Paul Tergat: „Leidenschaft, Wille und Glaube an den Erfolg führen zum Ziel“

Von Jörg Wenig
Paul Tergat umarmt Berlin! © www.photorun.net
Paul Tergat umarmt Berlin! © www.photorun.net

Paul Tergat ist einer der besten Läufer aller Zeiten. Der 39-jährige Kenianer feierte in Berlin 2003 seinen größten Erfolg, als er als erster Läufer den Marathon in unter 2:05 Stunden rannte (2:04:55). Paul Tergat gewann fünf Cross-WM-Titel hintereinander, war zweimal Olympiazweiter über 10.000 m und erzielte Weltrekorde auf der Bahn sowie auf der Straße. Er wohnt mit seiner Frau Monica und seinen vier Kindern in Ngong in der Nähe von Nairobi, wo er sich mittlerweile einen Namen als Trainer und Mentor gemacht hat. In Berlin gab Paul Tergat vor kurzem das folgende Interview.

Paul, seit 1992 gehören Sie zur Weltklasse auf den Langstrecken – wie haben Sie das über einen so langen Zeitraum geschafft, und wie haben Sie sich motiviert?

Paul Tergat: Wenn du die Leidenschaft hast, geradlinig bist, hart arbeitest, bereit bist, für das Erreichen deines Ziels viele Opfer zu bringen und an den Erfolg glaubst, dann ist es möglich. Ich habe mir in meiner Karriere immer besondere Herausforderungen gesucht – große Meisterschaften, große Gegner und Rekorde.

Sie hatten viele beachtliche Erfolge. Welche Leistung ist für Sie die wertvollste?

Paul: Das ist ganz klar der Marathon-Weltrekord. Als erster Läufer eine Zeit unter 2:05 Stunden erreicht zu haben, das war der Höhepunkt meiner Karriere. Aber ich hatte zuvor natürlich auch große Erfolge im Cross, auf der Straße oder auf der Bahn und habe Weltrekorde gebrochen. Das ist in dieser Kombination recht einzigartig. Auch wenn ich mir meine Bestzeiten über 5.000 oder 3.000 Meter anschaue – 12:49,87 und 7:28,70 Minuten – so muss ich sagen, das sind super Zeiten.

Glauben Sie, dass Sie Ihr Potenzial im Marathon bereits voll ausgereizt haben bei ihrem Lauf in Berlin in 2:04:55 Stunden?

Paul: Einige Sekunden habe ich damals verloren, weil ich vor dem Ziel am Brandenburger Tor kurze Zeit irritiert war und nicht genau wusste, wo es lang ging. Da stoppte ich etwas ab. Aber ansonsten war das der perfekte Tag für mich und ja, ich habe das Maximum herausgeholt. Nach meinem Rennen in London im Frühjahr 2003, wusste ich, dass ich es schaffen könnte, die 2:05-Stunden-Barriere zu durchbrechen. Dann habe ich mich fünf Monate lang ausschließlich auf den Berlin-Marathon vorbereitet, habe jeden Tag an meine ‚Mission Weltrekord’ gedacht und an nichts anderes. Am Ende hat sich die Mühe ausgezahlt, ich habe mir meinen Traum vom Marathon-Weltrekord erfüllt.

Die erste Zeit unter 2:05 Stunden, das wird immer eine sporthistorische Leistung bleiben.

Paul: Ja, ich habe damals einen neuen Standard gesetzt und gezeigt, dass man einen Marathon unter 2:05 Stunden laufen kann. Die Konsequenz daraus sehen wir jetzt: Es laufen noch andere Athleten derartige Zeiten. Es ist möglich, wenn man daran glaubt und sehr zielgerichtet darauf hinarbeitet. Ich muss allerdings auch sagen: Ich weiß, was an Training nötig ist, um eine solche Zeit zu erreichen. Das ist sehr hart. Deshalb ist auch eine Zeit unter 2:06 Stunden in meinen Augen eine Lebensleistung für einen Top-Marathonläufer.

In den vergangenen zwei Jahren sind Sie kaum gestartet. Was war der Grund dafür?

