Der eiserne Wille eines außergewöhnlichen Athleten gibt Menschen Inspiration und Hoffnung

Von David Wright
Jothy unterstützt die Krebsforschung mit seiner jährlichen Teilnahme an der Pan-Mass Challenge. © Zur Verfügung gestellt von Pan-Massachusetts Challenge
Jothy unterstützt die Krebsforschung mit seiner jährlichen Teilnahme an der Pan-Mass Challenge. © Zur Verfügung gestellt von Pan-Massachusetts Challenge

Jothy Rosenberg war ein ganz normaler, unbeschwerter Junge, bis er mit den ersten harten Schicksalsschlägen konfrontiert wurde, die seinen außergewöhnlichen Lebensweg geprägt haben.

Seine erstaunliche Geschichte begann 1973, als er mit 16 Jahren während des Sportunterrichts an seiner Schule in der Nähe von Detroit wegen brennender Schmerzen in seinem Knie zusammenbrach. „Die Ärzte sagten mir, ich hätte ein Osteosarkom. Eine äußerst seltene Krebsart, an der in den Vereinigten Staaten jährlich nur etwa 900 Menschen erkranken – fast ausschließlich Kinder”, erzählt Jothy und fügt hinzu, „Die Krankheit zerstörte die gesunden Zellen in meinem Kniegelenk.” Seine Eltern – beide sind Mediziner – standen an seinem Bett, als der behandelnde Arzt Jothy sagte, er würde sein Bein am nächsten Morgen um 7 Uhr amputieren. „Doch was die Sache noch schlimmer machte, war, dass mir nur noch ein Stumpf von knapp 13 cm Länge blieb. Das war viel zu kurz, um mit einer Prothese gut zu laufen”, erzählt er. Drei Jahre später – Jothy hatte sich an sein neues Leben gewöhnt und bewegte sich souverän auf Krücken oder einem Holzbein mit dem Spitznamen ‚Herbie‘ – schlug das Schicksal erneut zu. „Ich ging zu einer Routineuntersuchung und dabei wurde festgestellt, dass der Krebs erneut ausgebrochen war und meine Lunge befallen hatte”, berichtet Jothy. „Ich war 19 und gerade in meinem zweiten College-Jahr, als der Arzt mir ohne Umschweife sagte, dass bisher niemand diese Krebsart überlebt habe, wenn sie erst einmal fortgeschritten sei. Ebenso gut hätte er sagen können ‚Du hast null Überlebenschancen’ – denn das war die Botschaft, die bei mir ankam.”

Die Ärzte entfernten einen Lungenflügel fast vollständig und anschließend musste Jothy sich einer 12-monatigen Chemotherapie unterziehen. „Das war die schlimmste Zeit meines Lebens”, erinnert er sich. „Jede Behandlung fühlte sich an wie fünf Tage des schlimmsten Katers, den du dir vorstellen kannst. Außerdem musste ich ständig daran denken, dass ich jeden Tag sterben könnte. Ich habe meine Situation verflucht und immer und immer wieder dieselbe Frage gestellt: ‚Warum ich?'”

Jothys Kampf gegen den Krebs inspirierte ihn dazu seinem Herzenswunsch zu folgen: soviel Skifahren zu können wie möglich. © Zur Verfügung gestellt von Michel Eberle
Jothys Kampf gegen den Krebs inspirierte ihn dazu seinem Herzenswunsch zu folgen: soviel Skifahren zu können wie möglich. © Zur Verfügung gestellt von Michel Eberle

Doch nach einem Jahr tiefster Verzweiflung entschloss er sich, nicht aufzugeben. Glücklich darüber, dass die Chemotherapie-Behandlungen den Krebs zum Rückzug gezwungen hatten, kam ihm zum ersten Mal der Gedanke, dass er diese Krankheit überleben könnte. Er sagt: „Im nächsten Schritt versprach ich mir selbst, dass ich es niemandem erlauben würde, meinem Leben irgendwelche Beschränkungen aufzuerlegen.” Dann traf er eine verblüffende Entscheidung: Anstatt zum College zurückzukehren, entschloss er sich, nach Alta, Utah, (USA) zu gehen. Dort wollte er das tun, wovon er schon immer geträumt hatte: Er wollte soviel Ski fahren wie möglich. Vor seiner Erkrankung war er ein hervorragender Skifahrer auf zwei Beinen gewesen, jetzt musste er eben lernen, die Piste auf einem Bein herunter zu fahren. Und er machte seine Sache so toll, dass sein Lehrer ihn schließlich fragte, ob er ihm nicht dabei helfen wolle, Nicht-Behinderten das Skifahren beizubringen. „Ich dachte nur ‚oh Gott, jetzt hat sich meine Situation völlig verändert, gerade noch galt ich selbst als behindert, und jetzt soll ich ein Vorbild sein!’ Seitdem sage ich mir selbst immer wieder: ‚Erreiche zunächst ein Ziel, dann stelle dich der nächsten Herausforderung und meistere auch diese.’ Schon bald spürst du, dass diese vielen kleinen Erfolgserlebnisse dir eine ganze Menge Selbstvertrauen geben – und dann ist Selbstmitleid nur noch ein Relikt aus der Vergangenheit.

