Grete Waitz – Vorbild, Freundin und Pionierin des modernen Frauen-Laufsports
Eine Hommage an Grete
Grete Waitz, die neunmalige New York City-Marathon-Gewinnerin aus Norwegen und frühere Weltrekordhalterin über viele Langstrecken-Distanzen, einschließlich zahlreicher Marathon-Weltbestzeiten, verstarb am vergangenen Dienstagmorgen (19. April) im Alter von 57 Jahren. Nach ihrer Krebsdiagnose im Jahr 2005 engagierte sie sich nach Kräften im Kampf gegen die Krankheit und erhielt vom norwegischen König Harald V. den Sankt-Olav-Orden erster Klasse. Leider hat sie ihren eigenen mutigen Kampf gegen den Krebs verloren.
„Grete ist in unseren Herzen und wird es für immer bleiben.”
Dieses Gefühl tiefer Verbundenheit habe ich in den letzten Tagen mit vielen meiner Lauffreunde geteilt. Bewegt tauschten wir unsere Erinnerungen an diese außergewöhnliche und warmherzige Frau aus und immer wieder stand dabei die große Bewunderung für Grete im Mittelpunkt.
Grete war eine Ikone des Langstreckenlaufes und des Marathons. Ihren ersten Marathon – New York 1978 – gewann die junge Lehrerin aus Oslo in der Weltrekordzeit von 2:32:30. Doch dies war nur der Beginn einer Reihe herausragender Leistungen, die bahnbrechend für den Frauenlauf waren und 1984 in der olympischen Silbermedaille gipfelten.
Damals, gegen Ende der 70er Jahre, lebte ich noch in der DDR, und Sportnachrichten von „außen“ zu erhalten, war schwierig. Im Herbst 1978 hatte ich gerade mit dem Laufen begonnen und steigerte mich von den kürzeren Distanzen schnell zum Halbmarathon. „Es ist möglich“, sagte mein erster Trainer aufmunternd, „andere Läuferinnen haben es schon geschafft.“ So habe ich erstmals den Namen Grete Waitz gehört und von ihrem Sieg beim New York-Marathon erfahren. Sie inspirierte mich und ich habe sie seitdem bewundert.
Grete und ihr Trainer und Ehemann Jack dachten an „neue und längere Distanzen“ und zeigten uns, dass es möglich war, nicht nur für die damals längste olympische Distanz für Frauen – 1.500 m –, sondern auch für 3.000 m bis hin zum Marathon auf Elite-Niveau zu trainieren. Viele der heute erfolgreichsten Läufer kamen über die kürzeren Strecken zur Marathon-Distanz. Wegen ihrer hohen Grundschnelligkeit und dem später noch hinzugenommenen Ausdauertraining, sind sie in der Lage, so schnelle Ergebnisse über 42,195 km zu erreichen. Grete war die Pionierin auf diesem Gebiet, und wir erinnern uns voller Bewunderung an ihre fantastischen Leistungen von Mitte der 70er bis zum Ende der 80er Jahre.
Mit ihren Siegen beim New York-Marathon und ihren Weltrekordzeiten erregte sie weltweite Aufmerksamkeit. Ihr Name wurde zum Synonym für den Frauen-Marathon. Mit ihren erstaunlichen Leistungen brachte Grete jedes Jahr Menschen dazu, an die Strecke zu kommen und sie in New York begeistert anzufeuern. Für ihre Fans war sie einfach „Grete“. Ein Nachname war da überflüssig. Und was in New York möglich war, das konnte auch anderswo in der Welt möglich sein. Grete öffnete die Türen für die Frauen im Laufsport – viele Langstrecklerinnen konnten durch sie vom Marathon träumen. Und auch dank ihrer Leistungen wurde der Frauen-Marathon 1984 schließlich akzeptiert und als olympische Disziplin zugelassen.
Ich hatte das Glück, Grete während meiner Marathon-Karriere begegnet zu sein. Sie war eine wunderbare, anmutige und inspirierende Läuferin, und sie gab Frauen den Mut, sich an Laufdistanzen über die 800 Meter heranzuwagen. Sie führte uns zu der Erkenntnis, dass der Frauen-Marathon durchaus auf höchstem Niveau möglich war. Sie hatte die Vorstellung, trainierte dafür und setzte ihre Trainingsphilosophie dann in tatsächliche Ergebnisse um. Gretes beispiellose Vorreiterrolle ließ der Welt keine andere Wahl, als den Frauen-Marathon zu akzeptieren.
Mein Tribut an Grete lässt sich nicht in Worte fassen – sie hat für immer einen festen Platz in meinem Herzen. Wir werden sie als eine der inspirierendsten Leichtathletinnen und als ebensolchen Menschen in Erinnerung behalten. Wir bewundern sie für ihre Liebe zum Laufen, ihre herausragenden sportlichen Leistungen und ihre Fürsorge für andere Menschen. Sie war unser Vorbild, unsere Inspiration.
