Das Feuer brennt noch immer in mir: Ein Interview mit Bill Rodgers
Bill Rodgers ist einer der Menschen, die man nicht vorstellen muss. Aber wenn Sie sich nicht erinnern können, dann hilft Ihnen Folgendes vielleicht weiter: Bill Rodgers gewann den Boston- wie auch den New York City-Marathon jeweils viermal. 1976 gehörte er zum US Olympia-Team, dreimal führte er die Jahresweltbestenlisten im Marathon an. Außerdem gewann Bill diverse Marathonläufe in Nord- sowie in Süd-Amerika, Europa, Asien und Australien. Auch nach seinen besten Jahren – er ist jetzt 58 Jahre alt – ist er noch immer sehr konkurrenzfähig in seiner Altersklasse. So lief er nach seinem 50. Geburtstag er 53:07 Minuten über 10 Meilen. Inzwischen konzentriert er sich jedoch mehr und mehr auf die Rolle des Laufbotschafters.
Im Sommer 2003 brach sich Bill Rodgers während des Laufens das rechte Schienbein. Seit einiger Zeit wurden seine Laufzeiten deutlich langsamer. Take the Magic Step® Team-Mitglied Scott Douglas, der zwei Bücher zusammen mit Bill geschrieben hat, sprach kürzlich mit ihm über seine Motivation zum Laufen während dieser harten Zeit.
Im Juni diesen Jahres sind Sie beim Bellin Run über 10 Kilometer 51:00 Minuten gelaufen. Viele Leute, die Ihre vermeintlich langsame Zeit sahen, haben sich gewundert und sich gefragt, was mit Ihnen los sei. Ein paar Wochen später bin ich zusammen mit Ihnen gelaufen und Sie haben sich darüber geärgert, wie langsam wir unterwegs sind. Was war damals los und wie geht es Ihnen heute?
Bill Rodgers: Der Grund ist kein Herz-Kreislauf-Problem, bei dem ich einfach nicht schneller laufen kann, weil ich außer Atem komme. Es ist eher ein Gleichgewichtsproblem, das meine Schritte beeinflusst und leichte Müdigkeitserscheinungen verursacht. Mein linkes Bein ist über einen Zentimeter kürzer als mein rechtes Bein. Diese natürliche Unausgewogenheit – die auch mein Bruder und meine Schwester haben – haben sich durch 40 Jahre laufen auf der linken Straßenseite etwas verschlimmert. Und ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass es noch ein wenig schlimmer geworden ist, nachdem ich mir das rechte Bein gebrochen hatte. Eine Erkenntnis daraus ist, dass ich mich mehr dehnen sollte.
Als ich angefangen habe, mehr Gymnastik zu machen, konnte ich wieder etwas schneller laufen. Im August konnte ich in Falmouth bei einem Rennen über etwas mehr als 7 Meilen ein Tempo von 7:00 Minuten pro Meile laufen. Und dann beim 30-jährigen Jubiläum des Bobby-Crim-10-Meilen-Laufes bin ich 70 Minuten gelaufen – an einem Tag mit hoher Luftfeuchtigkeit. Dies ist ein Fortschritt, den man gerne sieht. Ich kann nun wieder längere Intervallläufe machen, was ich lange Zeit aufgrund der Gleichgewichtsstörungen nicht machen konnte. Ich bin lange Zeit langsam gelaufen, um saubere und kontrollierte Schritte zu machen. Mein Ziel ist es, mein Tempo auf sechs Minuten pro Meile zu steigern. Sechs Monate nach meinem Schienbeinbruch lief ich einen Sechs-Minuten-Schnitt bei einem Halbmarathon und 36 Minuten für die 10 km beim Bellin Run. Ich denke, ich kann wieder zu diesem Level finden.
Das klingt, als wären Sie nach wie vor viel unterwegs und das Laufen hat keinesfalls an Bedeutung verloren?
Bill: Es ist für mich auch ein arbeitsreiches Jahr gewesen. Ich bin viel auf Reisen, um über den Laufsport zu referieren oder bein Läufen selbst präsent zu sein, und dies strengt doch sehr an. Vor einigen Wochen bin ich mit einigen Leuten aus Fidelity in Boston am Freitag einen Fun-Run gelaufen, Samstag rannte ich dann bei einer Staffel beim Akron-Marathon in Ohio und am Sonntag dann noch einen 5-Meilen-Lauf in Southington, Connecticut.
