Irina Mikitenko: „Unter 2:20 Stunden zu laufen, war mein Traum“

Von Jörg Wenig
Irina Mikitenko – Zieleinlauf der viertschnellsten Marathonläuferin aller Zeiten. © www.photorun.net
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Irina Mikitenko hat beim real,- Berlin-Marathon als erste deutsche Frau die 2:20-Stunden-Barriere durchbrochen. Mit 2:19:19 Stunden ist die 36-jährige Läuferin des TV Wattenscheid nun die viertschnellste Marathonläuferin aller Zeiten. Früher eine Weltklasse-Bahnläuferin, die in Deutschland oft ein wenig unterschätzt wurde, gelang ihr ein großartiger Wechsel zur Marathondistanz: Zweite war sie bei ihrem Debüt in Berlin 2007, dann gewann sie in London 2008 und nun auch in Berlin. Damit führt Irina Mikitenko beide Serien der World Marathon Majors (WMM) an, 2007-2008 und 2008-2009. Das folgende Interview führte Jörg Wenig mit Unterstützung von Victah Sailer und Marisa Reich.

Wir fühlt man sich als viertschnellste Frau aller Zeiten?

Irina Mikitenko: Sehr gut – das ist einfach der Wahnsinn. Ich hätte das nie geglaubt. Ich habe mir schon eine Zeit um die 2:21 Stunden zugetraut, aber unter 2:20 zu laufen, stand in Berlin eigentlich nicht auf dem Plan. Eine solche Zeit im Marathon einmal zu erreichen, das war mein Traum.

Sie können die aktuell endende World Marathon Majors-Serie gewinnen – wie denken Sie darüber?

Irina: Natürlich wäre das ein toller Erfolg. Aber ich sehe das so weit es geht gelassen. Man muss dabei auch sehen, dass ich erst seit gut einem Jahr Marathon laufe – wer hätte gedacht, dass ich schon nach so kurzer Zeit in dieser großartigen Position bin? Das hätte ich selbst nie erwartet. Natürlich möchte ich in der jetzigen Situation sehr gerne die WMM-Serie gewinnen. Aber wenn das nicht klappt, dann habe ich ja im nächsten Jahr wieder eine Chance. Für die Serie 2008-2009 habe ich schon 50 Punkte gesammelt.

Im Gegensatz zu Gete Wami, die im vergangenen Jahr nach Berlin auch noch in New York startete und dadurch die erste WMM-Serie gewann, haben Sie sich gegen einen Start in New York entschieden. Das ist sicher die richtige Entscheidung für Ihre zukünftige Karriere.

Irina: Ja, genau. Im nächsten Jahr gibt es auch noch ein paar Rennen, bei denen ich gut laufen möchte. Wenn ich zukünftig starte, dann möchte ich in dem Bereich laufen können wie in Berlin. Fünf Wochen sind einfach eine viel zu kurze Regenerationszeit. Eine Leistung wie in Berlin kann man nicht alle fünf Wochen zeigen. In New York zu laufen und dann keine Leistung zu bringen, das ist nicht mein Ding. Geld ist zudem längst nicht alles. Ich war in diesem Jahr schon sehr erfolgreich, bin zufrieden und habe ja auch einiges verdient. Ich laufe vor allem, weil es mir Spaß macht und ich würde auch nicht meine Gesundheit wegen des Geldes aufs Spiel setzen.

Welche Zielsetzung stellen Sie sich vor einem Start?

Irina: Ich will immer mein Bestes geben und mein Ziel ist eigentlich bei jedem Rennen, dieses auch zu gewinnen. Wenn man von vornherein mit einem dritten Platz zufrieden ist und sich quasi geschlagen gibt, dann braucht man doch gar nicht erst zum Wettkampf zu fahren.

Sie sind in diesem Jahr noch ungeschlagen.

Irina: Ja, ich habe alle meine sieben Rennen gewonnen. Das ist natürlich auch eine große Motivation und man geht dann sehr selbstbewusst in den nächsten Wettkampf – speziell nach Siegen wie in London oder Berlin. Solche Erfolge beflügeln natürlich enorm.