Gretes Vermächtnis wird für uns immer wegweisend sein.
In Anbetracht ihrer weltweiten Verdienste, plant die norwegische Regierung ein Ehrenbegräbnis für Grete im Mai. Es wird uns die Möglichkeit geben, einer bemerkenswerten Frau, die uns so viel hinterlassen hat, „Auf Wiedersehen“ und „Danke“ zu sagen.
Keep Running! Vielleicht sehen wir uns auf den Straßen und Laufpfaden!
Mehr zu Gretes herausragenden sportlichen Leistungen, ihrem Leben und ihrem Vermächtnis, hat unser Sportjournalist Jörg Wenig im nachfolgenden Artikel für Sie zusammengestellt:
Es gibt keine Athletin, die einen so großen Anteil an der Entwicklung und dem Fortschritt des Frauen-Laufsports hat wie Grete Waitz. Die Norwegerin feierte als Weltklasseläuferin zunächst selbst große Siege – erst auf der Bahn sowie im Cross, später auf der Straße – und dabei besonders im Marathon. Nach ihrer leistungssportlichen Karriere nutze sie ihre Erfolge und die damit verbundene Popularität, um tausenden von Menschen den Spaß am gesunden Laufsport zu vermitteln. Höhepunkt war dabei der von ihr ins Leben gerufene Grete Waitz-Lopet, der in seiner ursprünglichen Form bis 2004 in Oslo stattfand und der größte Frauenlauf der Welt war.
In einer Zeit, als die längsten Frauen-Laufstrecken bei großen Meisterschaften 1.500 Meter betrugen, gewann Grete in Norwegen nationale Junioren-Titel über 400 und 800 m. Es heißt, dass sie es nicht leicht hatte, ihre Eltern davon zu überzeugen, ihr Interesse an der Leichtathletik zu unterstützen. Doch 1971 rannte Grete einen Juniorinnen-Weltrekord über 1.500 m (4:17,0 Minuten), nachdem sie im gleichen Jahr übrigens eine Hochsprung-Bestleistung von 1,61 m aufgestellt hatte. Als 18-Jährige startete sie dann über die 1.500-m-Distanz bei den Olympischen Spielen von München 1972. Damals kam sie bei der olympischen 1.500-m-Premiere der Frauen nicht über den Vorlauf hinaus. Längere Distanzen standen noch nicht auf dem Programm. Ihr Talent für Langstrecken hatte Grete damals ohnehin noch nicht voll entdeckt, obwohl sie schon immer eine starke Crossläuferin war und bei diesen Rennen gleich zwölf Jahre lang bis 1981 ungeschlagen war. Von ihrer späteren Paradedisziplin, dem Marathon, war die Läuferin aus Oslo Anfang der 70er Jahre jedoch noch weit entfernt. Das beweist auch eine Aussage von Grete aus dem Jahr 1974, über die der Italiener Roberto L. Quercetani in seinem Buch ,A World History of Long Distance Running’ schreibt. Demnach wurde Grete nach ihrer Bronzemedaille über 1.500 m bei den Europameisterschaften in Rom gefragt, ob sie nicht vielleicht auf die 3.000-m-Strecke wechseln wolle. Denn diese Distanz gehörte damals erstmals zum EM-Programm. Darauf antwortete Grete: „Ich habe diese Strecke bereits ausprobiert und ich glaube, das ist zu lang!“
Im Nachhinein klingt diese Aussage erstaunlich, und schon ein Jahr später wird Grete darüber selbst gelacht haben – denn 1975 unterbot sie in Oslo den 3.000-m-Weltrekord um gut sechs Sekunden und lief 8:46,6 Minuten. 1976 verbesserte sie die Marke auf 8:45,4. Doch auch die 3.000 m waren zu kurz für Grete, die 1975 ihren Trainer Jack Waitz geheiratet hatte. Nachdem sie 1978 ihren ersten von fünf Cross-WM-Titeln gewonnen hatte, war es der Gründer des New York-Marathons, Fred Lebow, der sie einlud, bei seinem Rennen an den Start zu gehen.
Nie zuvor hatte sich Grete im Marathon versucht. „Ich ging“, erzählte sie später über eine Situation kurz vor dem Start, „zu einem bärtigen Mann, der in einem Jeep stehend Anweisungen gab und fragte ihn: ,Mister Lebow, wo muss ich hier lang laufen?’“ Gut zweieinhalb Stunden später hatte Grete den New York-Marathon gewonnen und bei ihrem Debüt auch gleich den Weltrekord von Christa Vahlensieck (2:34:47) um gut zwei Minuten auf 2:32:30 verbessert. Damit begann für sie in New York eine einmalige Erfolgsstory, die Grete auch in Amerika zu einem Vorbild des Frauenlaufsports machte. Im folgenden Jahr kehrte sie nach New York zurück und lief als erste Frau unter zweieinhalb Stunden (2:27:33). Das Rennen wurde damals zum ersten Mal live im Fernsehen gezeigt. Die Sendezeit aber ging zu Ende, ohne dass von dem bahnbrechenden Rekord der Grete Waitz die Rede war. Im TV-Abspann sah man die Norwegerin noch durch das Ziel laufen, doch nur Insider erkannten, was gerade passierte.
