Glaube an dich selbst, und alles ist möglich: Peter Gottwalds paralympischer Traum

Von Duncan Larkin
Im Finale über 800 m in Peking ging Peter früh in Führung. © Von Peter Gottwald zur Verfügung gestellt
Im Finale über 800 m in Peking ging Peter früh in Führung. © Von Peter Gottwald zur Verfügung gestellt

Der 25-jährige Peter Gottwald aus West Chester, Pennsylvania (USA), stand bei den Paralympics 2008 in Peking an der Startlinie des Olympiastadions, das er mit den Augen nur vage erkennen konnte. Peter startete in der Wettkampfklasse T13, einer Kategorie, die denjenigen Teilnehmern der Paralympischen Spiele vorbehalten ist, die nur noch fünf bis zehn Prozent ihrer normalen Sehkraft besitzen. Obwohl er wegen seiner Erkrankung beim Schulsport eingeschränkt war, glaubte er schon als Teenager fest an sich selbst und träumte davon, eines Tages eine olympische Medaille zu gewinnen. Mit dem zweiten Platz im olympischen 800-m-Rennen von Peking wurde dieser Traum endlich Wirklichkeit.

Seit seiner Geburt leidet Peter an einem Nystagmus, einer Augenerkrankung, die unkontrollierbare, rhythmische Bewegungen der Augen verursacht. Aus diesem Grund sieht er nahezu alles verschwommen. Doch Peter hat sich durch diese Beeinträchtigung von nichts abhalten lassen. Er besitzt einen eisernen Willen und nimmt die Dinge so, wie sie sind.

Zusammen mit drei Brüdern und drei Schwestern wuchs Peter in San Ramon, einem Vorort von San Francisco, auf. Trotz seiner Einschränkung spielte er mit seinen Geschwistern draußen im Freien, ging zum Campen, Wandern und Surfen – er machte einfach das Beste aus seiner Situation. In der Schule war Peter sehr ehrgeizig und bekam dafür auch gute Noten. Nur der Sportunterricht war für ihn frustrierend, denn der Lehrer hatte Angst, Peter könnte sich aufgrund seiner Augenerkrankung verletzen. Also musste er am Spielfeldrand sitzen und zusehen wie seine Freunde und Klassenkameraden Flagfootball, Fußball und Baseball spielten und dabei viel Spaß hatten.

„Ich konnte es nicht ertragen, so ausgeschlossen zu werden”, erinnert sich Peter, „also habe ich meinen Lehrer immer wieder gefragt, ob ich nicht etwas anderes tun könnte, als nur herumzusitzen.”

Eines Tages konnte er sich nicht mehr beherrschen und beschloss, um das Spielfeld zu joggen. Das war der Tag, an dem er seine Liebe zum Laufsport entdeckte, und es war der erste Schritt auf seinem langen Weg zur Silbermedaille in Peking.

Noch im selben Jahr trat Peter dem Lauf-Team an seiner Highschool bei und machte großartige Fortschritte. Schon bald stellte er – der Junge mit dem schwachen Sehvermögen – den kalifornischen Highschool-Rekord über 5 km auf: 15:08 Minuten. Doch ohne Hilfe wäre er nicht so weit gekommen. Dazu bedurfte es eines sehr wichtigen Menschen, den Peter als seine größte Stütze, Inspiration und als sein größtes Vorbild betrachtet: seinen Vater Schuyler. Als Schuyler erkannt hatte, welche Freude Peter das Laufen bereitete, beschloss er, alles in seiner Macht stehende zu tun, um seinen Sohn zu unterstützen. Eines Abends hörte er im Radio eine Sendung, in der Hörer anrufen und alles fragen konnten, was sie wissen wollten. Also griff er zum Telefon und erzählte von seinem Sohn. Dabei interessierte ihn insbesondere die Frage, welche Leichtathletik-Angebote es für blinde Läufer an Hochschulen gibt. Zufällig hörte Vince Martin, ein blinder Diskuswerfer, dieses Gespräch im Radio und interessierte sich sofort für Peter. Nachdem Peter nach Pennsylvania gezogen war, wo er an die West Chester University wechselte, erhielt er einen Anruf von Vince, der ihm begeistert von den Paralympischen Spielen und was man zur Teilnahme benötigt, erzählte. Er sagte Peter auch, dass er es schaffen könne – und dass er an ihn glaube.

Peters Vorbild: sein Vater Schuyler. © Von Peter Gottwald zur Verfügung gestellt
Peters Vorbild: sein Vater Schuyler. © Von Peter Gottwald zur Verfügung gestellt

Während seines Studiums an der West Chester University begann Peter unter der Anleitung von Trainer Vince Touey von der Widener University – einem kleinen College, etwa 45 Autominuten von Peters Wohnheim entfernt – mit dem Lauftraining. Aufgrund seiner Erkrankung konnte er nicht selbst mit dem Auto zum Training fahren, und wieder war sein Vater zur Stelle, der ihn jeden Tag von West Chester zur Widener University und wieder zurück brachte. An den Tagen, an denen er nicht mit seinem Coach trainierte, rannte Peter auf den Straßen um West Chester. Da er kein Freund der Bahn ist, trainierte er lieber auf der Straße. Dazu wurden Abschnitte über 400 m, 600 m und 800 m ausgemessen, auf denen Peter seine Intervall-Trainingseinheiten absolvieren konnte.

„Die Leute haben mich die Straße rauf- und runter rennen sehen und hielten mich wohl für verrückt”, erinnert er sich und kann sich dabei ein Grinsen nicht verkneifen.

