Patrick Makau: „Der Marathon-Weltrekord ist möglich“
Patrick Makau hat in diesem Jahr sowohl den Rotterdam- als auch den Berlin-Marathon gewonnen. Der 25-jährige Kenianer stellte dabei in Holland mit 2:04:48 Stunden eine Jahresweltbestzeit auf und lief in der deutschen Hauptstadt einen ,Regen-Weltrekord’. Nie zuvor rannte ein Marathonläufer im Dauerregen so schnell: Nach 2:05:08 Stunden war Patrick Makau im Ziel. Der kenianische Läufer ist verheiratet und hat eine zweijährige Tochter. Patrick gab nach seinem hervorragenden Marathon in Berlin Take The Magic Step® das folgende Interview:
Sie haben nach dem Berlin-Marathon gesagt, dass dies das beste Rennen Ihrer Karriere gewesen ist. Was wäre möglich gewesen, wenn in Berlin gute Wetterbedingungen geherrscht hätten beziehungsweise können Sie sagen, wie viel Zeit Sie durch den Regen verloren haben?
Patrick Makau: Ich denke, der Regen hat mich rund eineinhalb Minuten gekostet …
… das wäre Weltrekord gewesen …
Patrick: Ja – aber unabhängig davon, bin ich sehr froh, dass ich in Berlin gewonnen habe. Denn das ist einer der bedeutendsten Marathonläufe der Welt. Das bei diesem Wetter zu schaffen, ist eine tolle Leistung, und ich denke, ich habe in Rotterdam und jetzt auch in Berlin gezeigt, dass ich ein wirklich guter Marathonläufer bin. Ich glaube, dass es für mich möglich ist, eines Tages den Weltrekord von Haile Gebrselassie zu brechen. Aber man muss auch sehen, dass die meisten Läufer – zum Beispiel Paul Tergat und Haile Gebrselassie –, die den Marathon-Weltrekord gebrochen haben, über 30 Jahre alt waren, als sie es schafften. Sie brauchten mehrere Marathonrennen, um schließlich die Bestzeit zu erreichen. Ich will auch erst noch etwas mehr Erfahrung sammeln, bevor ich den Weltrekord erneut angreife. Ich denke, ich brauche noch ein oder zwei Marathonrennen. Dann muss ich mein Training noch etwas verbessern, um schließlich in einer guten Position zu sein für einen Angriff auf den Weltrekord.
Neben dem Regen und dem kalten Spritzwasser hatten Sie in Berlin auch noch ein Problem mit Ihren Socken.
Patrick: Das stimmt. Meine Frau hatte meine Tasche gepackt und mir versehentlich zu kleine Socken eingepackt. Das habe ich leider erst am Renntag bemerkt. Und schon auf dem Weg zum Start hatte ich das Gefühl, dass das ein Problem sein würde. Bereits nach 100 Metern im Rennen begannen die Socken nach vorne zu rutschen. Und schließlich waren sie halb ausgezogen im Schuh. Ich bin einfach weiter gelaufen, denn ich hatte keine akuten Probleme. Mental allerdings war das nicht einfach, denn während der ersten 20 km habe ich immer wieder überlegt, was ich mache, wenn es schlimmer werden würde. Zur Not hätte ich stehen bleiben müssen, die Socken ausziehen und ohne sie weiterlaufen müssen. Zum Glück ging es aber so.
Sie haben in Ihrer erst gut vierjährigen internationalen Karriere schon einige Situationen erlebt, in denen es nicht glatt lief. Ihr erstes Rennen in Europa – einen Halbmarathon – liefen Sie Anfang 2006 in Tarsus in der Türkei. Dort verpassten Sie den Start …
Patrick: Damals war ich völlig unerfahren, hatte keinen Manager und niemand kümmerte sich um mich. Als das Rennen losging, war ich weit weg von der Startlinie, mindestens 200 Meter. Plötzlich hörte ich den Startschuss. Vorne rannten sie los und ich stand im Feld der Läuferschar. Da musste ich alle überholen, mich durchschlängeln und dann den Rückstand zur Spitze aufholen. Schließlich hatte ich sie eingeholt.
Das war aber noch nicht alles …
Patrick: Als ich endlich in der Spitzengruppe war, ging ein Schnürsenkel auf. Ich hatte von einem Freund zuvor neue Laufschuhe bekommen. Also bin ich stehen geblieben, habe den Schuh zugebunden und bin wieder an die Spitze heran gelaufen. Als der andere Schnürsenkel dann auch noch aufging, habe ich mir gedacht, jetzt schaue ich mal, ob ich auch mit einem offenen Schuh laufen kann. Und das ging gut.