Es war sicher auch ein Verdienst von Grete, dass der Frauen-Langstreckenlauf zukünftig wesentlich mehr beachtet wurde. Den letzten ihrer vier Marathon-Weltrekorde lief sie 1983 in London mit 2:25:29 Stunden. Damit hatte Grete, die in ihrer Karriere nationale Rekorde von 800 m bis zum Marathon aufgestellt hatte, die Bestmarke binnen fünf Jahren um über neun Minuten gesteigert. Ebenfalls 1983 wurde sie in Helsinki zur ersten Marathon-Weltmeisterin, ein Jahr später gewann sie bei der Olympia-Premiere des Frauen-Marathons Silber. Einmalig und so bald wohl nicht zu übertreffen, ist die Zahl ihrer New York-Siege: Neunmal triumphierte Grete bei diesem Event. Keiner kommt da auch nur annähernd heran. Paula Radcliffe (Großbritannien) siegte bisher dreimal in New York, Bill Rodgers (USA) gewann in den 70er Jahren viermal.
Der zehnte Sieg, den Fred Lebow ihr wünschte, stellte sich als unerreichbar heraus. 1990 versuchte es Grete noch einmal und wurde Vierte. 1992 startete sie wieder in New York, dieses Mal allerdings unter anderen Vorzeichen: Sie joggte gemeinsam mit Fred Lebow, dem Mann der sie einst nach New York brachte und nun an Gehirnkrebs litt. Zusammen erreichten sie angefeuert von Tausenden Zuschauern nach 5:32:34 Stunden emotional das Ziel. Fred Lebow erlag zwei Jahre später einem Gehirntumor.
Bereits zu Zeiten ihrer größten Erfolge wurde Grete zu einer Förderin des breitensportlichen Frauen-Laufsports. Als 1984 in Oslo vor dem Bislett-Stadion eine Statue von ihr enthüllt wurde, startete sie dort den ersten ,Grete Waitz Lopet.’ Damals waren 6.000 Norwegerinnen am Start und bald darauf wuchs die Teilnehmerzahl auf rund 45.000 Läuferinnen an. „Früher haben sie Kaffee getrunken – heute laufen sie“, hat Grete einmal erzählt. Daran hat sie einen nicht unerheblichen Anteil. „Ich weiß nicht, ob ich das Laufen wirklich populär gemacht habe“, sagte sie. „Aber ich habe es zumindest akzeptabel gemacht für Leute, die nicht danach aussehen.“ In Kooperation mit ihrem Sportsponsor Adidas unterstützte Grete später auch die erfolgreiche Entwicklung von Frauenläufen in Dublin oder Berlin.
„Früher fanden es die Leute noch interessant, nur vom Start zum Ziel zu rennen“, erzählte sie. „Heute wollen sie alleine dafür nicht mehr bezahlen. Es muss ein Programm geben. Beim Frauenlauf in Oslo stehen Spaß und Drumherum im Vordergrund, nicht der Wettkampf.“ Nach ihrer spitzensportlichen Karriere arbeitete sie nicht nur als Lauf-Organisatorin, sondern auch als Trainerin, Laufbuch-Autorin und Kommentatorin. Die Norwegerin reiste als Ehrengast zu vielen Veranstaltungen. Nach Ausbruch ihrer Krebserkrankung 2005 engagierte sie sich zudem für Trainingsprogramme zur Vorbeugung dieser Krankheit.
Gretes größte Erfolge
Weltmeisterin Marathon 1983
Olympia-Zweite Marathon 1984
Europameisterschafts-Dritte 3.000 m 1978
Crosslauf-Weltmeisterin 1978, ’79, ’80, ’81 und ’83
Cross-WM-Dritte 1982 und ’84
Weltrekorde über 3.000 m 1975 (8:46,6) und ’76 (8:45,4)
Europarekord über 5.000 m 1982 (15:08,80)
Weltbestzeiten über 15 km (47:53/1984), 10 Meilen (53:05/1979), 20 Meilen (1:51:23) sowie viermal im Marathon: 2:32:30 (1978), 2:27:33 (1979), 2:25:41 (1980), 2:25:29 (1983)
Die neun New York-Marathon-Siege der Grete Waitz
Jahr | Zeit |
1978 | 2:32:30 (Weltrekord) |
1979 | 2:27:33 (WR) |
1980 | 2:25:41 (WR) |
1982 | 2:27:14 |
1983 | 2.27:00 |
1984 | 2:29:30 |
1985 | 2:28:34 |
1986 | 2:28:06 |
1988 | 2:28:07 |
- Erschienen am 27. April 2011
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