Haile Gebrselassie: „Ich kann nicht langsam laufen!“

Von Jörg Wenig
© www.photorun.net
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Haile Gebrselassie stellte beim Berlin-Marathon mit 2:04:26 Stunden einen neuen Weltrekord auf. Der 34-jährige Äthiopier verbesserte die alte Marke des Kenianers Paul Tergat, der 2003 in Berlin 2:04:55 gelaufen war, um 29 Sekunden. Zählt man ein Rennen, das er als 15-Jähriger in Addis Abeba absolviert hat hinzu, war es Haile Gebrselassies achter Marathon. Take The Magic Step® sprach mit Haile Gebrselassie nach seinem wichtigsten Weltrekord.

Gleich nach Ihrem Zieldurchlauf haben Sie mit Paul Tergat telefoniert, der den Race-Direktor Mark Milde angerufen hatte. Was hat er Ihnen gesagt?

Haile Gebrselassie: „Paul Tergat hat mich direkt nach dem Rennen angerufen und mir gratuliert. Paul ist ein sehr guter Freund und ich habe mich bei ihm entschuldigt, dass der Weltrekord jetzt nicht mehr ihm gehört. Ich sagte, es tut mir Leid, aber du kannst ja, wenn du willst, im nächsten Jahr probieren ihn dir zurückzuholen.“

Sie haben in Berlin Ihren 24. Weltrekord aufgestellt. Bedeutet Ihnen dieser Weltrekord mehr als die bisherigen?

Haile Gebrselassie: „Von meinen 24 bisher aufgestellten Weltrekorden ist dieser ohne Zweifel der Wichtigste, denn der Marathonlauf ist eindeutig die Königsdisziplin unter den Langstrecken. Weltrekorde auf der Bahn bin ich schon viele gelaufen, aber beim Marathon ist dies mein erster. Ein Weltrekord ist immer etwas ganz Besonderes und über diesen habe ich mich gefreut wie über meinen allerersten. Jetzt steht mein Name in den Marathon-Rekordlisten und darauf bin ich stolz. Denn noch in 100 Jahren wird man ihn lesen und sagen, „Ah, das war Haile Gebrselassie.“

Sie sind schon in Amsterdam, Fukuoka, London und Berlin Marathon gelaufen – wie sind denn die Städte im Streckenvergleich?

Haile Gebrselassie: „Die meisten der vier Strecken haben sehr gute und schnelle Kurse, aber ich glaube, dass nur in Berlin Weltrekorde möglich sind. Hier kommt einfach alles zusammen. Die Organisation, die Jahreszeit, das Wetter, die vielen Helfer, die für einen reibungslosen Ablauf sorgen und vor allem die Zuschauer. Die machen bestimmt 60 bis 70 Prozent einer Leistung aus. Die pushen dich bis zum Limit. In Berlin sind einfach die besten Zuschauer. An der gesamten Strecke wird man angefeuert und ich habe immer meinen Namen entlang der 42 Kilometer gehört – das war klasse. Ich denke, wenn in der Zukunft der Marathon-Weltrekord gebrochen wird, dann wird das in Berlin passieren.“

Wenn Sie die Strecke in Berlin verändern könnten, um sie noch schneller zu machen – was würden Sie ändern?

Haile Gebrselassie: „Ich würde nicht viel ändern, denn die Strecke ist super. Ein paar Kurven weniger wären natürlich optimal, aber wenn ich die Strecke auswählen dürfte, würde sie sicher nicht mehr so schnell sein [lacht]…“

Was glauben Sie, wie schnell können Sie den Marathon noch rennen?

Haile Gebrselassie: „Dass ich hier schnell rennen kann, habe ich ja am Sonntag bewiesen. Eigentlich hatte ich mir 2:03 Stunden vorgenommen, aber das hat noch nicht geklappt. Letztes Jahr hatte ich mich ein wenig geärgert, da ich den Zuschauern gerne den Weltrekord geboten hätte. Ich wollte ihnen etwas zurückgeben für die tolle Anfeuerung. Aber in diesem Jahr hat es funktioniert. Ich glaube, dass in Berlin irgendwann auch eine Zeit von 2:03 Stunden für mich möglich sein könnte.“

Haben Sie jetzt das richtige Rezept für einen perfekten Marathon gefunden?

Haile Gebrselassie: „Trotz meines Weltrekords kann ich noch nicht sagen, dass ich die endgültige Lösung für einen perfekten Marathonlauf gefunden habe. Ich beobachte noch immer verschiedene Dinge im Marathon. Jeder Kilometer ist anders. Auch wenn ich die Lösung zum perfekten Marathon vielleicht selbst nie finden werde, kann ich später einmal vielleicht einen Läufer trainieren, an den ich meine Erfahrungen, die ich jetzt sammle, weitergeben kann und der dann der Lösung noch näher kommt.“

42,195 Kilometer sind eine sehr lange Strecke und oft auch mit Schmerzen verbunden. Können Sie ein solches Rennen überhaupt genießen?

Haile Gebrselassie: „Wenn ich gewinne, dann genieße ich ein solches Rennen. Dann habe ich keine Schmerzen. Schmerzen hat man, wenn man verliert. Aber mir ist klar, dass das Laufen mein Job ist. Der Wettkampf ist ein Job mit Schmerzen, aber der Job kann auch großartig sein – wenn man siegt.“

Wird eines Tages die Zwei-Stunden-Barriere im Marathon fallen?