Sie haben das Rennen in der Türkei gewonnen und auch den Berliner 25-km-Lauf 2006, obwohl sie im Berliner Olympiastadion kurz vor dem Ziel zunächst in die falsche Richtung gelaufen sind.
Patrick: Zum Ziel musste man im Olympiastadion entgegengesetzt zur normalen Laufrichtung auf der Bahn rennen. Das war ich nicht gewohnt, daher rannte ich automatisch nach rechts als ich in das Stadion kam. Eigentlich wäre das alles ganz einfach gewesen, aber es gab damals niemanden, der mir half. Seit 2008 ist Zane Branson mein Manager, und seitdem habe ich keine Probleme mehr – ausgenommen die Socken …
Manch andere Läufer hätten speziell bei dem Rennen in der Türkei resigniert, Sie nicht. Woher kommt diese enorme Willensstärke?
Patrick: Vielleicht hätten andere in dieser Situation tatsächlich aufgegeben. Aber man muss mental immer stark sein. Ich habe diese Willensstärke in Kenia gelernt. Dort trainiert man in einer großen Gruppe, in der man sich andauernd durchsetzen und behaupten muss. Das ist sehr hart, aber nur so hat man eine Chance. Wer das nicht kann, wird sich nicht durchsetzen können und es nicht schaffen. Wenn man mental stark ist, dann kann man in einem Wettkampf auch gut in einer Gruppe laufen.
Stimmt es, dass andere Läufer Sie plötzlich nicht mehr im Auto zum Training mitnehmen wollten, nachdem Sie erste internationale Erfolge feierten?
Patrick: Ja, ein Läufer, der mich sonst immer mitgenommen hatte, machte dies plötzlich nicht mehr. Dann habe ich mir selbst ein Auto gekauft, und nun nehme ich immer andere Läufer mit.
Haben Sie in der Kindheit schon daran gedacht, dass Sie Läufer werden könnten?
Patrick: Ich hörte als Kind zwar von den kenianischen Läufern, aber ich hätte damals nicht gedacht, dass ich selber mal ein Weltklasseläufer werden könnte. Ich bin als Kind auch gar nicht viel gelaufen. Meine Eltern sind Farmer, und ich bin in Manyanzaani Tala, 40 Kilometer von Nairobi entfernt, aufgewachsen. Dort lebe ich heute noch. Die erste Schule, auf die ich ging, war ganz in der Nähe. Das änderte sich dann aber, als ich die Schule wechselte. Ab meinem zehnten Lebensjahr musste ich drei Jahre lang acht Kilometer zur Schule laufen. Da ich zum Mittagessen nach Hause kam, bin ich also täglich 32 Kilometer gerannt.
Wann fingen Sie an, ernsthaft zu trainieren?
Patrick: Die Begeisterung für den Laufsport erfasste mich erst in der Oberschule. Da war ich bereits 18 Jahre alt. Ich startete bei Wettkämpfen – auch auf nationaler Ebene – und hatte Erfolg. Es war mein Ziel, ein besseres Leben führen zu können. Und ich sah, wie viel Geld im Straßenlauf zu verdienen ist. Der frühere Chicago-Marathon-Sieger Patrick Ivuti und der Rotterdam-Gewinner von 2005, Jimmy Muindi, lebten in der Gegend. Ich habe gesehen, dass es ihren Familien durch ihre Erfolge besser ging. Ich hörte ihre Namen im Radio und las sie in den Zeitungen – ich wollte so werden wie sie. Aber ich habe erst die Schule beendet und mich dann ab 2004 auf das Laufen konzentriert.
Es war dann Jimmy Muindi, der Ihnen Starthilfe gab.
Patrick: Ja, Jimmy sah mich bei einem Schulwettkampf 2004 und bot mir danach seine Hilfe an. Er zeigte mir, wie ich am besten trainiere und mich verbessern kann. Auch Paul Tergat wurde zu einem Vorbild für mich. Er lebt ebenfalls in meiner Nähe, und wir trainieren heute noch manchmal zusammen. Ich hoffe, dass ich eines Tages so erfolgreich sein werde wie Paul.
Gibt es noch weitere Läufer in Ihrer Familie?
Patrick: Nein, ich bin der einzige in der Familie. Ich habe drei jüngere und einen älteren Bruder sowie eine jüngere Schwester. Aber keiner von ihnen läuft.
Sie haben Ihrer Familie durch Ihre Erfolge helfen können.
Patrick: Ja, meinen Eltern habe ich ein Haus gebaut und eine Kaffee-Plantage gekauft. Ich selbst habe ein Immobiliengeschäft aufgebaut, vermiete Häuser und baue auch welche.
Viele Top-Marathonläufer sind über die Bahn-Langstrecken zum Straßenlauf gekommen. Warum sind Sie kein Bahnläufer?