Langsam verbesserten sich Peters Zeiten, und er stellte persönliche Rekorde auf. 2004 qualifizierte er sich erstmals für das paralympische Team der USA und reiste mit der Mannschaft nach Athen. Dort wurde er Fünfter über 800 m und Achter über 1.500 m.

Nach seiner Rückkehr aus Athen begann er damit, längere Strecken zu laufen und sein Training zu intensivieren. Rückblickend betrachtet, waren diese Jahre die prägenden in seiner Läuferkarriere. „Ich habe mich damals mächtig ins Zeug gelegt, bin über 80 Kilometer pro Woche gelaufen und habe viele Tempoeinheiten in mein Training eingebaut. Ich habe bei kalten Temperaturen – auch bei minus 20 Grad Celsius – trainiert, mit Mütze, Handschuhen und Gesichtsmaske. Ob Regen oder Hagel, mein Training zog ich durch, nichts konnte mich davon abhalten”, erzählt er und fügt hinzu: „Das hat mich zu einem besseren Menschen gemacht.”

Und sein Einsatz hat sich gelohnt.

Bei den Para-Panamerikanischen Spielen 2007 gewann Peter seine ersten Medaillen: Silber über 5.000 m und Bronze über 1.500 m. Er kam ins US-amerikanische paralympische Team und konnte es kaum erwarten, nach Peking zu reisen und dort seinen Traum von einer olympischen Medaille wahr werden zu lassen. „Ich war so aufgeregt, dabei zu sein”, erzählt Peter. „Bei einem Ausflug zur Chinesischen Mauer spazierte jeder aus dem Team nach oben, doch ich war so enthusiastisch, dass ich hoch gerannt bin!”

Doch die Spiele verliefen für Peter anders als erwartet. Im Vorfeld hatte er sich für drei Rennen qualifiziert: 5.000 m, 1.500 m und 800 m. In seinem ersten Rennen, den 5.000 m, kam er über den Vorlauf nicht hinaus. Beim zweiten, den 1.500 m, qualifizierte er sich für das Finale, verpasste dann jedoch eine Medaille. Es gibt zwei Dinge, die Peter in seinem Leben ganz sicher gelernt hat: niemals aufzugeben und an sich selbst zu glauben. Also ließ er sich auch durch diese Enttäuschungen nicht entmutigen, als er zum 800-m-Lauf antrat – seiner letzten Chance auf eine Medaille.

Peter kann sich noch gut daran erinnern, dass die anderen Läufer von ihren Trainern beruhigt wurden, sie sollten sich wegen ihm bei diesem letzten Rennen keine Sorgen machen. Sie hatten seine Leistung bei den vorangegangenen Läufen beobachtet und sahen in Peter keinen ernstzunehmenden Konkurrenten auf einen Medaillenplatz. „Sie rieten ihren Athleten, ‚lasst ihn einfach rennen, jagt ihn nicht'”, erzählt er. Nach dem Startschuss raste Peter los und ging in Führung. Die erste Runde lief er in 57,28 Sekunden, dabei lag das Feld etwa 20 Meter hinter ihm. „Ich dachte, ‚Wo sind denn all die anderen geblieben?'” Bis zur 600-m-Marke war Peter noch in Führung, doch auf den letzten 200 Metern zog das Feld das Tempo an und versuchte ihn einzuholen. Rückblickend erinnert sich Peter nur noch an das Jubeln der Menge auf dieser letzten halben Runde – 90.000 Zuschauer feuerten die Läufer an, als diese über die Ziellinie liefen. Ihm kam es vor wie „eine einzige große Jubelwelle”. Nur einem einzigen Läufer war es gelungen, die Ziellinie vor Peter zu überqueren: Abdelillah Mame aus Marokko. Doch Peter hatte die Silbermedaille! Noch heute schüttelt er ungläubig mit dem Kopf, wenn er an diesen magischen Augenblick denkt: „Zu wissen, dass mein Name nun auf der Anzeigetafel an zweiter Stelle stehen würde – Mensch, das erschien mir total unwirklich.”

Sein Traum von einer Paralympischen Medaille war schließlich wahr geworden!

Mittlerweile unterrichtet Peter an der West Chester University und arbeitet an seinem Masterabschluss in Pädagogik. Peter hofft, dass er dazu beitragen kann, die Gesundheitsbildung in den USA zu reformieren, damit Studenten mit körperlichen Einschränkungen in der Zukunft nicht mit den gleichen Erschwernissen konfrontiert werden wie er. Neben dem Laufen und Unterrichten, schreibt Peter in seiner Freizeit Gedichte.

Auf die Frage, wie er sich denn als Vorbild für Behinderte fühlt, schaut er weg und stößt mit dem Fuß gegen die Steine unter seinem Stuhl. Peter ist ein bescheidener Mensch und spricht nicht gerne über sich selbst, deshalb wählt er seine Worte sehr sorgfältig: „Im sportlichen Sinne, bin ich ganz bestimmt ein Vorbild. Trotzdem denke ich, dass jeder Mensch einfach er selbst ist. Ich hoffe, ich kann anderen Inspiration und Hoffnung geben – ihnen sagen ‚Ihr könnt großartige Dinge tun, trotz eurer Behinderung. Ihr könnt aufs College gehen. Ihr könnt einen erstklassigen Abschluss machen. Ihr könnt erfolgreich sein.”

Peter plant bereits seine nächste große Herausforderung: Er hofft auf eine weitere Medaille bei den paralympischen Spielen 2012 in London. Seiner Persönlichkeit entsprechend, wird er alles in seinen Möglichkeiten stehende tun, um auch dieses Ziel zu erreichen – sich zu qualifizieren und dann gegen die besten Athleten der Welt anzutreten.

Peter hat noch nie gerne an der Seitenlinie gestanden.