Yoga mit meinen kenianischen Lauffreunden
So lange ich denken kann, hat mich die mühelos wirkende Lauftechnik der kenianischen Läufer fasziniert und ich mache immer noch große Augen, wie entspannt sie während und sogar am Ende eines Marathons aussehen. Ich bewundere diese Gabe, diese Eleganz. Wann immer ich nach Kenia reise – 1991 war ich zum ersten Mal dort –, suche ich nach einer Erklärung dafür.
In unserem Trainingscamp in Karen, in der Nähe von Nairobi, habe ich ihren Laufstil analysiert – später in Nyahururu und im Trainingslager in Iten. Mir fiel auf, dass sie während ihrer Trainingsläufe selbst bei höchster Geschwindigkeit voll konzentriert und dennoch locker wirkten – ganz eins mit sich und ihrem Lauf.
Mit der Zeit verstand ich, dass ihre großartigen Erfolge nicht nur von ihrem starken Bedürfnis kommen, elementare Trainingsinhalte zu befolgen und gute Ernährung und Selbstmotivation in ihr Trainingsprogramm zu integrieren, sondern vor allem aus dem Bewusstsein, dass Erfolg notwendig ist, um in Kenia ein normales Leben führen zu können. Und ich war begeistert, dass sich meine kenianischen Lauffreunde mit den Vorteilen von Stretching und ja, sogar von Yoga beschäftigten.
Vor einigen Jahren war eine Gruppe kenianischer Läufer hier in Boulder. Beim gemeinsamen Training fragten sie mich: „Uta, dir macht das Laufen so viel Freude und du siehst so entspannt aus. Kannst du uns nicht ein paar deiner Yoga-Dehnungsübungen zeigen?”
Es ist eine Ehre und eine große Freude, mit diesen großartigen Athleten Yoga zu praktizieren und ich erweitere dadurch Jahr für Jahr mein eigenes Programm. Mittlerweile gehören Yoga-Dehn- und Yoga-Stabilisationsübungen zu unseren liebsten Trainingseinheiten.
Wir treffen uns ein- bis zweimal pro Woche zum Yoga. Die Athleten laufen von ihrem Apartment zu meinem Haus in Boulder – was für die kleine Gruppe nicht mehr als ein lockerer Dauerlauf ist. Zur Begrüßung gibt es Wassermelone auf der Terrasse. Danach genießen wir 45 Minuten Dehnungs- und Kräftigungsübungen aus meinem Yoga-Programm. Bei schlechtem Wetter gehen wir in den Trainingsraum im Souterrain.
Vor der Yoga-Stunde sprechen wir über etwaige körperliche Beschwerden und Muskelverspannungen jedes einzelnen. Dieser Austausch gibt mir wichtige Hinweise, worauf ich während des Programms zu achten habe. Die Läufer unter Euch wissen, wie häufig wir mit diversen Läuferleiden zu tun haben: Verspannungen der unteren Rückenmuskulatur, Oberschenkelbeuger, Quadrizeps, Waden sowie im Bereich um die Achillessehnen und einige mehr…
Nachdem ich den Atemrhythmus für die geplanten Übungen [Asanas] erkläre, beginnen wir mit der ersten, der Berg-Pose [Tadasana]. Es ist sinnvoll, die Übungsstunde mit einfachen Stellungen zum Auflockern der Muskulatur zu beginnen, die Berg-Pose ist mittlerweile eine unserer Lieblingsübungen. Dabei recken und strecken wir den gesamten Körper, dehnen die Wirbelsäule, öffnen den Brustkorb und entspannen die Schultern.
Wir genießen es, jede Übung langsam auszuführen. Es ist wie ein spirituelles Beisammensein.
Natürlich dient das Programm der Dehnung und Kräftigung, doch gleichzeitig verstehen wir es als hilfreiche Methode, sich von den absolvierten Trainingseinheiten zu erholen – etwa vom morgendlichen Training oder der zweiten Trainingseinheit, die die Läufer unmittelbar vor unserer Yoga-Stunde beendet haben. Dabei kombinieren wir Dehnungs- und Entspannungselemente miteinander, um Körper, Geist und Seele die Möglichkeit zur Rehabilitation zu geben und die Athleten behutsam auf die bevorstehenden Trainingseinheiten vorzubereiten.