Patrick: Ich habe sehr schnell gemerkt, dass mir die Halbmarathonstrecke besonders liegt. Daher habe ich mich zunächst darauf konzentriert und bin nur selten Bahnrennen gelaufen.
Wie sieht ein harter Trainingstag in einer Marathonvorbereitung von Ihnen aus?
Patrick: Um 5.30 Uhr stehe ich auf und bereite zunächst einige Wasserflaschen vor. Dann organisiere ich das Treffen zum Training mit Freunden, und wir fahren mit dem Auto rund 15 Kilometer zu den Laufstrecken. Je nach Training wählen wir flache oder wellige Strecken aus, die sich in rund 2.000 Metern Höhe befinden. Einmal in der Woche machen wir einen langen Trainingslauf zwischen 30 und 38 Kilometern. Dabei laufen wir etwa ein 3:00-Minuten-Tempo. Um 9.30 Uhr bin ich dann wieder zu Hause, trinke Tee und esse ein leichtes Frühstück. Danach ruhe ich mich eine Stunde aus, und anschließend treffe ich mich mit Freunden oder kümmere mich um mein Immobilien-Geschäft. Mittags essen wir etwas und wenn vormittags kein langer Trainingslauf auf dem Programm stand, folgt nachmittags noch ein zweiter, kürzerer Lauf. Etwa um 19.30 Uhr esse ich mit meiner Familie zu Abend, und danach gehe ich schlafen.
Woher nehmen Sie die Motivation für das harte Training?
Patrick: Früher habe ich mir viel von den großen kenianischen Läufern abgeschaut. Ich wollte so werden wie sie. Jetzt habe ich große Ziele, die mich motivieren: die Olympischen Spiele, die Weltmeisterschaften und Weltrekorde. Ich traue mir auch zu, den Halbmarathon-Weltrekord zu brechen.
Sie sind jetzt fünfmal in Berlin gestartet und haben immer gewonnen. Starten Sie hier am liebsten?
Patrick: Ja, Berlin ist meine Stadt. Immer wenn ich hier gelaufen bin, habe ich gewonnen. Dieses Mal war das Wetter nicht so schön, aber die Menschen an der Strecke haben uns trotzdem toll angefeuert. Ich mag Berlin, und deswegen hatte ich auch schon vorher entschieden, nach dem Rennen noch eine Woche länger hier zu bleiben. Ich wollte mir die Stadt ansehen – die Wahrzeichen, den Zoo und das Olympiastadion.
Ausgerechnet in Berlin wartete Kenias Ministerpräsident [Raila Odinga] im Ziel auf die Sieger. Er war privat in Deutschland und hielt das Zielband.
Patrick: Das war ein toller Moment für mich. In Kenia wohne ich nur rund zwei Kilometer von Raila Odingas Wohnsitz entfernt. Aber trotzdem habe ich ihn dort noch nie getroffen. Dass das jetzt in Berlin im Ziel möglich war, ist eine große Freude für mich. Er hat mir zum Sieg gratuliert, aber es war keine Zeit für ein Gespräch.
Was bedeutet das Laufen für Sie? Welchen Stellenwert hat der Sport in Ihrem Leben?
Patrick: Zurzeit ist das Laufen in meinem Leben natürlich sehr, sehr wichtig. Wenn ich älter werde, wird das vielleicht nicht mehr ganz so sein. Ich werde zwar laufen, aber nicht mehr so schnell rennen können. Jetzt muss ich mich vollkommen auf den Laufsport konzentrieren.
Können Sie sich vorstellen, dass Sie mit Ihren großen Siegen schon jetzt andere, jüngere Läufer begeistern und motivieren und somit bereits selbst ein Vorbild sind?
Patrick: Ja, das ist definitiv schon jetzt so. Viele schauen zu mir auf und versuchen es mir nachzumachen. Ich helfe den jungen Athleten, die teilweise auch mit mir zusammen trainieren. Sie sind zum Teil schon 21 oder 22 Jahre alt und hoffen nach der Schule auf ihre Chance im Laufsport.
Es gibt also noch viele Patrick Makaus in Kenia?
Patrick: Ja, ganz bestimmt.
Was glauben Sie, was in der Zukunft im Marathon möglich ist? Fällt eines Tages die Zwei-Stunden-Barriere?
Patrick: Wenn ich die Entwicklungen in Kenia sehe und die vielen jungen Talente, die immer stärker werden, dann hoffe ich, dass wir eines Tages eine Zeit unter zwei Stunden sehen werden. Das wird natürlich noch dauern, aber ich glaube schon, dass es passieren wird.
- Erschienen am 17. December 2010
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