Das war aber nur der Beginn von Jothys unglaublicher Geschichte. Mittlerweile fährt er auf einem Bein mit seinem Ski über die schwierigsten Pisten, nimmt an Schwimmwettbewerben in offenen Gewässern teil und fährt Rad mit einem Pedal. Damit hat er bei der berühmten Pan-Massachusetts Challenge schon tausende von Kilometern zurückgelegt und dabei Spenden in Höhe von 100.800 US-Dollar für die Krebsforschung gesammelt. Außerdem hat er bereits 16 Mal (!) im Rahmen von Wohltätigkeitsveranstaltungen die tückischen Gewässer von Alcatraz nach San Francisco durchschwommen und so weitere 40.000 US-Dollar gesammelt, die einem Obdachlosenprojekt zugute kommen. Auf diesem Weg hat sein eiserner Wille schon unzählige Menschen inspiriert und ihn zu einer Legende gemacht.

„Der Sport hat mich gelehrt, dass ich durchaus in der Lage bin, schwierige Dinge in Angriff zu nehmen und mein Ziel zu erreichen”, erzählt Jothy, jetzt 53, während eines exklusiven Interviews mit Take The Magic Step®. „Durch den Sport habe ich mein Selbstwertgefühl wiedererlangt. Irgendwann wurde mir klar: Wenn ich diese Dinge tun kann, dann ist alles möglich.”

Jothy, der in einem Vorort von Boston lebt, hat diese Philosophie auch erfolgreich auf seine Arbeit als Unternehmer übertragen: Er gründete sechs High-Tech Jungunternehmen. Eines begann er mit einem 65.000 US-Dollar Startkapital von Investoren, was er sieben Jahre später für 125 Millionen US-Dollar verkaufte. Jetzt ist er dabei, seine Autobiographie zu veröffentlichen, mit dem passenden Titel „Who Says I Can’t?” (dt. „Wer sagt, ich kann das nicht?”, Anm. d. Red.). Jothy hofft, den Menschen, deren Leben durch tragische Ereignisse aus dem Gleichgewicht geraten ist, mit seinem Buch wieder Mut und Hoffnung zu geben.

In Eigenregie brachte Jothy sich das Radfahren bei. Das Schwierige daran ist, dass dabei ein Bein doppelte Arbeit verrichten muss, nämlich das Pedal herunterdrücken und es mithilfe einer speziellen Vorrichtung auch wieder nach oben ziehen. Bei der Pan-Mass Challenge schenken ihm die Menschen, die die Strecke des 309 Kilometer langen ‚Bike-o-thon’ säumen, jedes Jahr einen riesigen Applaus. Jothy ist stolz, dass das gesammelte Geld größtenteils aus kleinen Spenden stammt und direkt zum Dana-Faber-Krebsinstitut in Boston geht. Dort wird es passenderweise für die Krebsforschung und -behandlung eingesetzt, die einmal sein eigenes Leben gerettet hat.

Bereits 16 Mal schwamm Jothy von Alcatraz zur Küste von San Francisco … © Zur Verfügung gestellt von EnviroSports
Bereits 16 Mal schwamm Jothy von Alcatraz zur Küste von San Francisco … © Zur Verfügung gestellt von EnviroSports

Es heißt, dass es nur drei Gefangenen jemals gelungen sei, von Alcatraz – Amerikas wohl berühmtestem Gefängnis – zu fliehen und ans Festland zu schwimmen. Viele haben es versucht, wurden jedoch nie wieder gesehen. Aber Seite an Seite mit tausenden von „Zweibeinern” meistert Jothy schon seit 16 Jahren den alljährlichen Schwimmwettbewerb über 2,4 Kilometer durch raues, kaltes und tückisches Gewässer in der Bucht von San Francisco. Mittlerweile hat er mehrere zehntausend Dollar für das Obdachlosenprogramm der Boston Healthcare-Organisation gesammelt, für die seine Frau Carole arbeitet. „Kurz bevor ich das Ufer erreiche, geht meine Tochter ins Wasser und gibt mir meine Krücken, damit ich bis zur Ziellinie laufen kann”, erzählt er. Sobald Jothy aus dem Wasser steigt, gehen ohrenbetäubende Anfeuerungsrufe durch die Menge. „Sie geben mir die Inspiration, auch im nächsten Jahr wieder hierher zu kommen – und ich hoffe, dass ich ihnen ebenfalls ein wenig Inspiration für ihr eigenes Leben geben kann.”

