathleten in Oslo im Bislett-Stadion ihren eigenen Weltrekord über 5.000 Meter auf 14:16,53 Minuten. Damit war sie fast acht Sekunden schneller als zuvor. Nach ihrem Rennen gab die äthiopische 5.000-m-Olympiasiegerin das folgende Interview:

Glückwunsch für diese tolle Leistung! Wie war das Rennen aus Ihrer Sicht?

Meseret Defar: „Es war ein unglaubliches Rennen. Alles hat einfach perfekt gepasst. Meine Vorbereitungen im Training liefen super, meine Kondition ist perfekt, und das Wetter war genau richtig.“

Wo haben Sie sich auf diesen Weltrekordangriff vorbereitet?

Meseret Defar: „Ich habe zuhause in Addis Abeba, in Äthiopien, trainiert. Meine Familie und mein Mann leben dort. Ich bin ein Familienmensch und brauche meine Familie um mich herum. Mein Vater Tolla, meine Mutter Asther und meine fünf Geschwister unterstützen mich mit ihrer ganzen Kraft. Auch mein Ehemann Tewodros Hailu hilft mir mit meinem täglichen Training, und er ist auch sooft es geht bei den Wettkämpfen mit dabei. Er ist so wichtig für mich, denn er gibt mir Kraft, sorgt sich um mich und unterstützt mich bei allem was ich tue.“

Erzählen Sie mehr von sich, können wir erfahren, seit wann Sie verheiratet sind?

Meseret Defar: „Wir haben kurz vor den Olympischen Spielen 2004 geheiratet. Die Hochzeit hat mir für die Olympischen Spiele Kraft gegeben. Über 5.000 Meter bin ich damals Olympiasiegerin geworden. Tewodros ist auch hier in Oslo mit dabei gewesen. Es ist schön jemanden so Nahestehenden bei so wichtigen Ereignissen dabei zu haben.“

Sie hatten bei dem Rennen bis Kilometer zwei eine Tempomacherin, dann waren Sie auf sich allein gestellt.

Meseret Defar: „Ich war die klare Favoritin und ich wusste, dass meine Konkurrentinnen keine Chance haben würden mit mir mitzugehen. Nachdem die Tempomacherin aus dem Rennen ging, war mir klar, dass ich mich selber um die Pace kümmern muss. Also bin ich einfach nur gelaufen – so schnell es ging. Nach drei Kilometern fühlte ich mich nicht müde, und dann war ich mir sicher, dass ich es schaffen würde, den Weltrekord zu brechen.“

Sie haben den Weltrekord nicht nur um ein paar Zehntel gebrochen, sondern um fast acht Sekunden – war das Ihr Ziel?

Meseret Defar: „Mein Ziel war ein neuer Weltrekord. Ich bin davon ausgegangen, dass ich so um die 14:19 oder 14:20 laufen könnte. Dass ich dann am Ende wirklich so schnell war, konnte ich selber kaum glauben. Ich hätte nie im Traum an eine Zeit von 14:16 geglaubt.“

Der Langstreckenlauf, das harte Training und die Rennen selber erfordern viel Disziplin. Ist das nicht unheimlich schwer?

Meseret Defar: „Ich glaube, die Disziplin habe ich schon als Kind von zu Hause mitbekommen. In Äthiopien gibt es Dinge, die man einfach erledigen muss. Ich musste zum Beispiel immer Wasser aus dem nächstgelegenen Fluss holen und Holz aus dem Wald, obwohl der von Hyänen besiedelt war. Da lernt man, dass man sich manchmal überwinden muss.“

Warum sind die äthiopischen Läufer so dominierend auf den Bahn-Langstrecken?

Meseret Defar: „Das ist eine gute Frage. Ich denke, es sind mehrere Faktoren die da zusammenspielen. Einmal ist es die Höhe in Äthiopien [50 % der Fläche in Äthiopien liegt höher als 1200 Meter über dem Meeresspiegel, mehr als 25% über 1800 Meter, über 5% über 3500 Meter]. Addis Abeba liegt auch relativ hoch [2.370 Meter]. Zum anderen ist es das selbstangebaute und dadurch nährwertreiche Essen. Außerdem spielt der feste Familienzusammenhalt eine Rolle, den ich schon angesprochen hatte. Dieser sorgt für viel Disziplin und motiviert auch dazu, dran zu bleiben an den Zielen und Träumen.“

Sie haben in diesem Jahr schon vieles erreicht – Sie sind im Februar über 3.000 m Hallen-Weltrekord in 8:23,72 Minuten gelaufen und jetzt über 5.000 Meter. Was haben Sie sich für dieses Jahr noch vorgenommen?

