Erinnerungen an Boston …von einem dreifachen Champion

Von David Wright
Uta in Boulder. © Take The Magic Step
Uta in Boulder. © Take The Magic Step®

Wie feiert man eigentlich, nachdem man gerade den Boston-Marathon in Rekordzeit gewonnen hat?

Nun. Uta Pippig im Jahr 1994 zieht sich morgens um 3 Uhr noch einmal ihre Laufschuhe an und joggt eine gute Stunde locker mit kleinen Pausen durch die dunklen, verlassenen Straßen, als persönliche Hommage an diese Stadt, die sie gerade mit offenen Armen aufgenommen hat.

„Am Abend nach dem Rennen hatte ich mit den anderen Läufern und Freunden getanzt und Spaß gehabt”, erzählt sie. „Ich schwebte auf Wolke 7. Mein Traum war wahr geworden, ich war aufgewühlt und konnte nicht einschlafen.“

„Also machte ich mich spätnachts auf den Weg, schlüpfte leise aus dem Hotel. Ich wollte mit dieser wundervollen Stadt ganz allein sein, sie einfach umarmen.”

In den frühen Morgenstunden waren nur Menschen zu sehen, die während der Nacht ihre Arbeit verrichteten und man hätte meinen können, dass sie kaum Interesse an einer Frau haben würden, die am Tag zuvor 42,195 km von Hopkinton nach Boston gerannt ist. Doch weit gefehlt. Als Uta im Licht der Laternen an ihnen vorbeilief, erkannten sie die Läuferin und riefen ihr zu: „Hello Uta, …great race yesterday!“

Boston Marathon 1994. © Victor Sailer
Boston Marathon 1994. © Victor Sailer/www.PhotoRun.net

Uta erinnert sich: „Ich bekam eine Gänsehaut, spürte, dass ich eine herzliche Beziehung zu dieser Stadt und zu ihren Menschen aufbaute. Und dieses Gefühl habe ich bis zum heutigen Tag.“

Der Triumph von 1994 über die Russin Valentina Yegorova mit 2:21:45 Stunden war der erste von Utas drei aufeinanderfolgenden Siegen in Boston. Auch die 120. Auflage am 18. April wird für Uta viele Erinnerungen hervorrufen – freudige und aus tiefstem Herzen kommende!

Im darauffolgenden Jahr rannte Uta Seite an Seite mit der Südafrikanerin Elana Meyer, Olympia-Zweite über 10.000 Meter, durch die Newton-Hills. Schließlich lief sie ihrer Rivalin davon und siegte trotz blutiger Blasen an beiden Füßen, die die letzten zehn Kilometer zur Qual machten, mit einem Abstand von 1:40 Minuten in 2:25:11 Stunden.

„Meine Füße schmerzten so sehr, ans Tanzen war in dieser Nacht nicht zu denken“, erzählt sie lächelnd. Stattdessen feierten Uta und der Sieger des Männerlaufs, der Kenianer Cosmas Ndeti, am nächsten Tag im Weißen Haus mit Bill Clinton, der seinerseits ein begeisterter Jogger ist.

Bill Clinton und Uta. © AP
Bill Clinton und Uta. © AP

Flankiert von Agenten des Secret Service rannten sie zusammen mit dem Präsidenten knapp fünf Kilometer am Fluss entlang, vorbei an all den blühenden Kirschbäumen. Jogger, die ihnen begegneten riefen: „Guten Morgen, Mister Präsident! Guten Morgen, Mister Präsident!’ Dann rief jemand: „Guten Morgen, Uta!“ und alle mussten lachen. Uta erzählte: „Bill Clinton wollte alles über den Marathon wissen. Bevor wir uns verabschiedeten, zeigten wir ihm noch einige Dehnungsübungen für Läufer.“

Das Rennen von 1996 war ein ganz besonderes: Es war die 100. Auflage des ältesten Marathons der Moderne. Uta litt an heftigen Magenschmerzen, dennoch holte sie tapfer die 30 Sekunden Rückstand auf und siegte vor der Kenianerin Tegla Loroupe in 2:27:12 Stunden.

Boston Marathon 1996. © www.PhotoRun.net
Boston Marathon 1996. © www.PhotoRun.net

Die Feier ihres letzten Sieges in Boston endete kurz hinter der Ziellinie: Sie wurde wegen einer schweren Darmerkrankung (Anm. d. Red.: ischämische Kolitis mit gastrointestinalen Blutungen) ins Boston University Medical Center gebracht. „Ich blieb drei Tage im Krankenhaus, musste mich erholen und durfte auch nicht nach Hause nach Berlin fliegen“, sagte sie.

„Eine meiner schönsten Erinnerungen nach dem Rennen: Zwei Tage nach der Entlassung aus dem Krankhaus gab es eine Live-Schalte vom Boston-TV in das ZDF-Sportstudio. Ich wurde mit einem ganz persönlichen Gruβ meines ersten Trainers aus Kindertagen überrascht. Ich wusste nicht, dass er im Sportstudio sein würde. Ich war so glücklich ihn dort zu sehen, ich habe einfach losgeheult.“

Nach der schönsten Erinnerung gefragt, antwortet Uta ohne zu zögern: „Der kostbarste Moment war für mich, als ich nach dem Rennen 1994 alleine in der Morgendämmerung durch die stillen Straßen von Boston lief – und plötzlich wusste, dass diese Stadt für immer in meinem Herzen sein würde.“