Wissen Sie Scott, ich mag diese kleinen Läufe wie den 5-Meilen-Lauf in Connecticut sehr gerne. Ich finde es gut, wenn die Leute zu Anfang diese kürzeren Rennen laufen, um sich auf einen Marathon vorzubereiten. Es ist besser, wenn die Läufer bei diesen kleinen Läufen Erfahrungen sammeln können, als sich unvorbereitet in ein Mega-Event zu stürzen. Darum sind auch die Marathonstaffeln so toll – sie motivieren, lassen einen Teil haben und eine Idee bekommen, um was es beim Marathon geht. Glauben Sie mir, ich habe nichts gegen die Suche nach dem Sinn bei einem Marathon – ich verstehe das total. Aber ich wünschte, mehr Anfänger würden Erfahrungen über kürzere Strecken sammeln, bevor sie zum Marathon gehen.
Sie reisen weiterhin zu vielen Events. Aber Sie müssten dort nicht laufen oder an den Wettkämpfen teilnehmen. Warum machen Sie das trotzdem?
Bill: Es war und ist ein Teil meiner Seele. Einige Leute wollen nicht mehr an Wettkämpfen teilnehmen. Greg Meyer [Sieger beim Boston-Marathon 1983] läuft jeden Tag, aber er macht keine Wettkämpfe mehr. Das ist ok. Ich bewundere, dass sie sich vom Wettkampfsport loslösen konnten. Aber ich für meinen Teil liebe Wettkämpfe. Das Feuer brennt immer noch in mir, und ich bin mir sicher, es sind nicht nur glühende Kohlen!
Sie haben mir einmal erzählt, dass Johnny Kelley einer Ihrer Vorbilder war. Aber auch er hat letztlich mit den Wettkämpfen aufgehört.
Bill: Na ja, er lief immer Jahr für Jahr den Boston-Marathon. [Kelley, zweimaliger Boston-Marathon-Sieger, beendete das Rennen 58 Mal. Er starb 2004.] Und beim Falmouth-Rennen lief er mit 65 Jahren immer noch sehr gut, und er nahm auch an anderen Wettkämpfen in New England teil. Ich möchte das auch tun. Ich denke da auch an Clarence De Mar, einem anderen Läufer aus New England, und an einen der besten Straßenläufer aller Zeiten – er war olympischer Medaillengewinner und siebenmaliger Boston-Sieger. Ich schaue auf all diese Leute und sehe in ihnen Vorbilder. Ich habe jetzt mit dem Marathonlaufen aufgehört, aber vielleicht mache ich noch mal einen wenn ich 60 Jahre alt werde. Meine Wettkämpfe sind nun auf kürzeren Distanzen konzentriert. Es nagt an mir, immer besser zu werden – im nächsten Jahr will ich bei all meinen Rennen besser sein. Ich schau auf die Leute mit denen ich vor meinem Beinbruch mithalten konnte, und ich möchte mit denen wieder konkurrenzfähig sein.
Als Sie nach Ihrem Schienbeinbruch wieder zurückgekehrt sind, haben Sie viel Crosstraining gemacht, um fit zu bleiben. Trainieren Sie heute noch etwas anderes als laufen?
Bill: Für meinen Oberkörper habe ich schon immer ein bis zweimal die Woche leichtes Gewichttraining gemacht. Nach dem Laufen oder vor Sprints und Wettkämpfen habe ich mich gedehnt. In den letzten Jahren habe ich auch mit einem großen Gymnastikball angefangen zu arbeiten, um mich zu dehnen und Kraftübungen zu machen. Ab und zu gehe ich zur Erholung auch schwimmen.
Meine Gleichgewichtsübungen habe ich durch die Physiotherapie nach meinem Beinbruch weiter ausgebaut. Ich benutze ein Balance-Brett, um den Bewegungsgrad zu verbessern und um meinen Knöchel- und Wadenbereich zu stärken. Eine andere Übung ist, auf einem Bein zu stehen und das andere vor mir von Seite zu Seite zu schwingen. Dabei kann man gut fühlen, wie die Fußmuskulatur sich am Boden festhält. Starke Füße machen einen besseren Läufer aus einem.
