Herzlich willkommen, liebe Pionierinnen des Marathonlaufs!

16. April 2016 Von Uta Pippig
Zusammen mit den Boston-Marathon-Pionierinnen. © TakeTheMagicStep

Als ich im Alter von zwölf Jahren mit dem Laufsport begann und auf Wald- und Feldwegen rund um meinen Heimatort rannte, spürte ich eine ganz neue Art von Freiheit – eine Freude, die so tief war, dass mein Körper sich scheinbar mühelos bewegte, während mein rhythmisches Atmen in der Natur widerhallte.

Bobbi Gibb 1966 nach dem Boston-Marathon. © Yarrow Kraner
Bobbi Gibb 1966 nach dem Boston-Marathon. © Yarrow Kraner

Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass es erst zehn Jahre her war, seit die Welt im Jahr 1966 die erste Frau bejubelte, die jemals die Ziellinie des renommiertesten Marathon-Rennens von allen – dem Boston-Marathon – überquert hatte.

Ihr Name war Bobbi Gibb. Sie ging an den Start, obwohl sie keine offizielle Erlaubnis hatte, an dem berühmten Rennen über 42,195 km von Hopkinton nach Boston teilzunehmen. Schließlich war der Marathon damals noch eine Männerdomäne. Die Begründung: die Distanz sei für unsere Körper zu belastend und schon der Versuch sei viel zu riskant für eine Frau.

ERNSTHAFT.

Also tat ich, wie viele andere Frauen auch, genau das, was für mich und die anderen etwas ganz Natürliches war – wir rannten! Wir genossen es, gesund und glücklich zu sein.

Während meiner Kindheit in der früheren DDR kümmerte man sich um die Kinder und Frauen. Junge Talente wurden unterstützt und gefördert. Meine ersten Erinnerungen an den Laufsport sind geprägt von Freude und Spaß. Und es fiel mir leicht, frühzeitig Schule und Sport zu kombinieren.

Bobbi und Nina Kuscsik, die Boston-Marathon-Gewinnerin von 1972. © TakeTheMagicStep®
Bobbi und Nina Kuscsik, die Boston-Marathon-Gewinnerin von 1972. © TakeTheMagicStep®

Damals erfuhr ich von Frauen, deren Liebe zur Musik, zur Kunst, zur Wissenschaft und zum Sport sie zu außergewöhnlichen Leistungen befähigt hatte. Es war atemberaubend, wie viel Energie, Leidenschaft und Ehrgeiz in den Frauen steckte und welche herausragenden Erfolge sie auf ihrem jeweiligen Gebiet erzielen konnten.

Weil ich das Laufen so sehr liebte, wurden die Pionierinnen des Laufsports – mit ihrem furchtlosen Streben neue Rekorde in Distanz und Zeit aufzustellen – zu meinen Vorbildern. Es gab viele von ihnen.

In den 70er und 80er Jahren begrenzten die Auswirkungen des Kalten Krieges unseren Zugang zu internationalen Nachrichten. Die Berliner Mauer teilte meine Heimatstadt in Ost- und West-Berlin. Obwohl es im Osten schwierig war, verfolgten wir – wann immer sich die Gelegenheit bot – die Berichte über die teilnehmenden Athletinnen, beispielsweise über die 1.500 m, die bei den Olympischen Spielen 1972 in München die längste für Frauen zugelassene Distanz war. Auch Frauen in meinem Heimatland waren Vorreiterinnen.

Uta und Grete Waitz beim Boston-Marathon 2005. © Jim Davis
Uta und Grete Waitz beim Boston-Marathon 2005. © Jim Davis

Mein erster Trainer, der aufgeschlossen genug war, Nachrichten aus dem Westen an uns weiter zu geben, sagte eines Tages zu mir: „Uta, es gibt Frauen, die Marathon laufen in New York City, Boston und an vielen anderen Orten, auch hier in Deutschland.” Er erzählte mir von diesen Frauen, eine von ihnen war Grete Waitz. „Sie sind schnell im Marathon”, sagte er mir. „Vielleicht kannst du eines Tages eine von ihnen sein.” Damals war ich 15.

Viele Jahre später hörte ich von den großartigen Rennen von Liane Winter, Christa Vahlensieck, Nina Kuscsik und Joan Benoit Samuelson, um nur einige von ihnen zu nennen.

Damals erschien mir die Distanz von 42,195 km noch unmöglich. Doch ich hatte Glück, einen guten Trainer gehabt zu haben, bei dem ich von Beginn an lernte, entspannt zu laufen und mir die längeren Distanzen zu erobern, ohne dabei an Tempo zu verlieren.

Bobbi und Joan Benoit Samuelson, die Olympiasiegerin von 1984. © TakeTheMagicStep®
Bobbi und Joan Benoit Samuelson, die Olympiasiegerin von 1984. © TakeTheMagicStep®

Kurz darauf erfuhren wir mehr über Grete Waitz und ihre Erfolge, wie sie die Marathon-Welt im Sturm eroberte. Man sagte, dass sie neben ihrer Tempoarbeit auch lange Trainingsläufe praktiziert, – ein Geheimnis, so folgerten wir, das zu phantastischen Ergebnissen führen würde.

Später, nach 1989, nach dem Fall der Berliner Mauer, war es endlich so weit: In Freiheit laufen! Ich konnte an Wettkämpfen teilnehmen, von denen wir jungen Talente hinter dem Eisernen Vorhang nur zu träumen vermochten. Ich fieberte dem traditionsreichsten aller Marathon-Rennen entgegen: Boston.

Mein erster Marathon in Freiheit. Hart erkämpft. Endlich konnte ich all den Frauen begegnen, deren Namen ich nur aus der Ferne gehört hatte. Viele von ihnen waren Pionierinnen im Frauen-Laufsport.

Joanie (rechts), Bobbi (mitte) und Uta 2016 in Boston. © Michael Reger
Joanie (rechts), Bobbi (mitte) und Uta 2016 in Boston. © Michael Reger

Jetzt bin ich wieder in Boston. Und 26 Jahre später feiern wir gemeinsam meine Heldinnen. Ehren alle Frauen, die uns jüngeren Athletinnen den Weg geebnet haben. Frauen, die einfach das taten, woran sie glaubten.

Ich heiße die Pionierinnen willkommen. Ich danke jeder einzelnen von Euch aus tiefstem Herzen.

Eure

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Lesetipps:

  1. Wenn ihr jetzt auch mit dem Laufen anfangen möchtet, dann schaut Euch diesen Trainingsplan für Eure ersten 5 Kilometer an: Utas 6-Wochen-Trainingsplan für Eure ersten 5 Kilometer
  2. Utas Erinnerungen an den Boston-Marathon von 1994, ’95 und ’96: Erinnerungen an Boston …von einem dreifachen Champion

Weitere Grüße

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