Meseret Defar: „Mein großes Ziel in diesem Jahr sind die Weltmeisterschaften in Osaka [Japan, 25.August bis 2. September 2007]. Dort möchte ich über die 5.000 Meter an den Start gehen. Das Wetter wird nicht ideal sein, da es ziemlich heiß und schwül werden wird. Außerdem gibt es bei Weltmeisterschaften oft eher ein taktisches Rennen, da jeder einfach nur gewinnen möchte, egal welche Zeit am Ende steht.“

Ist der enorme Siegeswille auch bei Ihnen und Ihrer Landsfrau Tirunesh Dibaba, die Weltmeisterin über 5.000 Meter und Hallen-Weltrekordhalterin über 5.000 Meter ist, gegeben?

Meseret Defar: „Ja, natürlich. Tirunesh [Dibaba] und ich sind sehr gut befreundet. Wir trainieren oft für die Nationalmannschaft zusammen und mögen uns. Aber auf der Bahn sind wir nun einmal Rivalen. Das ist ganz normal – Wettkampf ist Wettkampf, und da ist kein Platz für Freundschaften. Wir liegen leistungsmäßig auf einem Level, daher riskieren wir es nicht, richtig schnell gegeneinander zu laufen. Deswegen haben wir uns bisher bei Rennen taktisch verhalten, den anderen beobachtet und mehr reagiert als agiert.“

Mit Ihren gerade einmal 23 Jahren haben Sie in der Leichtathletik schon vieles erreicht – was steckt an Leistungskkraft noch in Ihnen, was ist noch möglich für Sie?

Meseret Defar: „Was sonst noch so möglich ist? Ich habe ja schon einige Rekorde erreicht, aber ich würde gerne noch gut laufen bis ich 30 Jahre alt bin – und in dieser Zeit hoffentlich auch noch ein paar Rekorde brechen und gute Rennen laufen. Wenn ich mein Training weiter verbessern kann, vielleicht sind dann auch 14:10 Minuten ein Ziel.“

Können Sie sich vorstellen, in Zukunft auch über die 10.000 Meter an den Start zu gehen?

Meseret Defar: „Ja, ich möchte in der Zukunft auch über 10.000 Meter starten. Bisher habe ich mich an diese Distanz nicht wirklich gewagt. Aber ich weiß, dass ich auch das Zeug für die 10.000 Meter habe.“

Sie sagten, Sie haben Ihrer Familie und besonders Ihren Eltern viel zu verdanken. Wie haben Sie denn mit der Leichtathletik begonnen?

Meseret Defar: „Ich habe meinen Eltern vor einiger Zeit ein ganz besonderes Geschenk gemacht. Von meinen Preisgeldern habe ich ihnen ein schönes Haus in einem Vorort von Addis Abeba gebaut. Ich bin hier groß geworden und habe hier auch mit dem Laufen begonnen. Mitte der neunziger Jahre habe ich immer für meine Familie Besorgungen gemacht. So bin ich viel gelaufen, um Wasser zu holen oder Lebensmittel zu besorgen.“

Sie haben In Oslo für Ihren Weltrekord eine Prämie von 50.000 US-Dollar erhalten. Was werden Sie damit machen?

Meseret Defar: „Ich setze mich seit Jahren für benachteiligte Kinder ein. Ich werde wieder einen Teil meiner Prämie für Waisen und an AIDS und HIV erkrankte Kinder spenden. Ich bin seit September 2004 auch als UN-Botschafterin für den United Nations Population Fund im Einsatz.“

Wo werden Sie als nächstes an den Start gehen?

Meseret Defar: „Als nächstes werde ich am 27. Juni in Ostrava an den Start gehen, natürlich wieder über 5.000 Meter. Ob ich allerdings dort wieder einen neuen Weltrekord laufen kann, weiß ich nicht. Es ist ja nun einmal nicht etwas alltägliches, so schnell zu laufen. Ich muss schauen, wie ich mich fühle und wie die Bedingungen dort sind.“

Und Ihr Ziel bei den Weltmeisterschaften in Osaka?

Meseret Defar: „Ganz klar – Gold. Die Zeit ist mir egal. Nur gewinnen möchte ich, denn diesen Titel habe ich ja bislang noch nicht.“