Haile Gebrselassie: „Ja, sicherlich – vielleicht dauert es noch 20 oder 40 Jahre, bis die zwei Stunden geknackt werden. Aber es wird passieren, ich weiß nur nicht wann. Vor vierzig Jahren hat auch noch keiner daran geglaubt unter 2:10 Stunden zu laufen. Und vor zehn Jahren hat wahrscheinlich auch keiner geglaubt, dass Frauen einmal unter 2:20 Stunden laufen würden. Es ist viel möglich im Sport, gerade im Ausdauerbereich. “

Wie sehen Ihre Pläne für das nächste Jahr aus?

Haile Gebrselassie: „Meinen nächsten Marathon werde ich in Dubai im Januar laufen. Bei den Olympischen Spielen möchte ich mir nach dem Weltrekord den zweiten großen Marathon-Traum erfüllen: olympisches Gold über die klassische Distanz. Zum Berlin-Marathon würde ich eines Tages auch gerne wiederkommen, mal schauen, ob mich Mark Milde wieder einlädt. Fest vorgenommen habe ich mir jedoch, bei den Weltmeisterschaften 2009 in Berlin den Marathon zu laufen.“

Sie haben ja Ihren Halbmarathon-Weltrekord verloren. Haben Sie Ambitionen, sich diesen wieder zurück zu holen?

Haile Gebrselassie: „Ja, natürlich – aber es bleibt mein Geheimnis wann und wo ich das mache. Ich weiß natürlich um die schnelle Strecke beim Berliner Halbmarathon, aber das Rennen passt 2008 zeitlich nicht ganz so gut. Das ist eine Sache, die ich auch mit meinem Manager absprechen muss.“

Abebe Bikila, äthiopischer Marathon-Olympiasieger von 1960 und 1964, entschied sich mit 16 Jahren barfuß zu laufen. Haben Sie je daran gedacht, das auch zu tun?

Haile Gebrselassie: „Ich habe riesigen Respekt vor Abebe [Bikila] und er hat für sich damals eine Entscheidung getroffen, die für ihn die Beste war. Ich würde niemals ohne Schuhe laufen, denn für mich sind sie ideal. Damals waren die Schuhe vielleicht sehr unbequem und es war einfach angenehmer barfuß zu laufen. Doch heutzutage sind die Schuhe perfekt, sie sind optimal für die Füße und somit für das Laufen.“

Sie sind Vater von vier Kindern. Haben Ihre Kinder auch so ein großes Interesse am Laufen wie der Vater?

Haile Gebrselassie: „Nein, nicht alle. Meine sechsjährige Tochter Batiy liebt das Laufen. Doch sie ist leider nicht mit so viel Talent gesegnet wie ich. Sie würde gerne später einmal Läuferin werden, aber dazu müsste sie außerhalb von Addis Abeba leben, denn in Addis gibt es zu viel Ablenkung und nicht genug Trainingsmöglichkeiten.“

Sie haben Ihre Familie aber nicht mit nach Berlin gebracht.

Haile Gebrselassie: „Nein, das ging nicht, die Kinder müssen ja zur Schule gehen. Außerdem, wenn meine Kinder dabei sind. kommen ständig andere Kinder zu mir und dann fragen mich meine: „Papa, haben diese Kinder keinen Vater oder warum kommen sie dauernd zu dir?“

Wie sieht ein normaler Tag bei der sechsköpfigen Familie Gebrselassie aus?

Haile Gebrselassie: „Ich stehe immer um kurz vor 6 Uhr auf. Dann gehe ich laufen und kehre so gegen 9:30 Uhr zurück. Mein Haus liegt in Addis Abeba, also muss ich immer erst aus der Stadt rausfahren, um in Ruhe laufen zu können. In der Stadt ist zu viel los, ich würde einfach nicht vorankommen. Meine Frau Alem kümmert sich am Morgen um unsere vier Kinder. Die drei ältesten Mädchen, Eden (10 Jahre), Melat (8 Jahre) und Batiy (6 Jahre), gehen in die Schule und unser Sohn Nathan (2 Jahre) geht seit diesem Jahr in den Kindergarten. Wenn ich vom Training zurückkomme, dusche ich, frühstücke und gehe dann in mein Büro. Ich habe ein Immobilienunternehmen in Addis Abeba. Dort gehe ich dann meistens mit Kunden und Geschäftsleuten zum Mittagessen, bevor ich am Nachmittag wieder nach Hause gehe. Dann versuche ich, mich ein oder zwei Stunden hinzulegen und um 16 Uhr geht es wieder zum Training. Aber diese Trainingseinheit ist nicht so intensiv wie die am Morgen. Meist laufe ich locker und gehe dann noch in den Kraftraum. Die nächsten Stunden sind dann die schönsten. Meine Kinder kommen zurück aus der Schule und wir verbringen die Zeit, bis sie ins Bett gehen, zusammen.“

Wie sieht denn lockeres Laufen aus – kann Haile Gebrselassie überhaupt langsam laufen?

Haile Gebrselassie: „Nein, ich kann nicht wirklich langsam joggen. Irgendetwas in mir drängt mich dazu, schnell zu laufen. Ein langsamer Lauf ist für mich, wenn ich 4:30 Minuten pro Kilometer laufe, alles andere geht gar nicht. Fünf Minuten wären dann viel zu langsam.“