Sind Sie seit Ihrem Wechsel zum Marathon so stark wie nie zuvor?

Irina: Ich denke ja. Das hängt auch damit zusammen, dass mir seit dem Wechsel zum Marathon das Training viel mehr Spaß macht. Dies wiederum kommt einerseits dadurch, dass alles gut läuft und ich Erfolg habe. Es hängt aber auch damit zusammen, dass ich weiß, dass ich mich noch weiter verbessern kann. Man erhält zusätzliche Motivation, wenn man weiß, dass man noch nicht an seine Grenzen gestoßen ist. Ist das erst einmal der Fall, ist es schwieriger, sich im Training zu motivieren.

Sie hatten im Sommer allerdings Pech, als ein Rückenproblem Ihren Start bei den Olympischen Spielen verhinderte.

Irina: Das war sehr schade. Im Vorfeld von Olympia konnte ich zwar trainieren, Ausdauertraining war immer möglich. Aber ich war lange Zeit einfach nicht in der Lage, schnelle Trainingseinheiten zu rennen. Da bekam ich Rücken- und Beckenbeschwerden, so dass ich auf Peking verzichten musste.

Haben Sie den Olympia-Marathon der Frauen im Fernsehen verfolgt? Was haben Sie sich bei dem Rennverlauf gedacht?

Irina: Ja, ich habe mir das Rennen nachts im Fernsehen angeschaut und habe mich geärgert. Denn ich habe die große Chance gesehen, die ich durch die Verletzung verpasst habe. Irgendwann habe ich den Fernseher ausgeschaltet, denn ich konnte das nicht mehr sehen. Dann aber habe ich ihn wieder eingeschaltet, weil ich zu neugierig war und wissen wollte, wie es ausgeht.

Das lässt sich aus der Ferne vielleicht schwer sagen – meinen Sie, dass Sie den Mut gehabt hätten, mit der späteren Siegerin Constantina Tomescu-Dita mitzulaufen, als diese sich vor der Halbmarathonmarke aus der Spitzengruppe löste?

Irina: Eigentlich bin ich ein Typ, der etwas riskiert und daher glaube ich, dass ich mitgelaufen wäre … aber das ist natürlich immer schwer zu beurteilen von zu Hause. Ich weiß ja zum Beispiel nicht, wie ich mit den Bedingungen klargekommen wäre.

Wie sieht es aus mit Olympia 2012?

Irina: Das ist sicherlich noch ein weiter Weg, aber London ist ein Ziel.

Was kommt im Jahr 2009?

Irina: Im nächsten Jahr ist die Weltmeisterschaft in Berlin mein großes Ziel. Es wäre klasse, wenn ich den Erfolg vom real,- Berlin-Marathon bei der WM wiederholen könnte. Im April gehe ich als Titelverteidigerin beim Flora London-Marathon an den Start.

Welche Art von Rennen mögen Sie lieber – schnelle oder taktische?

Irina: Ich laufe lieber schnellere Rennen wie zuletzt in Berlin. Aber ich kann auch bei Meisterschaftsrennen schnell laufen, wenn ich gut in Form bin.

Gibt es eine Läuferin, gegen die Sie gerne einmal rennen würden?

Irina: Ich denke schon an den London-Marathon im nächsten Jahr. Wenn ich dort auf Paula Radcliffe treffen würde, wäre das eine große Sache. Ich würde gerne mit Paula in einem Marathonrennen stehen. Früher sind wir auf den Bahn-Langstrecken schon ab und zu gegeneinander gelaufen, aber Marathon ist etwas anderes. Ich hatte ursprünglich gedacht, dass wir schon in diesem Jahr in London aufeinandertreffen. Dann wäre es ein anderes Rennen geworden, ein viel schnelleres.

Sie sind immer noch am Anfang Ihrer Marathonkarriere. Können Sie sagen, welche Marathonrennen Sie in der Zukunft gerne laufen würden?

Irina: Ich würde gerne alle fünf Läufe der World Marathon Majors rennen, also eines Tages auch Chicago, Boston und New York.

Ihre Familie ist sicher stolz auf Sie?