Als Sie sich das Bein gebrochen haben, dachten Sie jemals “Oh, das war’s”?
Bill: Natürlich, denn in dieser Situation glaubt man immer an das schlimmste, besonders da ich nicht genau wusste, warum ich mir mein Bein gebrochen hatte. Ich habe widersprüchliche Aussagen bekommen. Kurz nach dem es passiert ist, war ich beim Ollie Road Race in Boston. Dort wurde ich dennoch dankenswerter Weise eingeladen. Eine Flugbegleiterin sah mich mit meinem Rollstuhl und den Gehhilfen, und wir begannen uns zu unterhalten. Als ich ihr erzählte, was passiert war, sagte sie: „Oh, das Bein meines Onkels brach auch einmal, und es stellte sich heraus, dass es Knochenkrebs war.“ Ich war mir ziemlich sicher, dass es kein Knochenkrebs sein würde, aber es war nicht das, was ich damals hören wollte.
Bevor das Bein brach, hatte ich schon einige Zeit Schmerzen in der Wade. Ich glaube, dass sich ein Ermüdungsbruch entwickelt hat, mit dem ich weitergelaufen bin. Vielleicht wurde es auch schlimmer, da mein linkes Bein kürzer ist. Ich war einige Zeit sehr gut dabei, meine Reha-Übungen zu machen. Doch ich muss zugeben, dass ich diese vernachlässsigt habe. Aber nachdem ich in diesem Jahr wieder eine Weile mit meinem Gleichgewicht zu kämpfen hatte, begann ich die Übungen wieder zu machen – so etwas wie durch das einbeiniges Stehen zur Balance zurückzufinden.
Ich glaube, dass Laufen heute für mich mehr Spaß als früher bedeutet, denn es ist kein Weltuntergang, wenn ich nicht immer eine super Leistung hinlege. Als ich noch jünger war, habe ich es nicht gemocht zu verlieren, besonders beim Marathon. Jetzt geht es für mich aber hauptsächlich um Fitness und das Miteinander. Das sind die Dinge, die mir heutzutage wirklich wichtig sind.
Wo treten Sie noch in Erscheinung?
Bill: Über die Jahre habe ich an Schulen mit Kindern gesprochen und trainiert. Zum Beispiel habe ich im Januar drei bis vier Schulen an einem Tag in Mobile (Alabama) besucht, habe mit den Schülern geredet und bin mit ihnen gelaufen. Die Schuldirektoren haben das Programm genauso geliebt wie die Lehrer und die Schüler selbst. In New Hampshire habe ich zusammen mit den Gate City Striders an ihrem Lauf- und Fitnessprogramm gearbeitet, was auf eine Fitness-Universität hinauslief. Es war ein Ein-Tages-Event, bei dem die Eltern auf den Tribünen im Stadion saßen und ihre Kinder anfeuerten, die unten für ihren Abschluss liefen. Ich habe dieses Programm geliebt – es war einfach nur Spaß und großartig zu sehen, wie die Eltern ihre Kinder unterstützten. Als ich durch das Land reiste und Lauf-Studien betrieben habe, beobachtete ich schon immer, dass die Eltern sehr an einem Lauf- und Fitnessprogramm für ihre Kinder interessiert waren. Auf unternehmerischer Seite bin ich mit der JP Morgan Chase Corporate Challenge-Serie, die aus 3,5 Meilen-Rennen besteht, verbunden. Es gibt rund 20 dieser Events und oft habe ich Unternehmen besucht, die Teams hatten und mit ihren Mitarbeitern trainierten. Ich habe dann deren Fragen beantwortet. Ich sehe einen großen entwicklungsfähigen Bereich in Amerika: Unternehmen müssen mehr Verantwortung für die Fitness und Gesundheit ihrer Angestellten und Mitarbeiter übernehmen. Ich habe auch an John Hancock Lauf- und Fitnessseminaren in Massachusetts teilgenommen, und wir haben oft Schulen besucht sowie mit Hancock-Mitarbeitern geredet, die gerade anfingen zu laufen. Als Vater versuche ich meine Tochter Erika und ihr Cross-Country-Team zu unterstützen – ich mache mich mit ihnen warm, reiche ihnen Wasser, beantworte ihre Fragen und so weiter.
- Erschienen am 24. October 2006
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