Jothys fehlendes Bein hat bei seinen Gästen auch schon für viel Unterhaltung und Spaß gesorgt. Einmal fuhr ein Land Rover auf dem Weg, wo Jothy sich gerade mit seinem Rad befand. Offenbar hatte der Fahrer ihn nicht gesehen und fuhr ihn samt seinem Rad um. „Der Fahrer stieg aus seinem Wagen, sah mich dort liegen, völlig außer Atem, so dass ich nicht sprechen konnte – und mit nur einem Bein”, lacht Jothy. „Er geriet so in Panik, dass er sofort annahm, das fehlende Bein wäre seine Schuld gewesen und begann sogleich das Bein verzweifelt zu suchen. Als ich endlich wieder sprechen konnte und ihm sagte, dass mein rechtes Bein nicht an seiner Hinterachse hängt, war er doch sichtlich erleichtert.” Ein anderes Mal – Jothy trug eine Prothese, die er nur selten benutzt – wollte er gerade einen Baum schneiden, als seine Kettensäge außer Kontrolle geriet. Ein Freund hatte voller Entsetzen beobachtet, wie die Zähne der Säge tief in Jothys Oberschenkel schnitten. Glücklicherweise war es das rechte Bein! Lachend meint er dazu: „Es wurde nur Fiberglas weggerissen, meine Hosen waren hin und mein Herz schlug wie wild – aber mein gesundes Bein war völlig unversehrt geblieben.”

… zusammen mit seiner Frau Carole und seinem Golden Retriever erklomm der naturverbundene Jothy einen 600 Meter hohen Gipfel im Andirondack Gebirge. © privat
… zusammen mit seiner Frau Carole und seinem Golden Retriever erklomm der naturverbundene Jothy einen 600 Meter hohen Gipfel im Andirondack Gebirge. © privat

Jothy ist seit 28 Jahren glücklich mit seiner Frau Carole verheiratet, zusammen haben sie drei Kinder. „Ihre Unterstützung war entscheidend für alles, was ich erreicht habe”, sagt er. „Ich fühle mich auch nicht schuldig, weil meine Behinderung für sie eine Belastung sein könnte. Ich glaube, es macht sie immer stärker, genauso wie mich selbst. Bei allem, was ich tue, stehen sie bedingungslos hinter mir und geben mir dadurch soviel Kraft.”

Jothy gibt Motivationsgespräche für Schülerinnen und Schüler in Highschools in vier Bundesstaaten und er ist immer bereit, Menschen zu helfen, die in einer tiefen persönlichen Krise stecken. Ironischerweise ist er davon überzeugt, dass er niemals so viel in seinem Leben erreicht hätte, wäre er in jungen Jahren nicht mit diesen schrecklichen Herausforderungen konfrontiert worden. „Ich hatte mir vorgenommen, etwas für mich selbst zu tun”, erinnert er sich „und dabei zufälligerweise festgestellt, dass ich dabei in der Lage war, auch anderen Menschen zu helfen: Menschen mit zwei gesunden Beinen ebenso wie denen, die dasselbe Schicksal haben wie ich. Damals mit 16, als ich so in meinem Krankenhausbett lag, mit nur einem Bein, und dieser quälenden Angst hinsichtlich der Frage, wie ich wohl je ein normales Leben führen sollte; und dann als 19-Jähriger mit nur einem Lungenflügel, der versucht, sich von der Chemotherapie zu erholen und von dem Gedanken verfolgt wird ‚vielleicht werde ich sterben’ – während dieser Zeit, fühlte ich mich völlig alleine.”

Mit seinem Buch, so hofft er, möchte er andere dazu inspirieren, nicht aufzugeben – auch wenn das Leben sie vor sehr harte Herausforderungen stellt. „Wenn dieses Buch jemandem mit einer Behinderung oder einer schlimmen Traumatisierung dabei hilft, schneller und besser mit seinem Schicksal zurecht zu kommen, als ich es damals konnte, dann wäre ich sehr glücklich darüber.”

Ein Teil der Einnahmen aus Jothy Rosenbergs Buch, “Who Says I Can’t?”, gehen an den O’Brien Osteosarcoma Fund des Dana-Farber-Krebsinstituts. Das Buch geht im Oktober in Druck, kann aber unter folgender Webadresse vorbestellt werden: www.whosaysicant.org