Paul: 2007 merkte ich, dass mein Körper eine Erholungsphase braucht. Ich hatte in all den Jahren nie eine längere Pause eingelegt. Das ist mental sehr anstrengend, wenn ein Rennen auf das nächste folgt.

Es hieß zeitweilig, Sie wären bei einem Armeeeinsatz. Sie sind ja Feldwebel bei der kenianischen Luftwaffe.

Paul: Das stimmt nicht ganz. Ich wollte in dieser Zeit nicht herumsitzen, deswegen habe ich einen sechsmonatigen Managementkurs bei der Armee gemacht. Ich bin Mitglied der Luftwaffe, aber ich selbst fliege nicht. Das macht übrigens mein ältester Sohn. Er absolviert gerade eine Pilotenausbildung in Südafrika.

Vater Tergat läuft lieber – wie lange werden Sie Ihre Laufkarriere noch fortsetzen?

Paul am Start mit den Kindern... © www.photorun.net
Paul am Start mit den Kindern… © www.photorun.net

Paul: Ich werde noch ein oder zwei Jahre weiter laufen. In dieser Zeit möchte ich bei einem großen Marathon noch einmal sehr schnell rennen und zugleich gewinnen. Ich denke dabei nicht an ein World Marathon Majors-Rennen, aber an einen anderen namhaften Marathon. Im kommenden Herbst will ich auf jeden Fall einen laufen.

Sie werden im Juni 40 Jahre alt. Spielt der Master-Weltrekord von 2:08:46 Stunden des Mexikaners Andres Espinosa eine Rolle bei Ihren Plänen?

Paul: Der Master-Weltrekord ist keine allzu große Herausforderung für mich, den kann ich brechen, aber ich will jetzt nicht sagen, welche Zeit für mich im Marathon vielleicht noch möglich sein könnte.

Sehen Sie in Ihrem Alter die Marathonstrecke als die optimale Distanz, also die, auf der Sie Ihre maximale Leistung bringen können?

Paul: Ja, der Marathon ist für mich heute klar die beste Distanz, um mein Leistungsvermögen voll auszuschöpfen.

Jetzt waren Sie ein paar Tage in Berlin – was war es für ein Gefühl, an die Stätte ihres größten Triumphes zurückzukehren?

Paul: Nach dem Berlin-Marathon 2003 in diese Stadt zurückzukommen, das war eine tolle Sache für mich. Ich fühle mich hier ein bisschen wie zu Hause, denn ich habe in Berlin gute Freunde. Außerdem sind die Rennen in Deutschland immer sehr professionell organisiert.

Sie hatten aber dieses Mal Pech, denn eigentlich wollten Sie bei den BIG 25 Berlin starten. Was ist passiert?

Paul: Am Montag vor dem Rennen bin ich in Ngong im Training ausgerutscht und gestürzt, weil es geregnet hatte und die Oberfläche rutschig war. Zunächst habe ich mich nicht schlecht gefühlt, doch am nächsten Tag merkte ich, dass ich Rückenschmerzen bekam. Mein Arzt sagte mir, ich solle nicht rennen, weil daraus sonst ein ernsthaftes Problem entstehen würde. Das ist sehr ärgerlich, denn ich habe mich auf die BIG 25 Berlin gefreut. Ich bin nämlich in meiner Karriere nie zuvor ein 25-km-Rennen gelaufen und wollte eine gute Zeit erzielen. Ich war wirklich gut in Form und denke, dass ein Ergebnis unter 1:14 Stunden kein Problem gewesen wäre. Ich hoffe, dass ich im nächsten Jahr hier starten kann.

Zurück nach Kenia: In Ngong trainieren Sie auch einige andere Läufer. Wie stark unterstützen Sie kenianische Athleten?

Paul: Ich trainiere in Ngong zurzeit etwa 30 Athleten. Darunter sind einige Talente, die in der Zukunft eine große Rolle spielen können. Einer von ihnen, Victor Kigen, hat zum Beispiel im April den Belgrad-Marathon gewonnen. Ich trainiere jedoch meine Athleten nicht nur, ich unterstütze sie auch in allen anderen Bereichen. Dabei geht es zum Beispiel darum, wie sie ihr Geld investieren sollten, um für die Zeit nach dem Sport vorzusorgen, wie sie sich gegenüber den Medien verhalten sollten oder worauf sie rechtlich achten müssen, wenn sie Verträge schließen – dass sie zum Beispiel die Abmachung Schwarz auf Weiß auf Papier in der Hand haben. Ich veranstalte in Eldoret und Nairobi auch Symposien für Läufer, bei denen ich über diese Themen spreche.