Das Programm unterteilt sich in Asanas im Stehen (am Beginn der Stunde), gefolgt von Stellungen, die auf dem Boden ausgeführt werden. Je nach Bedarf folgen der Berg-Pose einige Asanas im Stehen wie die Pose des herabschauenden Hundes [Adho Mukha Svanasana], die Krieger-Pose II [Virabhadrasana II], die Dreiecks-Pose [Trikonasana] und die seitliche Winkelstellung [Parsvokanasana].
Danach praktizieren wir die „Dehnung für den Hüftbeuger“ [diese Übung könnt Ihr an vorletzter Stelle im Text sehen], den „Läufer-Yoga-Stretch“ [diese könnt Ihr an letzter Stelle im Text sehen] und weitere…
Alle Asanas werden langsam ausgeführt. Dabei begeben wir uns allmählich in die Stellungen hinein, verweilen in ihnen und gehen ebenso langsam wieder heraus. Wir konzentrieren uns unter anderem innerhalb des Programms darauf, den Brustkorb zu öffnen, den unteren Rückenbereich, die Sehnen des Oberschenkelbeugers und des Quadrizeps sowie die Waden und die Achillessehne zu dehnen.
In der „Pose des Kindes“ [Balasana] gönnen wir uns eine kurze Pause, bevor wir zu den Asanas auf dem Boden übergehen. Bei diesen Übungen werden ähnliche Muskelgruppen und Sehnen beansprucht wie bei denen im Stehen. Auch diese Asanas werden langsam ausgeführt. Korrekte Körperhaltung und optimale Ausführung sind dabei entscheidend. Diese Herangehensweise folgt dem „Blueprint of Alignment“, den verschiedene Yoga-Richtungen lehren.
Die Läufer führen die Boden-Posen gerne nach den Stellungen im Stehen aus, weil sie im Sitzen eine tiefere Entspannung spüren und sich innerlich schon auf das Ende ihrer Übungseinheit einstellen können.
Eine ihrer Lieblingspositionen ist die Kopf-zum-Knie-Pose [Janu Sirsasana]. Weitere Favoriten sind die Brücken-Pose [Setu Bandhasana], die Tauben-Pose [Kapotasana] und zu guter letzt der Drehsitz [Ardha Matsyendrasan] – diese Übung könnt Ihr an vorletzter Stelle des verlinkten Textes sehen.
Viele von Euch kennen den Drehsitz: Er löst Verspannungen und verbessert die Beweglichkeit von Wirbelsäule, Schultern und Nacken. Außerdem werden dabei die Gesäßmuskeln wunderbar gedehnt. Ich liebe diese Übung und das geht nicht nur mir so.
Jede Übungsstunde ist nach den Bedürfnissen der Athleten ausgerichtet. So variieren wir die Anzahl der Wiederholungen jeder einzelnen Stellung und entscheiden gemeinsam, ob wir die eine oder andere Übung später in der Sitzung noch einmal wiederholen.
Die Yoga-Stunde endet mit einer leichten Meditation in der „Entspannung in Rückenlage“ [Savasana]. Dieser Teil läuft sehr unterschiedlich ab, weil ich die Läufer mit einer immer anderen Geschichte an Orte führe, an denen sie sich entspannen und erholen und sich gleichzeitig über einen weiteren erfolgreich absolvierten Trainingstag freuen können.
Namaste,
Video und Lesetipps:
- TED Rede von David Epstein: „Are athletes really getting faster, better, stronger?”
- Utas Weg zu ihrem persönlichen Yoga-Programm: „Yoga – ein Weg zur inneren Ausgeglichenheit“
- Einführung in Utas Yoga für Performancesm-Programm für Einsteiger und Athleten: „Yoga für Performancesm: Einleitung”
- „Yoga für Performancesm: Yoga für Läufer, Teil 1”
- „Yoga für Performancesm: Yoga für Läufer, Teil 2”
- „Möchten Sie besser laufen? Dann entspannen Sie sich!”
- Erschienen am 22. May 2014
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