Irina: Oh ja. Mein Mann sowieso. Auch meine beiden Kinder sind stolz auf mich – sie machen aber auch mich stolz. Nach meinen Siegen in London und Berlin haben sie ein Plakat mit Luftballons am Haus aufgehängt, auf dem stand: Mama, wir sind stolz auf Dich. Das macht einen als Mutter natürlich auch stolz!

Sind Sie für Ihre Kinder ein Vorbild und inwieweit sind sie direkt dabei, wenn Sie trainieren?

Irina: Die Kleine (Vanessa ist drei Jahre alt) versteht das noch nicht so. Aber sie schaut Fernsehen und sieht dann, dass ihre Mama rennt. Dann ruft sie ,schneller, Mama, schneller’. Vanessa kommt öfter mit mir zum Training mit, wenn ich auf der Bahn renne. Dann spielt sie im Sand in der Weitsprunggrube. Alex (14 Jahre) hilft mir oft beim Training. Wenn er Ferien hat, begleitet er mich auf dem Fahrrad bei den langen Läufen. Dann reicht er mir zum Beispiel Getränke. Er ist mit dem Sport aufgewachsen und war auch schon bei Wettkämpfen dabei. Er ist viel draußen und wird auch dadurch selbst inspiriert, Sport zu treiben. Alex spielt Fußball im Verein. Oft ist er es, der uns sportlich herausfordert. Dann sagt er zum Beispiel, wir machen jetzt einen Liegestütz-Wettbewerb. Wer verliert, muss den Tisch abräumen.

Wer gewinnt dann in der Regel?

Irina: Noch gewinnt mein Mann.

Wie sieht ein Tagesablauf in einer Marathonvorbereitung bei Ihnen aus?

Irina: Alexander arbeitet im Schichtbetrieb als Metallarbeiter. Wenn er Frühschicht hat, bringe ich Vanessa in den Kindergarten, wo sie bis 12 Uhr bleibt. Alex hat in der Regel bis 15 Uhr Schule. Ich absolviere dann vormittags meine Haupt-Trainingseinheit. Das ist entweder ein langer Lauf oder ich mache ein Tempotraining auf der Bahn. Anschließend hole ich Vanessa vom Kindergarten ab und koche das Mittagessen. Wenn mein Mann nach Hause kommt, mache ich manchmal einen Mittagsschlaf. Anschließend absolvieren wir die zweite Trainingseinheit in der Regel zusammen. Wenn es eine lockere Einheit ist, läuft mein Mann manchmal mit (Alexander war früher ein guter 5.000-m-Läufer). Manchmal kommt meine Mutter und passt auf die Kinder auf oder mein Sohn hilft und passt auf seine Schwester auf.

Gibt es bei Ihnen zu Hause eine Wand oder ein Regal mit Erinnerungen an Ihre Erfolge?

Irina: Ja, wir haben schon vor einiger Zeit angefangen alles Mögliche zu sammeln. Von jedem Rennen habe ich Souvenirs, Startnummern, Trikots und andere Dinge aufgehoben. Man lebt schließlich nur einmal und Erfolge schaut man sich auch im Rückblick gerne noch einmal an. Aus London habe ich beispielsweise mein Zielfoto. Es ist schön, Freunden etwas zeigen zu können und das ist auch für mich selbst motivierend.

Welchen Tipp können Sie Lesern geben, die sich fit halten wollen oder die mit dem Sport beginnen wollen?

Irina: Sie sollten sich Ziele setzen, die erreichbar sind. Schritt für Schritt kommt man zum Erfolg. Und wenn man Erfolg hat, ist man motiviert weiter zu machen.

 

Aus aktuellem Anlass ein Nachtrag von Take The Magic Step:
Wir gratulieren Irina ganz herzlich zum Sieg der World Marathon Majors 2008 und dem Preisgeld von 500 000 Dollar knapp vor der Vorjahressiegerin Gete Wami. Die Race-Direktoren der WMM haben den Gleichstand zwischen Mikitenko und Wami aufgehoben und votierten eindeutig zugunsten von Mikitenko.