Schon lange kommt das Gros der erfolgreichen Straßenläufer aus Kenia – gibt es noch weiteres Potenzial in Ihrer Heimat?

Paul: Es gibt sehr viele Talente in Kenia. Der Pool wird immer größer, die Reserven sind enorm. Die neue Generation, das sind jene Athleten, die uns gesehen haben und uns zum Vorbild genommen haben. Sie haben unsere Karrieren verfolgt und wollen nun eigene Erfolge erzielen.

Die kenianischen Marathonläufer werden immer stärker, das wurde in diesem Frühjahr einmal mehr offensichtlich. Sind 2:02 Stunden im Marathon wirklich möglich? Und welche Zeit trauen Sie dem äthiopischen Weltrekordler Haile Gebrselassie noch zu?

Paul: 2:02 Stunden zu laufen, das wird sehr, sehr schwer. Wenn man die erste Hälfte schneller als 61:30 Minuten läuft, wird man einbrechen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in der Zukunft ein Marathonläufer unter zwei Stunden bleibt, denn wir haben das Limit in meinen Augen fast erreicht. Auch für Haile wird es immer schwerer, seinen aktuellen Weltrekord von 2:03:59 Stunden zu unterbieten. Wenn sich Sammy Wanjiru, Martin Lel, James Kwambai und Duncan Kibet einig wären und in einem Rennen sich alle an der Tempoarbeit beteiligen würden, dann ist eine Zeit von knapp über 2:03 möglich, aber auch das wird extrem hart. Beim London-Marathon sind einfach zu viele Stars am Start, deswegen klappt es dort nicht.

Welchen Ihrer vier gerade genannten Landsleute halten Sie für den stärksten?

Paul: Ich denke, das ist Sammy Wanjiru, denn er ist ein aggressiver Läufer. Martin Lel läuft eher abwartend, er ist aber taktisch sehr stark. Ich war nicht überrascht von Sammy Wanjirus Lauf zum Olympiasieg, denn ich habe ihn auch schon früher über 10.000 Meter und im Halbmarathon gesehen – er hat immer an der Spitze das Tempo bestimmt.

Was wollen Sie nach Ihrer aktiven Laufkarriere machen?

Paul: Ich kann mir vorstellen, eine Rolle im kenianischen Leichtathletik-Verband zu übernehmen. Nebenher würde ich gerne auch als Trainer tätig sein.

Wie alt sind Ihre Kinder – wird es einen Läufer Tergat in zweiter Generation geben?

Begeisterte junge Läufer feiern mit Paul. © www.photorun.net
Begeisterte junge Läufer feiern mit Paul. © www.photorun.net

Paul: Meine Kinder sind zwei, neun, 14 und 19 Jahre alt. Als Eltern üben wir keinerlei Druck auf sie aus, sie sollen das machen, was ihnen Spaß macht. Wir möchten sie zu guten Bürgern dieser Welt erziehen. Deswegen haben wir die Kinder zum Beispiel auch auf Reisen mitgenommen. Die beiden älteren sind gute Läufer, aber keine Eliteläufer. Vielleicht wird einer meiner jüngeren Söhne noch ein sehr guter Athlet. Aber er stünde dann natürlich enorm unter Druck. Mit dem Namen Tergat wäre die Erwartungshaltung riesig.

Ihre Kinder kommen aus guten Verhältnissen, die meisten der kenianischen Weltklasseläufer nicht. Ist Armut eine Motivation, erfolgreich im Leben zu sein?

Paul: Mit der nötigen Leidenschaft, dem unbedingten Willen und dem Glauben an den Erfolg ist es möglich, die Weltklasse zu erreichen – egal, ob man aus einer armen oder reichen Familie kommt. Kinder aus reichen Familien haben zwar bessere Grundvoraussetzungen und Möglichkeiten, doch die Armut in Kenia ist der Grund für die Entwicklung der vielen Topläufer.